Die braune Soße köchelt wieder

Hans-Henning Scharsach – „Stille Machtergreifung“

von Frank Becker

Die braune Soße köchelt wieder
 
Rechtsradikale Burschenschaften
greifen in Österreich nach der politischen Macht.
 
Daß eine selbsternannte „Elite“ bis auf die Knochen tiefbrauner und deutschnationaler  österreichischer Politiker, die energisch nach der politischen Macht im Land streben, sich ideologisch aus dem Nationalsozialismus nahe stehenden rechtsradikalen österreichischen Burschenschaftskreisen rekrutiert, ist zumindest in Deutschland, aber auch im betroffenen Österreich sicher nur wenigen Informierten bekannt. Umso aufrüttelnder ist das jetzt bereits in 6. Auflage erschienene Buch „Stille Machtergreifung“ des Wiener Journalisten Hans-Henning Scharsach, das Roß und Reiter, will sagen Verknüpfungen, Namen und Burschenschaften nennt.
 
Hans-Henning Scharsach hat für sein höchst lesenswertes Buch das beängstigende Netzwerk und die von der Lokal- bis in die Bundespolitik reichenden engen Verflechtungen des österreichischen Verkehrsministers Norbert Hofer, FPÖ (Ehrenmitglied der pennalen Burschenschaft Marko-Germania Pinkafeld), des österreichischen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache, FPÖ (pennale Burschenschaft Vandalia Wien) und ihrer Weggefährten mit den wie man hört auch in deutschen Korporationskreisen als rechtsradikal bekannten, verachteten und gemiedenen österreichischen Burschenschaften untersucht. Seine beachtliche akribische Recherche taucht tief in deren antisemitische und nationalsozialistisch geprägte Geschichte, Statuten und Aussagen ein. Er deckt Verbindungen zu Holocaust-Leugnern, Neonazis, Witiko-Bund, SS-Traditionsverbänden, Identitären, Hitler-Verehrern, zur deutschen NPD und der Wiking-Jugend auf. Er analysiert und zitiert ihr politisches und mediales Instrumentarium, das sich mit Haßkampagnen, Verleumdung politischer sowie weltanschaulicher Gegner, Demagogie und gezielter systematischer Verbreitung von Fehlinformationen über alle Regeln politischer Fairness und des Presserechts hinwegsetzt. Besonders erschreckend und abscheulich sind der überall aufscheinende Judenhaß und die gelegentlich zitierten widerlichen Facebook-Haßkommentare gegen Andersdenkende. In symbiotischer Koexistenz mit dem auflagenstarken Boulevardblatt „Kronenzeitung“ (analog etwa zur deutschen Bildzeitung) verfügen die FPÖ-Populisten neben ihren eigenen manipulativen Internet-Auftritten über ein mächtiges und meist willfähriges Presseorgan.
 
Norbert Hofers glücklicherweise gescheiterter Präsidentschaftswahlkampf war ein Lehrstück einer von Burschenschaften konzipierten populistischen Kampagne. Mit eisernem Lächeln täuschte er erfolgreich über die von ihm vertretenen (und von Scharsach belegten) rechtsextremen Standpunkte hinweg - und versucht es bis auf den Tag. Präsident wurde er nicht, aber er hat immerhin wie sein Gesinnungsgenosse Strache ein Ministeramt in der Regierung Kurz erobert. Doch das ist nur die sichtbare Spitze einer Entwicklung, die fast unbemerkt von der österreichischen, zumal der europäischen Öffentlichkeit vor sich geht: Ein verschworener, verschwurbelt deutschtümelnder Zirkel hat die FPÖ fest in Besitz genommen, zentrale Funktionen in Bundespartei, Parlament und Landesverbänden sind in den Händen von Burschenschaftern. In der Steuerungsgruppe der FPÖ zur Koalition mit der ÖVP saßen auch Norbert Nemeth (akademische Burschenschaft Olympia Wien) und Anneliese Kitzmüller (akademische Mädelschaft Iduna Linz). Spätestens beim Wort „Mädelschaft“, das doch sicher nicht nur irgendwie an den BdM erinnert, muß man die Ohren spitzen.
Anhand von Zahlen, Daten, Fakten und mannigfaltigen Quellen macht Hans-Henning Scharsach deutlich, was Österreich und Europa droht, wenn deutschnationale Burschenschafter noch weiter an die Macht gelangen würden, als es in der zur Zeit regierenden blau-türkisen Koalition bereits der Fall ist. Wer das Buch gelesen hat, wird im schlimmsten denkbaren Fall später nicht sagen können, er habe „das alles nicht gewußt“. Wir wissen ja leidvoll, was passiert, wenn Österreicher sich braune Hemden anziehen.
Wenn es vom Autor auch etwas zu leichtfertig ist, grundsätzlich sämtliche schlagenden Verbindungen, vermutlich auch die ehrenhaften liberalen deutschen WSC-Corps, in einen großen Topf zu werfen, so bekommt das Buch mit Fokus auf die skandalösen österreichischen Verhältnisse doch eine Empfehlung der Musenblätter. Und vor Hans-Henning Scharsach ziehe ich den Hut.
 
Hans-Henning Scharsach – „Stille Machtergreifung“
© 2018 (6. Auflage), Kremayr & Scheriau, 6 Auflage, 208 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag, Namensregister, Quellenverzeichnis -  ISBN: 978-3-218-01084-9
22,00 €
Weitere Informationen: www.kremayr-scheriau.at/