Evolution

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Evolution
 
Von Ernst Peter Fischer
 
Wenn man als Wissenschaftshistoriker auf das 19. Jahrhundert schaut, kann man sehr stolz auf die Physik sein. Sie hat über den ersten Hauptsatz der Thermodynamik die Energie verstanden, sie hat auch verstanden, daß es freie Energie gibt und ein Teil davon nicht in Arbeit umgewandelt werden kann. Das hat sie durch das Konzept der Entropie verstanden, die im zweiten Hauptsatz der Thermodynamik eine Art von „Vorrat von Zufälligkeiten“ in den Objekten erklärt.
     Wenn man jetzt am Ende des 19. Jahrhunderts sagt: „Mein Gott, das war aber eine erfolgreiche Wissenschaft“, dann kann man auch fragen: „Kann eine andere Wissenschaft erfolgreicher sein?“ Die Antwort heißt: Ja.
 
Lamarck, Darwin und Wallace
 
Die Physiker haben geglaubt, daß die wichtigste Entwicklung auf dem Gebiet der Biologie oder der Lebenswissenschaften durch den Gedanken der Evolution gelungen ist. Der Gedanke der Evolution ist zum ersten Mal 1858 von Charles Darwin und Alfred Wallace in London in der Form, wie wir ihn heute benutzen, vorgestellt worden. Er ist in Darwins großem Buch über den Ursprung der Arten von 1859 publiziert worden.
     Aber der Gedanke, daß es so etwas wie Evolution gibt, also eine Veränderung der Arten, der ist schon älter, Er wurde im Jahre 1800 zum ersten Mal formuliert, und zwar durch den Franzosen Jean-Baptiste de Larnarck.
 
Konstanz der Arten - eine Idee Platons
 
Lamarck ist eigentlich ein Held der Evolutionsbiologie. Er wurde leider allzu oft vergessen. Lamarck mußte nämlich ein Riesenhindernis beiseiteräumen, um überhaupt den Gedanken der Evolution, der uns heute ganz selbstverständlich ist, also von der Anpassung der Arten, in die Welt zu bringen.
     Lamarck hatte ein großes Hindernis wegzuräumen, das ein Mann namens Platon bereits im alten Griechenland in der Denkwelt aufgebaut hatte.
     Platon hat davon gesprochen, daß die Sinneseindrücke nicht so wichtig sind, daß sie beliebig sind, daß sie sich andern können. Das wirklich Wichtige sind die unveränderlichen Ideen, die zu Dingen gehören. Das Pferd erkenne ich durch die Idee des Pferdes, den Hund durch die Idee des Hundes, die Rose durch die Idee der Rose. Diese Idee der Rose ist das Essenzielle, das Wesentliche. Alles andere sind zufällige Veränderungen. Jede Rose kann ein bißchen anders sein als die nächste. Jedes Pferd ist ein bißchen anderes als das nächste, jeder Hund ist ein bißchen anders als der nächste. Aber die Idee des Hundes, die Idee des Pferdes, das sind dieselben, und nur darauf kommt es an. Es kommt nicht auf die Sinneseindrücke an, sondern auf das Ideelle, auf das Gedankliche dabei - und damit waren die Denker erst einmal beschäftigt.
     Deshalb glaubte man auch, daß es die Arten - Pferde, Esel, Katzen, Vögel, Kolibris, Schlangen, Löwen - von Anfang an gegeben hat, daß da überhaupt nichts geändert worden war, Es war ganz selbstverständlich, daß es eine Konstanz dieser Arten gibt, die man überall finden konnte.
 
Lamarckismus
 
Erst Lamarck hat versucht, diesen Gedanken aufzuheben. Er hat das merkwürdigerweise im Vertrauen auf Gott getan. Schon damals, im 17. und 18. Jahrhundert, fing man an, Fossilien auszugraben. Dabei konnte man Lebensformen, ganze Ketten von Lebensformen, „Ketten des Lebendigen“ rekonstruieren. Es sah so aus, als ob diese Lebensformen irgendwann verschwunden sind. Wir würden heute sagen, daß es Arten gab, die ausgestorben sind.
     Das hat Lamarck überhaupt nicht verstanden. Denn wenn Gott der große, gütige, weise Schöpfer der Welt ist, warum sollte er dann Arten auf die Welt bringen, die aussterben? Gott hat natürlich auch gewußt, daß sich die Erde, also das Umfeld, ändert. Also hatte Lamarck den Gedanken gehabt, daß Gott die Arten so ausgestattet hat, daß sie sich ändern können. Lamarck hatte die Idee, daß die Arten gar nicht ausgestorben, sondern noch da sind - nur anders.
     Das nennt man eigentlich den Gedanken der Evolution - das ist die große Lamarcksche Idee. Diese hat er nur dadurch verwässert oder verdunkelt, daß er versuchte, eine Erklärung für die Evolution zu geben. Das ist ihm rnißlungen. Lamarck war nämlich der Meinung, daß sich die Evolution oder die Änderung der Arten nach dem richtet, was im Laufe eines Lebens systematisch oder produktiv erlernt werden kann. Das ist die Vererbung von erworbenen Eigenschaften, die man „Lamarckismus“ nennt. Dieser Gedanke ist, zumindest in dieser Grundsätzlichkeit, unzutreffend.
 
 
© Ernst Peter Fischer