Schöne Post im Kasten!
Seit 150 Jahren gibt es in Deutschland Postkarten.
Das immer größer werdende Angebot an originellen und lustigen
Exemplaren dieses praktischen Vehikels zur kurzen Nachrichten-
oder Grußübermittlung regt zu einer Betrachtung an.
Schreib mal wieder!
Erste Verluste fügte früh der Fernsprechapparat der Briefpost zu, das „Fräulein vom Amt“ verknüpfte schneller, als es der Briefträger schaffte. Schließlich konnte man gar selber wählen („Wähle 333 auf dem Telefon, wähle 333 und du hast mich schon...“ - O-Ton Graham Bonney), heutzutage bis in den hintersten Winkel der Mongolei und wenn man will, mit dem Mobiltelefon von jedem Platz der Welt, ob Klo oder Linienbus („Ich bin hier grad' in der Linie 733 am Borsigplatz - ich fahr noch nachem ALDI, dann komm ich zu Hause“, teilt jeder Schwachkopf den Mitreisenden und seinem Telefonpartner heutzutage mit). Man kann sogar Textbotschaften und Bilder in Fülle und Echtzeit versenden.
Elektropost
Aber erst noch einmal zurück: Dann der nächste Schlag ins Gesicht des anständigen und aufs Briefaufkommen angewiesenen Zustellers: Fax! Häßliche Billigkopien von der Endlosrolle spie mit einem Mal der ans Telefon angeschlossene Impulsnehmer aus, die
Aber schauen wir mal zurück
Gibt es noch Rettung? Doch, wir wollen nicht verzweifeln – einer aktuellen Statistik zufolge hat die Postkarte, die seit 150 Jahren in Deutschland unauffällig aber beharrlich in der zweiten Reihe steht, noch immer erstaunlich viele Freunde. Sogar mehr als 50 % der jungen Menschen ziehen einen Urlaubsgruß per Karte dem per Smartphone versandten Gruß mit Selfie vor. Die Postkarte steht allenthalben in bunten Variationen bereit und zeigt sich für den Kurz-Mitteiler attraktiver und schillernder als je zuvor. Wir sprechen hier von der rechteckigen, aus festem Karton bestehenden Erfindung des Generalpostmeisters Heinrich von Stephan, 1865 erstmals von ihrem Erfinder der Postkonferenz der deutschen Staaten vorgeschlagen, 1869 in Österreich eingeführt und schließlich 1870 im Norddeutschen Postgebiet: der Postkarte des Weltpostvereins, anfangs Correspondenzkarte genannt und, wie sich gehört, vom Weltpostverein normiert.
Das schlichte Stückchen Pappe wurde seitdem sehr gut angenommen und erfreut sich vor allem für den Glückwunsch- oder Urlaubsgruß ungebrochener Beliebtheit. Eine kurze Mitteilung sollte seinerzeit schnell den Empfänger erreichen und nicht viel kosten. Das klappte auch, denn über Jahrzehnte, bis weit ins 20. Jahrhundert konnte man für 5 Pfennige Porto innerhalb von 24 Stunden Nachrichten von Berlin nach Thorn, von Tübingen nach Hamburg oder von Lieberhausen nach Elberfeld expedieren – Absende- und Eingangsstempel belegen das. Innerhalb einer Stadt war die Übermittlung sogar vom Vor- bis zum Nachmittag garantiert: „Lieber Wilhelm, ich komme heute Nachmittag um 1/2 vier Uhr zum Kaffee bei Euch vorbei.“ Zustellung zweimal täglich. Goldene Zeit! Mit viel Glück gelingt das heute innerhalb 1-2 Tagen, manchmal brauchts aber auch eine Woche – aus Italien und Griechenland auch gerne mal vier Wochen - und kostet den deutschen Postkunden in jedem Fall 60 Cent im Inland und 95 Cent für den Versand in andere Länder (seit Anfang Juli 2019).
Eine Freude für Empfänger und Sammler
Zurück zur Geschichte der Postkarte. War es einst zunächst eine schmucklose Mitteilung, entwickelte sich bald eine Kombination von
Schnell kamen andere Themen- und Motivkreise dazu - Glückwunschkarten zu allen möglichen Anlässen: Geburts- und Namenstag, Einschulung, Ostern, Pfingsten, Weihnachten und Neujahr, Kommunion und Konfirmationen, Jubiläum, Führerschein, Scherzkarten und leider auch ungezählte Feldpostkarten. Mit vaterländischem Pathos, Liebes-Wehmut und galligem Galgenhumor wurde vor allem auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkrieges dem Untergang des Vaterlandes und dem eigenen Tod ins Auge geblickt: „Ich hatt einen Kameraden...“. Mit Lilien wurde gar die „Deutsche Unschuld am Weltkrieg“ beschworen.
Schier unerschöpflich zeigte sich die Welt von Illustration, Idee und Motiv. Und weil der Mensch ein Wesen ist, das sehr über das Auge lebt und genießt, wurde bald erkannt, daß Absender und Empfänger das Originelle und das Opulente zu schätzen wissen und
Filmstudios, Plattenfirmen und Musikverlage ließen die Konterfeis ihrer Stars auf Autogrammkarten drucken, Firmen jeder Art transportierten ihre Werbung per Postkarte, Parteien ihre Wahlparolen und die Kirchen fromme Sprüche. Denn auch Jesus, Maria & Co. fanden vor allem an Wallfahrtsorten reichlich Zuspruch auf Karten.
