Was wäre, wenn es die Beatles nie gegeben hätte?

„Yesterday“ von Danny Boyle

von Renate Wagner

Yesterday
(GB 2019)

Regie: Danny Boyle
Mit: Himesh Patel, Lily James, Ed Sheeran, Kate McKinnon u.a.

 
In der seriösen Geschichtsschreibung sind „Was wäre, wenn“-Fragen verpönt. Was wäre, wenn Alexander der Große nicht so jung gestorben wäre, wenn er die Vermengung der Kulturen fortgesetzt hätte, den östlichen Kosmos bis weit über Indien in den europäischen einbezogen hätte? Die Welt von heute sähe zweifellos anders aus. Aber er ist jung gestorben, und wir wissen nicht, wie alles anders gekommen wäre, wenn…
Das Kino muß es nicht so ernst nehmen wie die Historie, dort darf man eigentlich alles. Dieser Film stellt eine weit irrelevantere Frage, die trotzdem Millionen Menschen mehr interessieren wird als Spekulation über eine Alexander-Welt: Was wäre wenn – wenn es die Beatles nie gegeben hätte?
Die „Beatles“. Die was? Damit das möglich ist, daß sie nicht einmal in Google auffindbar sind, dafür muß die Welt schon einmal total „ausfallen“ – nur 12 Sekunden lang, aber das reicht (erklärt wird das nie, muß es auch nicht, der ganze Film basiert mehr oder minder auf Unsinn). Man hat Malik, den indischen Briten (Himesh Patel), schon kennen gelernt, man weiß, daß er gerne ein Pop-Star wäre, man hat auch längst kapiert, daß außer seiner reizenden Freundin Ellie (Lily James in bezaubernd gestrigem Look) gar niemand bereit ist, an ihn zu glauben. Man ist schließlich nur im ländlichen Suffolk.
Dann wird er während des Stromausfalls von einem Auto bewußtlos gefahren – und, weiß der Himmel, wieso, danach singt er einen Beatles-Song vor sich hin. Wenn er Ellie die weltberühmte Frage „Will you still feed me when I’m 64?“ stellt, weiß sie nicht, wovon er redet. Nur er erinnert sich – und folglich kann er „Yesterday“ oder „All you need is love“ neu erfinden. Kein Wunder, daß er jetzt Erfolg hat: Diese Songs sind ja auch verdammt überzeugend.
 
Der nächste Teil des Films macht aus einem kleinkalibrigen Briten einen Star, wobei er in die Hände der ekligen Managerin Debra (Kate McKinnon) fällt, die uns zeigt, wie ungut das Business eigentlich ist: Wie neulich auch in dem Elton-John-Film wird gezeigt, wie normale Menschen („Is this the best you can look?“ fragt sie ihn) zu Kunstfiguren gemacht werden, um sie in einem leeren Glitzerbusiness zu „verkaufen“ und die „Schauer von Geld und Ruhm“ über sie zu ergießen… Und ohne „Image“ geht das nun einmal nicht. Doch wenn unser Held, der doch einmal ein schlichter britischer „Fish & Chips“-Boy war, dann merkt, daß er seine menschliche Seite (und seine Liebe) verliert – na, dann kommt es, wie es kommen muß.
Regisseur Danny Boyle hat mit „Trainspotting“ schon härtere Kost serviert, auch „Slumdog-Millionär“ war nicht ganz so nett, aber vielleicht liegt es am Drehbuch von Richard Curtis, der ein paar der hübschesten englischen Unterhaltungsfilme geschrieben hat („Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ oder „Notting Hill“): Regisseur und Drehbuchautor blättern hier einfach ein irrationales Pop-Märchen auf – mit viel Gesang (Himesh Patel singt die Beatles-Schlager auf seine Art selbst) und vielen Konzert-Szenen mit kreischenden Fans.
Und für diese – wirklich nur für Pop-Fans – ist der Film gemacht, und sie werden auch Rotschopf Ed Sheeran erkennen, der sich selbst spielt und der Leuten, die vordringlich in die Oper gehen, möglicherweise unbekannt ist.
Das alles ist so weit nicht unlustig, aber eine Frage drängt sich unweigerlich auf: Wenn es doch die echten Beatles gegeben hat – warum muß man seine Songs von einem sympathischen, aber irrelevanten jungen Inder singen lassen? Und sie auf solchen Umwegen „unecht“ auf die Leinwand bringen? Nur um zu zeigen, wie unvorstellbar die Welt ohne ihre Songs wäre? Nun ja, das ist immerhin ein Argument…
 
 
 
Renate Wagner