Wie die Welt von innen ihre Form erhält
Von Ernst Peter Fischer
Die Rolle der Energie
Das Besondere ist nun, daß der Wandel, der zu den Genen und zum Menschen gehört, ganz tief im Inneren der Welt und ihrer Dinge – also in den Atomen – zu finden ist und genau das Innen ausmacht, das Menschen seit der Antike suchen. Natürlich denkt man zuerst und dachte man viele Jahrhunderte hindurch, daß es im Mikrokosmos so zugeht wie im Makrokosmos, daß also die Atome kleine Dinge sind und nicht viel anders zu verstehen und nur zahlreicher sind als ihre größeren Gegenstücke im Alltag. Aber wer sich ernsthaft auf den Aufbau der Materie einläßt, kommt mit diesem Gedanken nicht weit. Um über das Innen aber nicht nur in der mathematischen, sondern auch in einer vertrauten Sprache reden zu können, empfiehlt sich der Rückgriff auf die merkwürdige Größe namens Energie, die schon mehrfach ihren Auftritt hatte. Das Wort ist zwar vielfach aus politischen Debatten um erneuerbare Formen und durch esoterische Werbung bekannt, die Menschen energetische Körperarbeit anbietet, die damit gemeinte Größe stellt aber vor allem ein Geheimnis dar, wie man sich allein dadurch klarmachen kann, daß man fragt, was die Physik darüber weiß. Seit dem 19. Jahrhundert kennt diese Wissenschaft mit Sonderstellung ein Gesetz, das sie sogar als Hauptsatz anspricht und das knapp und klar besagt, „Die Energie der Welt ist konstant.“ An dieser Feststellung ist nichts zu rütteln, wie im 20. Jahrhundert überzeugend bewiesen werden konnte, und sie hat es in sich, wenn man sie anders formuliert. Der Hauptsatz besagt nämlich, daß Energie unzerstörbar ist und damit weder verschwinden noch hervorgebracht werden kann. Die große Qualität der Energie besteht in ihrer Wandlungsfähigkeit, und wenn man beides zusammennimmt – ihre ewige Verfügbarkeit (Unzerstörbarkeit) und ihre Wandelbarkeit –, dann kann man sich vorstellen, daß im Inneren der Atome keine Materie mehr ist, wie Heisenberg feststellen mußte und was Max Planck in die erstaunlichen Worte faßte, „Materie an sich gibt es nicht. Es gibt nur den belebenden, unsichtbaren Geist als Urgrund der Materie mit dem geheimnisvollen Schöpfer“.
Den Gesetzen der Physik zufolge muß in diesem Zentrum der Dinge, im Innersten der Welt, auf jeden Fall Energie vorhanden sein, und sie macht dort, was sie am besten kann. Sie wandelt sich, und damit kommt die Welt in Bewegung, und zwar aus ihrer Mitte heraus, wie jedem Romantiker vertraut sein und gefallen dürfte. Der Physiker Hans Peter Dürr, ein Schüler von Heisenberg, hat das so ausgedrückt, „die Welt im Allerkleinsten … ist kein Stoff mehr, nur noch Form, Gestalt, Symmetrie, Beziehung“. Und er riskiert die Formulierung, „am Grunde bleibt nur etwas, was mehr dem Geistigen ähnelt“, was ebenfalls dem romantischen Denken eigen ist, das grundsätzliche eine polare Welt vor Augen hat, in der zum Tag die Nacht, zum Sichtbaren das Unsichtbare und zum Materiellen das Immaterielle gehört, um ein paar Beispiele der Polarität zu nennen, die in einem Vorgang wie dem der Bildung deshalb eingewoben sind, weil mit diesem Substantiv sowohl das Machen (Schaffen) als auch das Gemachte (Erschaffene) erfaßt werden. Bildung ist sowohl ein Prozeß als auch sein Ergebnis.
Nun fügt es sich, daß seit kurzem die Spatzen von den Dächern der Physikinstitute pfeifen, daß man auf eine erstaunliche Verbindung gestoßen sei. Sie besagt, „Die Eigenschaften des Geistigen entsprechen haargenau denjenigen Charakteristika, die die äußerst rätselhaften und wunderlichen Erscheinungen der Quantenwelt auszeichnen“, womit vor allem die Atome und ihr Innenleben gemeint sind. Vor allem die Eigenschaft von Quantenobjekten, miteinander verschränkt zu sein durch Wechselwirkungen verbunden zu sein, die mehr metaphysischen als physikalischen Charakter zu haben scheinen, gibt den Atomen und Elektronen die entsprechenden Dimensionen, wobei man auch das Gefühl hat, daß die genannten Gegebenheiten nicht einfach nur da sind, sondern durch unauflösbare Verbundenheit mit anderen Quantenerscheinungen stets Energie mit ihnen austauschen und also auf ihre Existenz durch die Frageform hinweisen.
Der Physiker Dürr bestätigt gerne, daß im Inneren der Materie keine Materie und im Inneren der Welt keine Dinge sind. Dafür trifft der forschende Mensch dort auf ein dynamisches Geschehen, in der die Energie ihre Möglichkeiten entfaltet, was man auch zu dem Satz erweitern kann, daß im Innen keine Wirklichkeit zu finden ist, dafür aber die Möglichkeiten, aus denen die Wirklichkeit geschaffen wird, und zwar mit der Energie, die genau diese Qualität im Wortsinne auszeichnet. Dürr erkennt im Innen „ein ständiges Entstehen und Vergehen“, und er meint, „in jedem Augenblick wird die Welt neu geschaffen“, und zwar aus den Möglichkeiten, die auf ihre Verwandlung warten, durch die Energie, die selbst dabei immer neue Formen annimmt. Dank der geheimnisvollen Energie gelingt echte Kreation, nämlich die Verwandlung des Möglichen in das Wirkliche, und während Menschen dieses Wirkliche erkunden, finden sie zurück zu dem Möglichen, aus dem sie stammen. Das Geschöpf kann seiner Schöpfung zusehen, auch wenn man die nicht unbedingt einem geheimnisvollen Schöpfer in die Hände legen möchte, wie es Max Planck empfohlen hat. Mal sehen, ob man seinen Schleier etwas anheben kann, und mal abwarten, was sich dabei zeigt. Oder wartet da gar keine Überraschung mehr?
© 2018 Ernst Peter Fischer
|