Ein neues, attraktives Steckenpferd entstand: das Sammeln von Postkarten. Die wurden in prächtige Alben gesteckt, nach Motiven und Serien sortiert und so sorgfältig aufbewahrt, daß viele davon zwei Weltkriege überdauert haben und im Nachhinein heute noch Freude machen können. Apropos Pin-Up: Diese Karten werden heutzutage zu gesuchten Raritäten, hat doch der scharfe Wind der sogenannten Political Correctness diesen Augenschmaus unter dem Druck von modernen Soufragetten weitgehend an den Rand, wenn nicht ins Aus gedrängt. Und weil das Sammeln nun mal eine Wissenschaft ist, gibt es dazu Kataloge, Untersuchungen und Sekundärliteratur. Ja es soll sogar schon mal ein Wuppertaler Student die Postkarte zum Thema seiner Doktorarbeit gemacht haben! Apropos: Couleur- und Motivkarten studentischer Verbindungen waren bis 1933 äußerst beliebt. Bis die Nationalsozialisten die Verbindungen verboten.
Mit Kitsch und viel Humor
Die Fülle der angebotenen hübschen, ästhetischen, originellen, witzigen und künstlerischen Bildpostkarten ist mittlerweile nahezu
Daß es darunter natürlich auch Ausreißer gibt, liegt auf der Hand. Gewitzte Beobachter haben aber auch das zum Thema genommen und solche öden Postkarten findet man dann (natürlich auch gesammelt und liebevoll zusammengestellt) in köstlichen Büchern wie „Boring Postcards“ / „Langweilige Postkarten“ aus der Sammlung Martin Parr oder „Bild der Heimat – Die Echt-Foto-Postkarten aus der DDR“. Es ist, glauben sie mir, höchst kurzweilig, sich aufmerksam auch solche Exemplare anzuschauen. Aber Vorsicht – macht süchtig!
Ein ganz eigenes Thema ist die Erotik auf der Postkarte - oben haben wir das ja bereits bei den Reisegrüßen angeschnitten. Von Anbeginn der Geschichte der Postkarte haben „anrüchige“ (oder scheinbar anrüchige) Darstellungen des unbekleideten weiblichen Körpers - die Männer kommen hier eindeutig kaum bis gar nicht vor - eine nicht unwichtige Rolle gespielt. Die Entwicklung der Fotografie bot den Herstellern solcher pikanten Karten natürlich ein weites Feld mit ungeahnten Möglichkeiten und unerschöpflichen Variationen der Motivwahl von harmlos bis gewagt, von ästhetisch bis billig, von schön bis schlüpfrig. Die werden natürlich nur heimlich gesammelt...
Es gibt Postkarten mit 3-D-Effekt und Holgrammen, Lentikular-Karten, die beim Kippeln einen sich veränderndes Bild zeigen, welche aus Blech, andere, die mit Stoff oder Kunstfell überzogen sind, Werbe- und Ansichtskarten mit aufgezogener Schallfolie, die problemlos auf einem Plattenspieler ihre musikalische Botschaft abspielen lassen (siehe unten), Karten mit eingelegten Drehscheiben und... und... und...
Tips, wo´s gratis ist
In Kneipen und Cafés (Tip!) gibt es häufig auf dem Gang zum Klo nette Gratis-Postkarten-Ständer, deren kostenlose Angebote meist Werbebotschaften transportieren, z.B. „City-Cards“ und „Edgar auf der Karte“ (lesen sie zu Edgar hier unseren Jubiläumsbericht). Meist im Format 10 x 15 cm gibt es eigentlich nichts, was es als Thema auf der Karte nicht gibt: dumme Sprüche, konfuzianische Weisheiten, echte Kunst, dern Parodie oder pure Reklame – meist aber originell. Im Zweifelsfall bastelt man sich flugs selber eine. Eigene Fotos sind beliebt.
Nur ein paar Beispiele aus der Fülle können wir hier zeigen, als Anregung, die Postkartenständer in Buchhandlungen, Post-Agenturen, Schreibwarengeschäften, Souvenirläden und 1-€-Läden zu durchstöbern, die Beute zu beschriften, zu adressieren und ordentlich frankiert (neues Porto, s.o.!) zur Freude der Empfänger und der Postboten auf den Weg zu bringen.
Mir klingt noch der Ruf meines früheren Zustellers Heribert B. durchs Treppenhaus im Ohr: „Komm runter, is' schöne Post im Kasten!“
Literatur (Auswahl):
- „Langweilige Postkarten“, Phaidon, o.J.
- „An der Quelle saß der Knabe“ – Postkarten aus alter Zeit, Heyne Exlibris, 1977
- Robert Lebeck/Gerhard Kaufmann „Viele Grüße…“ – Eine Kulturgeschichte der Postkarte
Harenberg Verlag, Die bibliophilen Taschenbücher, 1985
- Wilhelm Stöckle „Deutsche Ansichten“ – 100 Jahre Zeitgeschichte auf Postkarten, dtv 1982
- „Bikini in den Bergen“ – Ein Postkartenbuch, Scheidegger & Spiess, 2015
- Dieter Weidemann „Postkarten von der Ansichtskarte bis zur Künstlerkarte“, Deutscher
Kunstverlag, 1996
- Wolfgang Till „Alte Postkarten“, Battenberg Verlag, 1994
- Barbara Jones / William Oulette „Erotische Postkarten“, DuMont Buchverlag, 1977
- Erasmus Schröter „Bild der Heimat“ – Die Echt-Foto-Postkarten aus der DDR, Schwarzkopf
& Schwarzkopf, 2002
- „Grüße aus der DDR“ – 777 Postkarten, Eulenspiegel Verlag, 2009
© Frank Becker 2019
Alle Abbildungen: Archiv Musenblätter
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