Jeder dritte hat `ne Meise!

Alan Coopers „Der Neurosenkavalier“ im WTT

von Frank Becker

Verena Sander, Dirk Volpert - Foto © Michael Sieber

Jeder dritte hat `ne Meise!
 
Am Silvesterabend feierte  Alan Coopers
„Der Neurosenkavalier“
eine umjubelte Premiere im WTT
 
Von Frank Becker
 
Es ist ein schweres Unterfangen für eine kleine Bühne, mit einer Inszenierung der Boulevard-Komödie „Der Neurosenkavalier“ gegen die schon legendäre (immer noch auf Tourneen gezeigte) Aufführung mit Claus Biederstaedt (mittlerweile 80) anzutreten. Das WTT hat es gewagt – und gewonnen. Unter der Regie von Herbert Tichy, der kurzfristig für den erkrankten Intendanten Wolfgang Eysold einsprang, gelang ein spritziges, intelligentes Spiel mit Macken und Marotten – Liebeswirren eingeschlossen.
 
Felix Bollmann (Dirk Volpert) ist ein notorischer Dieb, der in der Vorweihnachtszeit – die Premiere war passend für den 14.12. vorgesehen und musste verschoben werden – die Filialen der Kaufhauskette HORTI um ihre Kassenbestände erleichtert. Auf der Flucht stolpert er in die Praxis eines Psychotherapeuten, dessen Sprechstundenhilfe (sehr süß: Claudia Sowa) dringend auf die angekündigte Vertretung wartet. Bollmann schlüpft geistesgegenwärtig in diese Rolle und in die vorläufige Sicherheit. Die Begegnung mit den drei Patienten des Tages besteht er dank guter Menschenkenntnis und Lebenserfahrung mit Bravour, doch muß er unfreiwillig weitermachen, da die sympathische Kleptomanin Sybille Bast (schick: Pascale-Viviane Flückinger) prompt seine Tasche mit der Beute klaut. Die – zunächst nur die Tasche – will er zurück haben. Auch dem echten Praxis-Vertreter Dr. de Witt (schüchtern: Björn Lenz) weist er schlagfertig einen Part im Verwirrspiel zu.
     Inzwischen heilt Bollmann, da er nun schon mal da ist und sich gar Fachliteratur zugelegt hat, als der Neurosenkavalier die Autorin des Romans „Sturm im Wasserbett“ Claudia Carrera (knackig: Verena Sander) von ihrem der Herrenwelt durchaus angenehmen Bikini-Komplex, zeigt dem verschüchterten Finanzbeamten Appelhans (gekonnt verklemmt: Thomas Ritzinger), daß ein echter Elvis in ihm steckt und gewinnt schließlich das Herz der eleganten Diebin. Als auch noch der ob der vergeblichen Fahndung nach dem HORTI-Dieb depressive Kommissar Maiwald (Herbert Tichy) in die Sprechstunde kommt, zeigt Felix echte Größe – und therapiert auch ihn erfolgreich.
     Volpert gibt seinem Therapeuten wider Willen den Pfiff einer nachvollziehbar wachsenden Beherrschung der Psycho-Materie und verleiht der von Alan Cooper und seinem Übersetzer Gunther Beth intendierten Kritik an der Analyse liebenswürdig Gestalt. Flückinger zeigt in Augenhöhe sympathische Souveränität – ein amüsantes Paar mitten in einem ebenso sympathischen Menschenzoo. „Jeder dritte hat `ne Meise“, stellt der Neurosenkavalier statistisch fest und schaut amüsiert ins Publikum. Das zählt heimlich durch...