Ganz große Oper!

Dmitri Tcherniakov inszeniert und John Fiore dirigiert an der Deutschen Oper am Rhein hervorragend Schostakowitschs "Lady Macbeth von Mzensk"

von Peter Bilsing

Ganz große Oper!

Dmitri Tcherniakov inszeniert und John Fiore dirigiert an der Deutschen Oper am Rhein eine hervorragende
"Lady Macbeth von Mzensk"


Musikalische Leitung: John Fiore  -  Inszenierung und Bühne: Dmitri Tcherniakov  -  Kostüme: Elena Zaytseva  -  Lichtdesign: Gieb Filshtinsky  -  Chor: Christoph Kurig  -  Dramaturgie: Alexej Parin  -  Übersetzer und Mitarbeit Regie: Peter Schwarz   -  Fotografie: Eduard Straub

Chor und Statisterie der Deutschen Oper am Rhein
Die Duisburger Philharmoniker

Premiere am 18.5.2008
Nächste Aufführung: 24.5.2008

Solisten:
Boris Ismailow: O
leg Bryjak    Sinowij:  Andrej Dunaev  -  Katerina Lwowna Ismailowa: Morenike Fadayomi  -  Sergej: John Uhlenhopp  -  Axinja / Zwangsarbeiterin: Elisabeth Selle  -  Der Schäbige: Alexander Krawetz  - Verwalter/Sergeant: John In Eichen  -  Hausknecht/Wächter: Daniel Djambazian 

1. Vorarbeiter: Manfred Fink  -  2. Vorarbeiter: Alexandru Ionitza  -  3. Vorarbeiter: Manfred Klee  -  Mühlenarbeiter: Joseph Szalay  -  Kutscher/Betrunkener: Alexander Avramenko  -  Pope: Michail Milanov  -  Polizeichef: Bruno Balmelli  -  Polizist: Rolf Broman  -  Lehrer: Markus Müller  -  Sonjetka, Zwangsarbeiterin: Laura Nykänen -  Zwangsarbeiter: Thorsten Grümbel

Liga-Spiele


Szenario mit Morenike Fadaoymi - Foto: DOR

Während die Düsseldorfer FORTUNA drittklassig bleibt, steigt der FC Köln in die erste Bundesliga auf. Auf dem Opernsektor ist es genau umgekehrt, wie dieses Wochenende anhand zweier großer Opernpremieren zu erleben war. Absolute künstlerische Spitzenklasse auf internationalem Niveau (Champions League!), sowohl gesanglich, als auch inszenatorisch bot die Rheinoper mit einer fulminanten Inszenierung von Schostakowitschs Jahrhundertwerk "Lady Macbeth von Mzenzk", während man am jahrelangen Konkurrenzhaus in Köln mit Verdis großer Oper "Un ballo in maschera" ganz fürchterlich baden ging, sich auf einem Qualitätsniveau präsentierte, das nur noch mit dem Begriff „Amateurliga“ assoziiert werden kann.

Nichts für Zartbesaitete


Morenike Fadaoymi - Foto: DOR
Der neue junge russische „Regie-Shootingstar“ Dmitri Tcherniakov bewies mit seiner Inszenierung aus durchaus modernem Blickwinkel, daß großes Musiktheater auch in der heutigen Zeit überzeugend angesiedelt werden kann, wenn man es in Bilder gießt, welche nicht nur musikadäquat, sondern auch handlungstragend überzeugen. Ein „roter Faden“ ist vorhanden, und die Geschichte bleibt nicht nur völlig logisch, sondern erzeugt auch unter die Haut gehende Faszination. Puren Sex in der Musik – und da liegt der sensible Russe Tcherniakov ganz auf dem Niveau eines feinen Künstlers – kann man durchaus auch einmal nicht unbedingt 1:1 real übersetzen und dennoch erotisch auf die Bühne bringen, wenn man andere phantasiereiche Bilder findet. Ähnliches gilt für die Gewaltszenen, wobei die Drastik, Brutalität und schließlich der explizite Sex dann doch im letzten Akt recht offen, realitätsnah und hautnah inszeniert werden – diese Oper ist nichts für sensible Menschen. Rüde, laut und schockieren kommt vieles daher, wird aber im folgenden Moment schon wieder durch feine Klänge und Harmonien, durch erlauchte Soli und Decrescendi konterkariert.

Furiose Musik

Nie hat jemand später wieder solch furiose Musik geschrieben wie Schostakowitsch. Und niemals ist der unendliche Leidensweg des geknechteten russischen Volkes so wunderbar, so plastisch und so ans Herz gehend in ein musikalisches Chorgemälde impliziert worden, wie zu Beginn des letzten Aktes. Die ganze Oper ist ein einziger Aufschrei gegen Unterdrückung. Das hat sicherlich auch der brutale Massenmörder Stalin trotz seines sonst recht dumpfbackigen Musikgeschmacks wohl nachempfunden („Chaos statt Musik“) und einen der größten russischen Komponisten dafür ein


Morenike Fadayomi (Katarina)
Oleg Bryjak (Boris) - Foto: DOR
Leben lang leiden lassen. Jeder auch nur einigermaßen empfindsame Mensch kann dieses Leiden in den großen Sinfonien Schostakowitschs nacherleben und schmerzvoll nachempfinden.

