Grandiose Tristesse

Ein Musenkuß für Gregory Crewdson "Beneath the Roses" ( Werke 2003-2007)

von Frank Becker

© Hatje Cantz

Fotos, die den Atem nehmen

Gregory Crewdson inszeniert Bilder von unwirklicher Schönheit


Der Aufwand an Personal und Material für die Foto-Inszenierungen des heute 46 Jahre alten US-amerikanischen Fotokünstlers Gregory Crewdson ist nicht geringer als der einer aufwendigen Spielfilmproduktion, und sein Stab unterscheidet
sich nur unwesentlich von dem, der für solche Produktionen benötigt wird. Das Ergebnis der unerhörten künstlerischen Planung, hinter der ein genialer Kopf steckt, ist atemberaubend. Der Verlag Hatze Cantz hat Geregory Crewdson in sein Programm aufgenommen - und sich damit eine Option von hohem Rang gesichert.

Genialer neuer Weg

"Beneath the Roses - Werke 2003 - 2007" lautet der schlichte Titel, dessen Sprachmelodie eher nach viktorianischen Gärten als nach der harten, ja brutalen Realität amerikanischer Vor- und Kleinstädte klingt. Diese Realität aber ist es, die Crewdson mit sicherem Gespür für ihre erschütternde

Summer Rain © Gregory Crewdson
Seelenlosigkeit zum Zentrum seiner Arbeit macht. Daß er sich zu Edward Hopper bekennt, kann nicht verwundern. Die Kälte von Bildern wie "Nighthawks", "Office at night" oder "Hotel Room" schlägt uns auch aus den Fotografien Gregory Crewdsons entgegen. Doch auch die unwirklichen Ausdrucksformen eines René Magritte oder der Realismus von z.B. Charles Birchfield haben gewisse Spuren hinterlassen. Gregory Crewdson kehrt mit seinen Arbeiten die Entwicklung in der darstellenden Kunst um, besser: er treibt sie auf eine unerhörte Spitze. Wo einmal die Fotografie parallel zum französischen Impressionismus mit dem Ziel angetreten ist, die Malerei in Perfektion zu kopieren und die Malerei beinahe 100 Jahre später im sogenannten Fotorealismus die Fotografie kopierte, hat Crewdson einen - man darf sagen: genialen - Weg gefunden, nunmehr durch die völlig neue Inszenierung von Fotografie beides zu konterkarieren.

Die Sensation des Normalen

Die wie in einer Katalepsie "eingefrorenen" kunstvoll arrangierten und aufwendig besetzten Szenen wirken begehbar wie die Objekte Edward Kienholz´, sie wecken in ihrer Nähe zu Film-Stills beinahe die Illusion, interaktiv benutzbar zu sein. Sie sind in ihrer überwiegend depressiven Trostlosigkeit abschreckend und zugleich von  voyeuristischer Faszination - dem tremendum fascinosum kann man nicht ausweichen. Die Sensationen der Bilder Crewdsons liegt im grauenhaft Normalen, was ihn wieder mit Hopper verbindet. Wir bekommen nicht die heile Welt eines Norman Rockwell
 
Maple Street © Gregory Crewdson
vorgegaukelt - Crewdson zeigt sich mit Bildern, deren Aussage häufig an die Depression der 30er Jahre erinnert, visionär. Sein Amerika steht an einem Abgrund - einem der Seelen. Die Einsamkeit des Individuums, der Schmutz des im Verborgenen ausgeübten Koitus, die Ratlosigkeit zwischen kalten Mauern, die Resignation vor brutalen Spiegeln, die bleierne Dämmerung und Nacht, die Abwesenheit jeder Hoffnung faßt mit knöcherner Hand auch nach dem Herzen des Betrachters, legt sich wie Eis auf seine Brust. Menschen wenden sich trotz unmittelbarer Nähe voneinander ab, verlassen scheinbar völlig unmotiviert ihre Autos, Symbole der amerikanischen Mobilität und Gesellschaft, die mit geöffneter Tür im Regen und oft mitten auf gespentisch leerer Straße stehen bleiben, verharren schutzlos dem Schicksal ausgeliefert da, wo sie ein Schicksal hingeworfen hat.

Grandiose Tristesse

Gregory Crewdsons Bilder sind von grandioser Tristesse. Ein jedes erzählt aufs Neue von verlorenen Menschen, einer verlorenen Gesellschaft. Der seelische Sog, der von den Sujets ausgeht macht schwermütig, aber auch sehr, sehr neugierig. Deshalb kann und will man den Blick von der unwirklichen Schönheit der Crewdson-Inszenierungen nicht abwenden. Ihm und seinem Werk gebührt höchste Auszeichnung: ein Musenkuß für "Beneath The Roses".

Blue © Gregory Crewdson




Informationen zum Buch:

Gregory Crewdson
- "Beneath The Roses - Werke 2003-2007"  - mit einem Essay von Russell Banks
© 2008 Harry N. Abrams Inc. - Hatje Cantz Verlag - Gregory Crewdson
140 Seiten, gebunden mit farb. Schutzumschlag, 40 x 30 cm Querformat, 128 Abbildungen, überwiegend ganzseitige farbige Illustrationen auf 170 g-Papier. ISBN 978-3-7757-2173-8
49,80 €
Weitere Informationen unter: www.hatjecantz.de