„Davon glaube ich kein Wort!“

Max Delbrück in der Anekdote (3)

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
„Davon glaube ich kein Wort!“
 
Max Delbrück in der Anekdote (3)

 Von Ernst Peter Fischer

Die Geißel Gottes
 
Ob Delbrück von den zuvor zitierten „Unvergeßlichen Jahren“ von Logan Pearsall Smith jemals gehört oder sie gar gelesen hat, ist nicht bekannt, aber das kritische Knurren mit seinen oftmals stimulierenden Folgen hat Delbrück wahrscheinlich von dem großen Physiker Wolfgang Pauli übernommen, der in den frühen 1930er Jahren in Zürich tätig war (und dessen Leben ich in meinem Buch „An den Grenzen des Denkens“ beschrieben habe, wobei eine überarbeitete Version der Biographie unter dem Titel „Brücken zum Kosmos“ vorliegt).
      Der spätere Biologe Delbrück konnte bei Pauli als Postdoc mit einem Stipendium der amerikanischen Rockefeller Stiftung arbeiten, nachdem er in Göttingen seine Doktorarbeit abgeschlossen hatte, die Delbrück noch auf dem Gebiet der Theoretischen Physik tätig sah. Diese Wissenschaft erlebte seit den 1920er Jahren bei ihren Versuchen, die Atome zu verstehen, höchst dramatische Änderungen in ihrem Weltbild, und während die beteiligten Physiker mit wachsender Verzweiflung in den Instituten umherrannten und ohne ihre immer verrückter scheinenden Ideen nicht weiterkamen, trösteten sie sich durch eine poetische Entschuldigung mit den Worten von Hamlet, „Ist es Wahnsinn, so hat es doch Methode“. Zu den Facetten dieser irrsinnigen Methode gehört es kurioserweise, einen theoretischen Vorschlag etwa zur Erklärung der Tatsache, daß eine Verbindung von zwei Atomen zu einem Molekül stabil bleibt und nicht zerfällt, nicht deshalb abzulehnen, weil er ziemlich verrückt aussah, sondern deshalb, weil er nicht verrückt genug aussah. „It´s not crazy enough“, wie das Argument auf Englisch hieß, als die Wissenschaft damals immer internationaler wurde, mit dem viele Ideen einfach übergangen oder abgelehnt wurden. Wenn man Glück hatte, hieß am Ende eines Vortrags, in dem neue Ideen präsentiert wurden „Die Vorschläge klingen verschroben genug, an denen könnte tatsächlich etwas dran sein.“
      Verrückt genug erschien den Physikern zum Beispiel Paulis Idee, den Elektronen in den Atomen die unanschaulich bleibende Möglichkeit einzuräumen, auf zwei Weisen zu existieren, die man ´rauf und ´runter nannte, Spin up oder Spin down, für Leser die sich auskennen. Diese Zweiteilung konnte sich zwar niemand zwingend als physikalische Eigenschaft vorstellen, sie bot mathematisch aber die Möglichkeit, die Teilchen in einem Molekül auf Distanz zu halten und den chemischen Gebilden ihre funktionierende und stabile Form zu geben. So vorzugehen, sah zwar tatsächlich nach Wahnsinn aus, bewährte sich aber durchweg als erfolgreiche Methode und ließ die Physiker in den 1920/30er Jahren aus dem Staunen nicht mehr herauskommen.
      Der im Jahre 1900 geborene Pauli, der 1945 den Nobelpreis für sein Fach bekommen sollte, konnte nicht nur ebenso viele verrückte Ideen aus dem Hut zaubern wie einige andere. Er konnte zudem gnadenlos erkennen, wann die rein mathematischen Spinner zu weit gegangen waren und vergessen hatten, daß sie keine Zahlenspielerei, sondern eine Naturwissenschaft betrieben. „Ich habe nicht immer als richtig erkannt, was sich später als richtig herausstellte“, hat Pauli einmal eingeräumt. „Aber ich habe nie als richtig akzeptiert, was sich später als falsch erwies“, wie er stolz hinzufügte.
      Als Pauli, der selbst erst die Existenz eines nicht nur unbekannten sondern zunächst auch unbegreiflichen Teilchens propagiert hatte, um den Zerfall von radioaktiven Atomen verstehen zu können, und danach eine Kiste Champagner darauf wettete, daß die Physiker bis zum Ende seines Lebens niemals in der Lage wären, das konkrete Vorhandenseins dieses Teilchens nachzuweisen – es sollte mehr oder weniger ein Nichts sein, das sich dreht –, als dieser kecke Pauli in einem Vortrag eines Kollegen den Vorschlag hörte, man könne doch den Energiesatz kurzzeitig außer Kraft setzen, wenn das hilft, die Atome in den theoretischen Griff zu bekommen, da stöhnte der Zuhörende laut auf und meinte erzürnt, „Das ist nicht richtig. Das ist nicht einmal falsch.“ Als der Vortragende ängstlich nachfragte, „Aber Herr Pauli, Sie glauben doch nicht, daß alles, was ich heute Nachmittag gesagt habe, Unsinn war?“, bekam er als niederschmetternde Antwort, „Nein, gar nicht, aber was Sie gesagt haben, war so konfus, daß man gar nicht sagen kann, ob es Unsinn war.“ Und selbst, wer meinte, brillant gewesen zu sein, mußte bei Pauli wachsam sein, der oftmals gerne das Feuerwerk der Ideen lobte, das ein Referent gerade präsentiert habe, aber nur, um dann zu ergänzen, was es eben mit einem Feuerwerk auf sich habe. Bei seinem Abbrennen herrsche zwar mächtig Lärm, wie jeder weiß, aber zu sehen bekomme man dabei kaum etwas.
     Bei Seminaren saß Pauli stets in der ersten Reihe, und manchmal standen eine Spielzeugkanone oder eine Miniaturtrompete vor ihm. Er durfte sie bei jedem Fehler des Vortragenden betätigen und einen Böllerschuß oder ein anderes Signal abgeben, und so nach und nach bekam Pauli von seinen Freunden und Feinden den Spitznamen die „Geißel Gottes“. Dies gefiel ihm, denn er unterschrieb bald viele seiner Briefe auch so.


Lieber Albert!

In einem Schreiben sollte er den Antrag eines Kollegen für ein Stipendium begutachten, was Pauli mit den für ihn erstaunlich freundlichen Worten unternahm, „Ich habe gegen ihn nichts einzuwenden.“ Als er einmal von Albert Einstein persönlich gebeten wurde, einen Physiker einzuschätzen, der bei dem großen Mann arbeiten wollte, schrieb Pauli seinem Duzfreund,
                „Lieber Albert! Ich kann Dir den Herrn wohl empfehlen, denn er ist ein tüchtiger junger Mann. Er hat nur einen Fehler, nämlich den, daß er manchmal zwischen Mathematik und Physik nicht unterscheiden kann. Das sollte Dir aber nichts ausmachen, denn Du selbst bist ja auch schon fast an diesem Punkt angelangt.“ 
 
 
© Ernst Peter Fischer
Aus: „Davon glaube ich kein Wort!“
Anekdoten und Geschichten aus der Welt der Wissenschaft