65 Jahre Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien

Von der Zensurbehöre zur Schutz-Organisation

Red./Are/Bec

© Mondial Verlag
65 Jahre Bundesprüfstelle
für jugendgefährdende Medien
Nach 65 Jahren Dienst liegt in der Regel der Ruhestand nicht mehr fern. Bezogen auf die BPjM und ihre Aufgaben für den Jugendmedienschutz könnte allerdings nichts ferner liegen. Ein Jubiläum ist jedoch gleichwohl Anlaß, um auf die Anfänge zu blicken, die zwischenzeitlich erfolgte Entwicklung nachzuzeichnen, in Richtung Zukunft zu schauen, Visionen aufzuspannen, um schließlich eine resümierende Standortbestimmung vorzunehmen.
 
Zunächst also anläßlich des Ereignisses am 18. Mai 1954 ein Eindruck von den Anfängen.
Deutschland wird in der „Wirtschaftswunder-Wiederaufbau-Ära“ regiert von einer CDU/CSU/FDP/DP-Koalition unter Bundeskanzler Konrad Adenauer.
Als übergeordnete Erziehungsziele gelten Ordnungsliebe und Fleiß, Gehorsam und Unterordnung sowie diesen nachstehend Selbständigkeit und freier Wille.
 
Gesamtgesellschaftlich betrachtet sollten Anstand, Sittlichkeit und Moral herrschen. Im Westdeutschland der fünfziger Jahre drehten sich erstaunlich viele Diskurse um die Gefahren von „Schmutz und Schund“, also allem, was mit Lust und körperlicher Liebe zu tun hatte. Bedroht erschienen die guten Sitten durch Sex vor der Ehe, das Zeigen bloßer Haut im Kino oder öffentliches Küssen. Gewarnt wurde vor Ehebruch, Abtreibung, Homosexualität, Masturbation, Kuppelei und Sexualverbrechen. Anfang der 1950er Jahre wurden Kioske in Brand gesteckt, an denen Pornohefte verkauft worden waren, und Kondomautomaten demoliert (Quelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/sexualmoral-im-nachkriegsdeutschland-kein-sex-vor-der-ehe-am-besten-auch-nicht-danach/23072314.html, abgerufen am 11. Mai 20019).
 
Zudem galten zu der Zeit Comics als Inbegriff von Schundliteratur. Dabei war der gesellschaftliche Diskurs deutlich von einer kulturpessimistischen Haltung geprägt, die streng zwischen Hochliteratur und Trivialliteratur unterschied.
Bereits am 14. Oktober 1949 beantragte daher die Fraktion der CDU/CSU im Deutschen Bundestag mit nachfolgendem Wortlaut ein Gesetz nach dem Modell des Gesetzes zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften von 1926, welches bereits in der Weimarer Republik eine Oberprüfstelle für Schund- und Schmutzschriften vorsah:
„Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, angesichts der die deutsche Jugend und die öffentliche Sittlichkeit bedrohenden Entwicklung gewisser Auswüchse des Zeitschriftenwesens ein Bundesgesetz gegen Schmutz und Schund vorzulegen.“ (Bundestag, Wahlperiode 1, Drucksache Nr. 103)

Erstmals wurden Werke auf den Index gesetzt. Dabei handelte es sich um den Comic „Jezab, der Seefahrer“ aus dem Walter Lehning Verlag sowie um das Heft 12 der italienischen Comic-Reihe „Der kleine Sheriff“ (Il piccolo sceriffo). Zur Begründung der Indizierung dieses Bandes hieß es: dort sei über mehrere Seiten hinweg ein Mordversuch geschildert worden.
Eine derartig fortgesetzte Darstellung könne auf junge Leser verrohend wirken, befand die Behörde, die zur Durchführung des Jugendmedienschutzes gegründet worden war. Seit einer Gesetzesänderung 2002 hat die Jungendschutz-Institution mit Sitz in Bonn den Namen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien und ist auch für neue Medien zuständig.

 
Beispielbild © Walter Lehning Verlag

In der Weimarer Republik erschien der Schund vielen als Folge der Demokratisierung und wurde oft als Argument für den Ruf nach einer stärkeren Obrigkeit benutzt. Am 18. Dezember 1926 wurde das Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften erlassen. Diese Phase des Schundkampfes wurde in der Zeit des Nationalsozialismus von der rigorosen Zensur der Reichsschrifttumskammer abgelöst.
Aufgrund des in den 1950er Jahren vorherrschenden Schutzbedarfs leitete die Bundesregierung schließlich am 28. Juni 1950 dem deutschen Bundestag unter Berücksichtigung der nunmehr verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte der Kunst-, Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit einen Entwurf für ein Gesetz über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften nebst Begründung zu. Die Federführung für das Gesetzgebungsvorhaben lag damals beim Bundesministerium des Innern. Über die Aufnahme in die Liste sollten ausweislich des Entwurfs Landesprüfstellen entscheiden, über Beschwerden gegen diese Entscheidungen die Bundesprüfstelle.
 
