Das Geschäftsmodell „Erotik“

Katrin Rönicke - „Beate Uhse – Ein Leben gegen Tabus“

von Sabine Kaufmann

Das Geschäftsmodell „Erotik“
 
Aus dem Leben der Pionierin Beate Uhse
 
Die Mutter Courage des Tabubruchs“ nennt der Verlag im Waschzettel Beate Uhse (1919-2001), die Geschäftsfrau, die mit eiserner Energie und gegen viele Widerstände von Kirche, Politik und bürgerlichen Initiativen die Erotik zu einem überaus erfolgreichen Geschäftsmodell auf- und ausbaute und ihren Namen zum Markenzeichen machte. Katrin Rönicke hat in ihrer neuen Biographie auf der Grundlage von Beate Uhses/Rotermunds Autobiographie und zugänglichen Archivbeständen versucht, ein neutrales, gelegentlich kritisches, wenn auch durchaus empathisches Porträt der innovativen Unternehmerin, Kunst- und Militärfliegerin, Sportlerin, Naturistin, Mutter, Ehefrau und Geliebten zu zeichnen, die ein Geschäftsimperium mit Versandhandel und zahlreichen Geschäften, auch auf anderen Gebieten als der Erotik aufgebaut und zu Millionen-Umsätzen geführt hat.

     Nach den Anfeindungen von den späten 1940er Jahren bis weit in die 1970er hat der Name „Beate Uhse“ heute beinahe Kultstatus, denn offenbar ist er im Zusammenhang mit Sex und Erotik heute 98 Prozent der Deutschen durchaus geläufig. „Die Pionierin der sexuellen Aufklärung hat aus dem Nichts ein internationales Imperium aufgebaut und gilt als erfolgreichste deutsche Geschäftsfrau des 20. Jahrhunderts. Ende der 40er-Jahre startete die engagierte Aufklärerin mit dem Verkauf von Broschüren über Verhütungsmethoden und hatte bald das Startkapital, um ihr Versandgeschäft für „Ehehygiene“ auszubauen. Bald hatte Uhse über eine Million Kunden. Sie eröffnete den ersten Sex-Shop der Welt“, heißt es im Verlagstext zu dem soeben erschienenen Buch, das sachlich und nicht voyeuristisch die deutsche Entwicklung des Umgangs mit der Erotik nach dem Dritten Reich bis in die Jetztzeit beleuchtet.

     Beate Uhse, die nach ihrer zweiten Eheschließung (ihr erster Mann war im Krieg geblieben) den Namen Rotermund trug, war und ist bis heute die Galionsfigur der sexuellen Befreiung der Frau, wenn sie sich auch später von Protagonistinnen des Feminismus hat auseinandersetzen müssen. Katrin Rönicke ist ebenfalls diesem Lager zuzurechnen, wenn sie sich hier auch um Neutralität bemüht und sogar mit expliziten erotischen Textauszügen spielt – natürlich nur in aufklärerischen Beispielen. Was allerdings bei der Lektüre entsetzlich nervt, je beinahe zum Weglegen des ansonsten interessanten Buches nötigt, ist der geradezu peinliche bis lächerliche Gebrauch des Gender-Sternchens * bei der verkrampften Gleichsetzung in der Diktion, Sie wissen schon: Mitarbeiter*innen, Kund*innen, Journalist*innen, ja sogar Feminist*innen (!) – nicht aber „Dän*innen“, als es um den Pornographie-Import aus Dänemark geht. Da sinds dann doch nur die Kerle, die Dänen.
 
Katrin Rönicke hat zum beruflichen auch den oft schweren privaten Lebensweg dieser außergewöhnlichen Frau, einschließlich der schmutzigen Scheidung von ihrem zweiten Mann, leicht lesbar nachgezeichnet und mit einigen Mystifikationen aufgeräumt, soweit das möglich war. Gleichzeitig gibt sie interessante Einblicke in die Entwicklung des Wandels der öffentlichen Moral unserer Zeit seit 1945, in der noch bis in die frühen 70er Jahre Homosexualität und Abtreibung strafrechtlich verfolgt wurden, der nebulöse Begriff „Unzucht“ durch die Rechtsprechung geisterte, ein verharztes Frauenbild in den Köpfen saß und Ehescheidungen ein schwieriges Unterfangen waren. Die sexuelle Revulution der 60er und 70er Jahre, die befreiende Sexwelle in Medien und Alltag, die Aufklärungs-Kampagnen á la Oswald Kolle und die spätere, jede Erotik entzaubernden Pornowelle veränderten auch die gesellschaftliche Akzeptanz der geschäftlichen Unternehmungen Beate Uhses.
Katrin Rönicke gibt aufschlußreiche Einblicke in den Anteil, den Medien und Kultur, sprich die erotische Literatur und der Film sowie die Zeitschriften-Landschaft und eben Beate Uhses Geschäftsmodell an der Liberalisierung hatten. Daß Beate Rotermund/Uhse zum Ende ihres Lebens öffentliche, staatliche und sogar kirchliche Anerkennung fand und zur Ehrenbürgerin Flensburgs ernannt wurde, ist als Zeichen von Einsichten nicht hoch genug zu schätzen.
 
Katrin Rönicke - „Beate Uhse – Ein Leben gegen Tabus“
Ein Leben gegen Tabus - mit einigen (erotikfreien) Abbildungen
© 2019 Residenz Verlag, 205 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag - ISBN: 9783701734665
22,- €
Weitere Informationen:  www.residenzverlag.com