Die Besetzung: ein Glücksfall

An der Rheinoper gab es nun den Glücksfall, daß ausnahmslos wirklich alle Hauptrollen blendend und nahezu perfekt besetzt waren: allen voran Morenike Fadayomi (Katerina); mit dieser nach Korngolds „Marie“ zweiten gigantischen Sangesleistung ist ihr der Sprung ins große dramatische Fach mehr als geglückt. John Uhlenhopps „Sergej“ zog alle Register in sowohl gesanglich als auch körperlich hautnaher Präsenz. Was Oleg Bryjak als bösartiger Stiefvater sowohl an Gesanges-, als auch Schauspielkunst auf die Bretter legte, war oscarreif! Trotz seines beachtlichen Gewichts - die Nummer mit dem Bürostuhl macht ihm keiner nach – wirbelt er über die Bühne, und besonders die Sterbeszene war von bigotter Überzeugungskraft. Andrej Dunaev (Sinowij) hätte sich Schostakowitsch sicher als Idealbesetzung gewünscht; überragend gestaltet er die Partie des impotenten Schwächlings aus, und als „der Schäbige“ bot Alexander Krawetz eine mehr als frappierende Charakterstudie. Auch die Nebenrollen boten hochklassiges Musiktheater. Der Chor (Ltg. Christoph Kurig) bot Weltklasse, auch wenn er im dritten Akt unsichtbar blieb.

Schwarzes Grauen


Morenike Fadayomi (Katarina) John Uhlenhopp (Sergej)
Laura Nykänen (Sonjeka) - Foto: DOR
Tcherniakov war auch sein eigener Bühnenbildner. Die ersten Akte zeigten ein auch bühnentechnisch sehr gelungenes modernes Kaufmanns-Ambiente; Büroräume, Lager- und Abfertigungshallen, in deren Mitte eine Kammer, besser: ein Gefängnis- oder Isolationsraum untergebracht war. Was auf den ersten Blick aussah wie ein Showroom für alte russische Teppiche enträtselte sich bald als Exil, Schlaf- und Lebens(alpt)raum von Katarina - abgetrennt und doch offen, aber jederzeit kontrollier- und einsehbar. Domizil von der quasi transparenten "Intimität" einer lebensgroßen Hundehütte, dem Voyeurismus der anderen zugänglich - die wahre Lebens-Hölle! Eine Hölle, wie sie im dritten Akt – der Rest der Bühne ist schwarzes Grauen - durch die klaustrophobe Enge einer abgeschlossenen dreckigen Gefängnis-Zelle wieder aufgenommen wird, wo man sich gegenseitig massakriert oder wo man erschlagen wird, wenn der Selbstmord mißlingt. Was für beeindruckende Bilder! Die Bühne ist ein Konstrukt scheinbar aktueller Greif- und Erklärbarkeit, wobei sich der anfangs recht banal wirkende Lagerraum durch raffinierte Regieeinfälle bzw. geschickte Lichtdramaturgie zu einem phänomenalen Kunstraum entwickelt, wo Wände durchlässig werden, Visionen real erscheinen und Reales plötzlich zur Vision wird.

Surreale Bilder

Manches erscheint dann geradezu surreal, z.B. wenn die Hochzeitsgesellschaft weder lärmt noch sich


Hochzeitsgesellschaft / Verhaftung durch die Polizei (Ensemble) -
Foto: DOR
lauthals über Wodka und Essen hermacht, sondern sich zwar präsent, aber eher nebensächlich zeitlupenmäßig zur stillen Kulisse geriert. Da braucht es keinen Schäbigen, der im Keller eine reale Leiche entdeckt, wenn er die Leiche im Kopf hat und auch die Polizeiszene ist von beinah kalt-nüchterner Realitätswahrnehmung - wie bei einer Leichenschau. Grandios, wie einen Alptraum, hat der Regisseur dann die Verhaftung des Mordpaares in einer Zeremonie angesiedelt, deren Realitätsverlust schon komplexe surreale Verhaltensweisen innewohnen, wenn plötzlich die ganze Hochzeitsgesellschaft wie Lemuren über das Hochzeitspaar herfällt.
Tcherniakov nimmt die Geschichte ernst, sehr ernst, und so bleiben manchmal der bittere Sarkasmus und die Ironie Schostakowitschs bzw. der Leskowschen Vorlage etwas auf der Strecke. Dennoch weiß der Regisseur, was er tut; er choreografiert die Handlungsstränge machmal nahezu bis zum Ritual, sei es bei der Kopulationsszene oder in den stillen, schönen Momenten, wenn z.B. Katarina den geschundenen Körper ihres Liebhabers salbt und reinigt.

Artiger Kratzfuß vor John Fiore

Musikalisch ist diese Aufführung das Beste, was GMD (Big) John Fiore in der Ära Richter bisher mit den Duisburger Philharmoniken (das mittlerweile bessere Orchester des 2-Städte-Hauses!) auf die Beine gestellt hat. Kann man einen würdigeren und größeren Abschied nehmen? Letztens Mahlers Sinfonie der Tausend und nun eines der vielleicht gewaltigsten Werke des Musiktheaters. So bleibt man als ein ganz großer GMD in Erinnerung. Good-bye Johnny, wir werden Dich vermissen. Obwohl…eigentlich bleibt er ja - im Gegensatz zum Tonhallen-Chef - noch ein Jahr an der Rheinoper.

Redaktion: Frank Becker