Taxifahrergeschichten

von Hanns Dieter Hüsch

© Paul Maaßen
Taxifahrergeschichten
 
Wenn ich manchmal in eine fremde Stadt komme, wo ich mich also nicht so sehr auskenne - Sie kennen ja vielleicht meinen alten Spruch: Wenn du auf die Welt kommst, eins mußt du dir merken: der erste, den du triffst, ist nicht von hier.
Das geht mir unterwegs sehr oft so, ich komme in eine Stadt und bis ich dann mal die Volkshochschule gefunden habe, muß ich zehn Leute fragen, die sind alle nicht von hier... Also nehme ich mir ein Taxi, damit ich nicht stundenlang in die falsche Richtung laufe. Nun gibt es ja die verschiedensten Sorten von Taxifahrern: Es gibt Taxifahrer, die, wenn du auf den Wagen zugehst, springen sofort auf, schlagen den Kofferraum auf, nehmen dir dein Gepäck ab, unterhalten sich mit dir, sind freundlich, geben dir alle möglichen Auskünfte, sagen: „Auf Wiedersehen!“ oder „Schönen Tag noch“. Es gibt Taxifahrer, die bleiben sitzen, drehen sich nur ein bißchen um, machen im Sitzen die Tür auf für das Gepäck, sagen auch Guten Tag und fragen, wohin die Fahrt geht, aber auch kein Wort mehr, kein Wort mehr. Schreiben auch die Quittung für's Finanzamt, aber kein Wort mehr. Lassen dich dein Gepäck rauszerren und sind ungemein abwesend. Es gibt Taxifahrer, die sagen überhaupt nichts. Da muß man froh sein, wenn sie überhaupt fahren. Denen ist anscheinend alles zuviel, daß man überhaupt einsteigt, ist eigentlich schon eine Frechheit. Und dann noch das Fahrziel - es liegt nämlich gleich um die Ecke - und dann noch eine Quittung schreiben - ja, wo kämen wir denn da hin.
Es gibt Taxifahrer, die, wenn ich in Heidelberg einsteige und sage: „Nach Mannheim bitte, damit ich da noch den IC kriege“, dann sagen die: „Ich kann Sie auch bis nach Köln fahren.“
Das sind dann ganz lustige Burschen, denen ist nichts zuviel oder zuwenig. Es gibt Taxifahrer, die fangen gleich an, über die politische Lage zu klagen, daß die vielen Ausländer jetzt endlich raus müßten. Es gibt Taxifahrer, die tatsächlich kaum deutsch können, weil sie Ausländer sind, aber gute Taxifahrer sind. Es gibt Taxifahrer, die das alles nur vorübergehend machen, die mal bessere Zeiten gesehen haben, nettere ältere Herren. Es gibt Taxifahrer, Studenten, drittes Semester Psychologie, haben gerade eine Statistik-Klausur mit Ach und Krach hinter sich, machen nachts noch Hotelportier. Es gibt Taxifahrer, die haben ein Foto von Frau und Kindern auf dem Armaturenbrett. Es gibt Taxifahrer, die sagen zu mir: „Ihre Stimme kenne ich doch, Pat und Patachon, stimmt's?“ „Ja.“ Es gibt Taxifahrer, die fahren grundsätzlich nur nachts und das ganze Auto duftet nach leichten Mädchen. Es gibt Taxifahrer, die erzählen dir in fünf Kilometern ihr ganzes Leben. Es gibt Taxifahrerinnen, denen sieht man ihr ganzes Leben sofort an... und dann kommst du wieder an einen Taxifahrer, für den du der allerletzte Fahrgast bist: Keine Bewegung, kein Wort, kein Danke für's Trinkgeld, kein „Tschö”, nichts. Und oft habe ich deshalb die ganze Qualität einer Stadt an einem Taxifahrer abgelesen. Das ist natürlich töricht und völlig ungerecht. Aber mir geht das sehr oft so,  daß ich bei einem unfreundlichen Taxifahrer gleich die ganze Stadt für unfreundlich halte. „Laß das!”, sage ich dann immer, „Laß' das!”, du kannst doch nicht von einem Taxifahrer auf eine ganze Stadt schließen, oder von einer Stadt auf ein ganzes Land, oder von einem Land auf ein ganzes Volk, oder von einem Volk, von deinem, von unserem, auf die ganze Welt. „Laß das bitte!” Wenn das die vielen Taxifahrer und Fahrerinnen bei mir wirklich fertigbringen, daß ich mich mit meinen Vorurteilen zurückhalte, dann soll mir diese Zunft gerade recht sein.
 
Hanns Dieter Hüsch

 
© Chris Rasche Hüsch
Veröffentlichung aus „Zugabe" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Das Foto stellte freundlicherweise Paul Maaßen zur Verfügung.