Wie die Welt von innen ihre Form erhält

Die Naturwissenschaften und die Energie der Menschen

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Wie die Welt von innen ihre Form erhält
 
Die Naturwissenschaften und die Energie der Menschen
 
Von Ernst Peter Fischer
 

Prolog
 
Es ist Nacht, als Faust in seinem Monolog am Anfang von Goethes gleichnamiger Tragödie eingesteht, daß er sich der Magie ergeben hat. Er will sehen, ob ihm „durch Geistes Kraft und Mund,/ Nicht manch Geheimnis würde kund.“ Es ist dabei vor allem ein Wunsch, der Faust am Herzen liegt und den er in die berühmten Worte faßt, „Daß ich erkenne was die Welt / Im Innersten zusammenhält“. Generationen von Leserinnen und Lesern haben diese beiden Zeilen immer wieder auswendig zitiert und dann gemeint, daß sie das auch gerne wüßten, wobei die meisten sich allerdings die Mühe erspart haben, nachzufragen, was die Vertreter der Physik über das Innerste der Welt wissen, in dem sie auf Atome treffen und sich über deren Stabilität wundern. Dies stellt tatsächlich ein lohnendes Thema dar, das sich gleichberechtigt dem dynamischen Gesichtspunkt zugesellt, der in der Überschrift zu diesem Aufsatz angesprochen wird. Im Innersten der Welt findet die Wissenschaft nämlich seit dem 19. Jahrhundert immer noch Atome. Aber sie liefern seit etwa 100 Jahren gar kein Ding, kein greifbares Etwas mehr, das auf unverrückbare Art zusammengehalten wird und aus dem man wie mit Legosteinen eine Welt bauen könnte. Zwar schwirrt noch in vielen Köpfen das Modell des Atoms mit einem Kern umher, der in der Sprache der modernen Physik einer starken Wechselwirkung unterliegt, die seine Bestandteile daran hindert, sich loszureißen und in die Welt hinauszufliegen. Doch relevanter als der Kern erweist sich im Innersten der Welt diese drängende Wirkkraft, die man auch als Energie bezeichnen kann und in der das eigentliche Geheimnis steckt, das Faust lüften möchte, wobei er im frühen 19. Jahrhundert noch hoffen konnte, aus dem Meer des Irrtums aufzutauchen, in dem die Hoffnung zu schwimmen schien, daß gelehrte Erklärungen jemals Geheimnisse aufklären und durch Lösungen ersetzen würde.
 
Die Energie bleibt ein Geheimnis, wobei die Physiker immerhin zweierlei wissen, nämlich zum einen, daß die Energie unzerstörbar und demnach immer und überall anwesend ist, und zum zweiten, daß sich ihr Erscheinungsbild ebenso wandelt, nämlich immer und überall. Wer im Innersten der Welt ankommt, findet dort vor allem die Energie, deren Verkleidungskunst nicht nur die Atome in die Lage versetzt, Gottes Wunsch „Es werde Licht!“ zu erfüllen, sondern die mit wechselnden Gestalten umfassend aus einem allumfassenden Möglichen heraus die wahrnehmbare Wirklichkeit werden läßt. Das Wirkliche, das sind die Formen der Atome und Moleküle und von hier immer höher hinauf bis zu den Gestalten des Lebens einschließlich des Menschen und selbst seinen Ideen. Und die Welt erhält diese Formen aus den innen vorhandenen Möglichkeiten und dank der dort vielleicht ganz alleine präsenten Energie heraus, wobei das Verb „erhält“ nicht nur des Reimes wegen gewählt worden ist, sondern auch, weil „erhalten“ zwei Bedeutungen hat, nämlich sowohl „bekommen“ als auch Mal „bewahren“. Das heißt, daß die Atome, wenn sie erst einmal ihre Gestalt angenommen haben, ihnen diese Form niemand mehr streitig machen kann, was physikalisch gesehen durch die Quantensprünge möglich wird, die noch geheimnisvoller als die Energieumwandlung sind, auch wenn sie längst zum Phrasenrepertoire von Managern gehören.
 
Mit dem doppelten „erhalten“ wird es möglich, zu erkennen, wie die Welt von innen ihre Form erhält, und es scheint, daß Faust vor allem dies meinte und nichts anderes wollte, nämlich „alle Wirkenskraft und Samen“ schauen, wie er nach den beiden berühmten Zeilen sagt und womit er neben der physikalischen Kraft auch den biologischen Samen anklingen läßt. Die moderne Wissenschaft kann ihm in beiden Fällen dabei helfen.
 
Der Weg der Wissenschaft
 
Alle Naturwissenschaft mag den Menschen äußerlich sein, aber sie drängt nach dem Innen, und wenn sie dort ankommt, gerät sie ins Staunen. Im Inneren der quirligen und lebendigen Welt und ihrer Dinge trifft der Eindringling nicht mehr auf die Wirklichkeit, die ihn im Außen umfangen hat und vor der aus er sich auf die Wanderschaft nach Innen gemacht hat. Dort im Innen steht er nur noch vor Möglichkeiten, und zwar all denjenigen, aus denen die Außenwelt geschaffen werden kann, von deren Betrachtung das wissenschaftliche Bemühen seinen historischen Ausgang genommen hat. Menschen beginnen innen, was ihr Leben angeht. Aber sie beginnen außen, was ihre Suche nach Wissen angeht, die im Innen schließlich an ihr Ziel kommt, das vor allem bedeutet, weiter in die dort wartenden Tiefen zu steigen.
 