In der Begründung hieß es unter anderem:
„[…] Dagegen weicht der Entwurf grundlegend von dem Reichsgesetz ab, als er jegliche Diskriminierung der betroffenen Schriften zu vermeiden trachtet. Die Prüfstellen sind keine Zensurstellen, die ein absolut gültiges, moralisches oder aesthetisches Werturteil zu fällen haben. Für sie besteht allein das erzieherische Problem, ob eine Schrift aus sittlichen Gründen Jugendlichen ferngehalten werden sollte. Wie eine solche Schrift in den Händen Erwachsener zu beurteilen ist, steht für die Prüfstellen nicht zur Erwägung. […]
 
In gleicher Weise, wie es Filme gibt, die für Jugendliche verboten sind, sollen künftig auch jugendgefährdende Schriften durch die im Gesetz genannten Maßnahmen der Jugend ferngehalten werden. Während namhafte Teile der deutschen Filmwirtschaft vor einiger Zeit aus eigner Initiative ein Selbstkontrollorgan geschaffen haben, das zu 50 % mit Vertretern des öffentlichen Lebens besetzt ist, sieht der Bund sich genötigt, auf dem Gebiet des Verlagswesens selbst eine solche Kontrollstelle zu schaffen, da in den vergangenen fünf Jahren weder die Verlegerschaft noch der Buch- und Zeitschriftenhandel es vermocht haben, die Jugend vor diesen schädlichen Einflüssen zu bewahren. Daß die Gefahr dringend geworden ist, zeigt die sich ständig mehrende kriminelle Betätigung Jugendlicher, Erfahrungsberichte von Jugendrichtern, aber auch von Ärzten beweisen, welche verheerende moralische Wirkung viele heute frei käufliche, insbesondere auf sexuellen Anreiz gerichtete Schriften für Jugendliche im Pubertätsalter haben können. […]
 
Die Definition „geeignet, Jugendliche sittlich zu gefährden", ist weit auszulegen und beschränkt sich keineswegs auf das Sittliche im geschlechtlichen Sinne. Sie erfaßt auch Abhandlungen und Erzählungen, die durch Verherrlichung des Verbrecherischen sittlich bedenkliche Vorstellungen in Jugendlichen auslösen können (wie gewisse Kriminalromane).“
 
1953 wurde schließlich vom Deutschen Bundestag das „Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften“ (GjS) beschlossen, das am 14. Juli 1953 in Kraft getreten ist.
Im GjS war zur Durchführung des Jugendmedienschutzes eine Bundesoberbehörde unter dem Namen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) vorgesehen. Die im Entwurf vorgesehene Struktur, die Prüftätigkeit bei Landesprüfstellen anzusiedeln, die im Einzelfall von einer Bundeprüfstelle überprüft werden sollten, wurde im Gesetzgebungsprozeß aufgegeben.
Die Zuständigkeit für die Entscheidung über eine Aufnahme in bzw. Streichung aus der Liste jugendgefährdender Medien war und ist auch nach 65 Jahren der Bundesprüfstelle vorbehalten.
Die neu eingerichtete Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften hatte am 18. Mai 1954 nun ihre konstituierende Sitzung. Das zweite für die BPjM im historischen Rückblick relevante Ereignis fand am 9. Juli 1954 statt. An diesem Tag fand die erste Sitzung des 12er-Gremiums der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften statt.
 
Am 9. Juli wird somit der an dieser Stelle vorgenommene Rückblick zu den Anfängen der Behörde ergänzt durch eine Betrachtung der Entwicklungen, die seit der ersten Bewertung von Medieninhalten hinsichtlich ihrer Jugendgefährdung in einer Gremiumssitzung stattgefunden haben. Angekommen im Heute wagen wir aber natürlich auch einen Ausblick auf die nächsten 10 Jahre. Denn eines ist sicher, aufgrund der digitalen Transformation bleibt nichts wie es ist und dies gilt insbesondere für den zu gewährleistenden Kinder- und Jugendmedienschutz. Der an dieser Stelle vorgenommene Rückblick zeigt aber doch auch in durchaus ermutigender Weise, daß selbst Ansätze, die bereits in dem 1953 in Kraft getretenen Gesetz über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften eingeflossen sind, auch heute noch Geltung haben, insbesondere die Notwendigkeit eines Grundrechte orientierten Aushandlungsprozesses über die Normen und Werte, die die Erziehungsziele für unser gesellschaftliches Zusammenleben prägen. Dies wiederum läßt den Rückschluß zu, daß es trotz des hohen Reformbedarfs des Rechtsrahmens des Kinder- und Jugendmedienschutzes ein tragendes Fundament gibt, das zur Wahrung der digitalen Kinderrechte auf Schutz, Befähigung und Teilhabe in seinem Kern ins 21. Jahrhundert geholt werden muß. Dieser Kerngedanke ist der Anspruch, Kindern und Jugendlichen sozialethische Orientierung zu geben. Für die Erfüllung dieses Anspruchs sind letztlich alle gesellschaftlichen Akteure verantwortlich, von denen die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien einerseits ein Teil ist und andererseits in besonderer Weise Verantwortung für den gesellschaftlichen Diskurs trägt. Durch die fortwährend weiterzuentwickelnde Spruchpraxis werden im Austausch mit der Gesellschaft die Werte verteidigt, die für ein gedeihliches Zusammenleben unverzichtbar sind. Der darin zum Ausdruck kommende Zusammenhalt in der Gesellschaft ist der für die Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit unverzichtbare Entwicklungsraum für Kinder und Jugendliche.
 
Weitere Informationen:  www.bundespruefstelle.de

Redaktion: Frank Becker