Eine Sterbensgeschichte

Lukas Hartmann – „Der Sänger“

von Frank Becker

Eine Sterbensgeschichte
 
Das Ende des großen Sängers Joseph Schmidt
 
Das tragische Schicksal des 1904 in der Nähe von Czernowitz in der Bukowina geborenen Tenors Joseph Schmidt, zwischen 1929 und 1933 gefeierter Star auf deutschen Bühnen, im Film und auf Schallplatten, hat lange einer angemessenen Würdigung geharrt. Nun hat es endlich einen Autor gefunden, der die letzen dramatischen Wochen dieses einzigartigen Sängers in einen Roman gegossen hat, der tief bewegt. Lukas Hartmann, dessen historische Romane regelmäßig Horizonte sprengen, hat sich in „Der Sänger“ des unerhört dramatischen Stoffs angenommen. Sein Roman beschreibt die Flucht des nach einer europäischen Irrfahrt  im Vichy-Frankreich zwangsinternierten Künstlers in die Schweiz und die unwürdige Behandlung, die er dort seitens der Behörden im Rahmen einer weiteren Internierung erfahren hat. Schmidt überlebte in der vermeintlichen Freiheit nur wenige Wochen.
 
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, die ihm, man kann es einfach bis heute nicht begreifen, allein, weil er Jude war, jegliche Auftritte und das Betreten der Funkhäuser verboten sowie seine Filme aus den Kinos verbannten, blieb dem weltbekannten Sänger („Ein Lied geht um die Welt“ und „Heut’ ist der schönste Tag in meinem Leben“) nur die Flucht ins benachbarte Europa und in die USA, wo er noch bis Ende der 1930er Jahre mit großem Erfolg auftrat, bevor er in Frankreich interniert wurde. Eine „Ernennung zum Ehrenarier“ (man erkenne den Irrsinn der Nationalsozialisten!) hatte Schmidt ausgeschlagen. Eine geplante Flucht nach Kuba scheiterte durch das Eintreten der USA in den mittlerweile tobenden 2. Weltkrieg – schließlich gelang Joseph Schmidt, bereits gesundheitlich schwer angeschlagen zu Fuß und allein der illegale Grenzübertritt in die Schweiz, die allerdings Juden nicht als politisch Verfolgte anerkannte. Seine Einweisung in das Internierungslager Girenbad war sein Todesurteil. Trotz der Intervention gutmeinender Menschen und Garantien für seinen Lebensunterhalt wurde Schmidt wie ein Gefangener behandelt, ja mißhandelt. Trotz deutlicher Anzeichen für einen lebensbedrohlichen Zustand verweigerten sogar Ärzte Untersuchungen und Behandlungen, entließen ihn als „geheilt“ aus dem Zürcher Spital. Zwei Tage später, am 16. November 1942 starb der weltbekannte Sänger entkräftet und herzkrank im Lager.
 
Lukas Hartmann beschreibt die Strapazen der Flucht, das Erdulden der Internierung, die Erniedrigungen und die wieder leisen Hoffnungsschimmer, die Schmidt durch eine Hölle jagten, mit unter die Haut gehender sprachlicher Dichte und Brillanz. Fiebrige Erinnerungen an die Kindheit und Jugend, vergangenen Ruhm, gewesenen Reichtum, erlebte Liebesaffären, Träume von einer besseren Zukunft und die Lieder, die ihn unvergeßlich und unsterblich machten, durchflechten neben kursiv gesetzten Zeitzeugen-Einschüben die ungeschminkte Beschreibung der brutalen Lager-Realität, die ihn schließlich das Leben kostete. Hartmann gelingt ein ungeschminktes Bild des Künstlers und Menschen Joseph Schmidt ebenso wie das bedrückende Bild einer Zeit, als brutale Nazi-Dummheit Europa im eisernen Griff hatte. Was man nach dem Ende des „3. Reiches“ überwunden glaubte, ist gerade heute, nachdem gestern die Rechtspopulisten bei der Europawahl Zugewinne hatten, wieder alarmierend drohende  Realität geworden.
Und die skandalöse Aussage „Ich kann Juden nicht empfehlen, jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen. Das muß ich leider so sagen“, des deutschen Antisemitismusbeauftragten Felix Klein am vergangenen Sonnabend im Interview mit Zeitungen der Funke Mediengruppe ist ein bedrückendes Armutszeugnis des Staates und muß jeden Demokraten auf den Plan rufen.
 
Nicht zum ersten Mal hat Lukas Hartmann einen Roman vorgelegt, der unsere Auszeichnung, den Musenkuß bekommen hat. Mit „Der Sänger“ verdient er unsere Auszeichnung erneut ohne Wenn und Aber.
 
Lukas Hartmann – „Der Sänger“
Roman
© 2019 Diogenes Verlag, 283 Seiten, Ganzleinen mit Schutzumschlag – ISBN: 978-3-257-07052-1
22,- €
Weitere Informationen: www.diogenes.ch