Die ersten, die sich ernsthaft auf das Abenteuer der empirischen Wissenschaft einließen, verfolgten im antiken Griechenland als Astronomen die Bewegungen der Sterne und Planeten am Himmel, für die sie zunächst Götter verantwortlich machten. Nachdem sich im Laufe der Jahrhunderte daraus eine Physik mit mechanischen Gesetzen der gegenständlichen Welt entwickelt hatte, trat eine Biologie auf den Plan, die sich an ihrem eigenen Außen orientierte und sich anfänglich damit befasste, die Organismen der lebendigen Natur durch äußerlich sichtbare Merkmale zu ordnen und zu klassifizieren.*[1])
 
Im Laufe ihrer langen Geschichte wendet sich die Physik erst im 19. Jahrhundert mit dem nötigen Ernst der ursprünglich spielerisch philosophisch gehandhabten antiken Idee von Atomen zu, um endlich im frühen 20. Jahrhundert erste wissenschaftlich tragfähige Antworten auf die berühmte Frage geben zu können, die Goethes Faust am Anfang des dazugehörigen Dramas bewegt und den gelehrten Mann verzweifelt nach dem Teufel rufen läßt. Faust will bekanntlich wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält, und zwar in den Sternen, den Planeten und in dem Leben, das sich auf mindestens einem von ihnen zeigt und seine Geschöpfe inzwischen nach ihrem und seinem Ursprung fragen läßt. Wo steckt der Punkt, aus dem das Leben springt und von dem aus zuvor vielleicht bereits die ganze Welt ihren Weg in die Existenz gefunden hat? Von Fragen dieser Art soll hier die Rede sein, wobei schon gesagt wurde, daß es im Innersten der Welt keinen Zusammenhalt durch ein festes Ding, wohl aber ein ungemeines Wandlungspotential durch die dazugehörigen Prozesse und ihre Dynamik gibt. Es ist der zugleich geheimnisvollen und vertrauten Größe der Energie zu verdanken, die es offenbar fertig bringt, immer und überall zu sein und dann auch ihre Wirkung zu entfalten. Wenn Physiker auf solch eine Situation treffen – die Schwerkraft der Erde wirkt immer und überall durch den ganzen Raum und der Einfluß eines Magneten ist ebenso umfassend und durchgehend zu spüren –, sprechen sie von einem Feld, das den Raum erfüllt, also dem Gravitationsfeld des Planeten oder dem Magnetfeld eines magnetischen Körpers etwa in Form eines Neodym Zylinders (den man bei Amazon bestellen kann). Und so läßt sich sagen, daß aus dem Inneren der Atome heraus Energiefelder agieren und der sich wandelnden Welt von hier aus eine Form zukommen lassen und sie bildend konstruieren. Im Innersten der Welt ist auf keinen Fall ein stabiles Stück Materie – ein fester Kern, ein atomarer Klotz –, sondern ein dynamischer Prozeß, ein „es werde“, und zwar schon, bevor die Worte gesprochen werden. Diesen inneren Prozeß könnte man natürlich auch eine Weltbildung oder eine Schöpfung nennen, ohne dafür unbedingt einen Schöpfer einsetzen und ihn verantwortlich machen zu müssen. Es reicht, wenn eine kosmische Energie ihr Werk vollbringt, wobei das Attribut „kosmisch“ sich sowohl auf die Weite der Wirkung als auch auf die augenscheinliche Harmonie des Ganzen bezieht, die sich beide zuletzt zeigen.
 
Es klingt immer wieder an, daß die Welt und das Leben zusammenhängen, was historisch dadurch verständlich wird, daß die Methoden, die Physiker auf den Weg zu den Atomen und in sie hinein entwickelt und eingesetzt haben, bald auch den Lebenswissenschaften zugute gekommen sind, die analog zum Atomkern einen Zellkern ausfindig machen und in ihm dynamische Moleküle am Werk sehen, die Gene genannt werden und offenbar Informationen liefern, mit denen die Kunstwerke des Lebens modelliert werden. Gene zeigen sich in der eleganten Form einer Doppelhelix und sind aus einer Substanz gebaut, die mit drei Buchstaben als DNA abgekürzt wird, was den Stoff, aus dem die Gene sind, höchst vertraut erscheinen und viele Leute zum Beispiel sagen läßt, daß es in ihrer DNA liegt, ob sie sparsam sind oder beim Karneval oder im Urlaub ihr Geld rausschmeißen, und in der öffentlichen Rede ist auch schon von der DNA eines Ministeriums oder eine Partei die Rede.
 
 
© 2018 Ernst Peter Fischer
 


*1) Natürlich müßte es noch um die Chemie, die Geologie und andere Disziplinen gehen, aber es sei gestattet, daß sich der Aufsatz auf die Physik und die Biologie konzentriert, von denen eine Disziplin die unbelebte und die andere Disziplin die lebendige Materie untersucht. Mit beiden zusammen wird der Weg in den Menschen und seine Psyche (Seele) zu finden sein, was das Ziel dieses Aufsatzes ist. Wer einem Menschen helfen will, muß erst den Weg zu seinem Innen finden.