Aus dem nicht ungefährlichen Leben des Opernfreund-Chefredakteurs auf Reisen - hier in Wiesbaden

Bilsing in Gefahr - Teil 2

von Peter Bilsing

Peter Bilsing
Bilsing in Gefahr - Teil 2
 
Aus dem nicht ungefährlichen Leben
des Opernfreund-Chefredakteurs auf
Reisen - hier in Wiesbaden

Der Nichthoteltip - Das Norman Bates Hotel
Radisson BLU - Schwarzer Bock (Wiesbaden) *****

Das 5 Sterne „Radisson BLU“ liegt verkehrsgünstig mitten in der City - nur fünf Minuten von der Oper entfernt. Ein Katzensprung! Das Hotel arbeitet wie mein Autohersteller Volkswagen. Der Basispreis ist Augenwischerei! Lüge gar. Wenn Sie z.B. zum zur Zeit billigsten VW-Modell den UP für schlappe 9999 Euro greifen wollen, dann bekommen Sie den Wagen unlackiert, denn die einzigen beiden preiswerten Basisfarben - weiß und rot - kosten Aufpreis(!), treiben also den Kleinstwagen über die 10.000-Euro-Schwelle. Das ist ehrlich kein Scherz.

Doch zurück zum Hotel, ich schweife mal wieder ab:
Die angebotenen 110 Billig-Euro addieren sich blitzschnell zu 160 Teuro, wenn man die quasi verpflichtende Parkpauschale und das Frühstück hinzu addiert. Drei Drinks in der Bar, die wenig stilvoll ohne Unterdeckel serviert werden, und man hat blitzschnell und locker die 200er Grenze überschritten.

Aber von Anfang an: Mit einem Fahrzeug, daß auch das „Blu“, wenn auch mit zusätzlichem „e“ im Titel trägt, nämlich Blue-Motion, denke ich doch besonders freundlich und herzlich empfangen zu werden. Solidarität verpflichtet doch...
Irrtum Denkste!
Am Empfang werde ich von einem anscheinend adligen Ober-Concierge in meiner edlen Strickjacke und mit echten (!) Birkenstock Clogs, sowie teurer Victorinox-Sporttasche aus der Schweiz kritisch und blasiert durch die Hornbrille mißtrauisch beäugt. So wie ein klasssicher Pauker seinen Pennäler anblickt, wenn selbiger die Hausaufgaben vergessen oder seine Vokabeln nicht gelernt hat.
Meinem sofort und ohne erkennbare Verzögerung präsentierten HRS-Internet-Reservierungs-Bon widmete er keinen einzigen Blick - pure Verachtung entströmt seinen Zügen. Ich fühle mich als Kröte, als Wurm als Abschaum gar. Total verunsichert bin ich und krame in meiner Erinnerung - wo habe ich das schon erlebt? Na in der Oper!
So schaut Wotan im Ring des Nibelungen (Rheingold) bevor er Alberich den Finger mit dem Ring abhackt. Könnte es sein, daß die preiswerte Internet-Buchungsmethode mich als eine Art schäbigen Kleinverdiener ausweist - einen Trinkgeldschnösel gar? Einen quasi subalternen miesen Hotelgast? Droht mir etwa jetzt das Engländer-Zimmer? Ich schaudere...

„Name! - Kreditkarte!“
Klingt wie früher beim Barras: „Stillgestanden!!“
Meinen Einwand, daß doch die Rechnung vom Einlader (nämlich meiner Schwester) längst bezahlt sei, entgegnete der Livrierte: „Das ist nur zur Sicherheit! Nur zur Sicherheit. Verstehen Sie.!?“ und er schaut mich durchbohrenden Blickes an.
„Nö!“ Ich verstehe nur Bahnhof.
Die blitzschnell nachgeschossene Frage, ob ich den Parkservice nutzen wolle, war eigentlich überflüssig, denn ich könnte mein Fahrzeug ja nicht mit aufs Zimmer nehmen, und vor dem Hotel gibt es nur eine Handvoll Stellplätze.

Auf mein „Ja“ kam sofort die Replik: „Kostet aber 25 Euro - egal ob wir Ihr Fahrzeug vor dem Hotel oder im Parkhaus abstellen!“
Verdammt! - sehe ich wirklich so armselig aus? Ich nehme mir vor, den Bart zu stutzen und die Haare zu schneiden. Meinem kritischen Blick und der kurzen Bemerkung, daß mir ja nichts anderes übrig bliebe - dies also quasi alternativlos sei, begegnete der Empfangsgeneral jetzt schnippisch, schnöselig und beinah mitleidsvoll: „Ahem, Entschuldigung, mein Herr - Sie sind hier in der City von Wiesbaden!“ Und er läßt jedes Wort langsam auf der Zunge zergehen. Was immer er damit sagen will; ich beschließe demnächst mit Zug und Taxi anzureisen. Falls überhaupt noch einmal in diesem Leben...

Auf Zimmersuche
Das Zimmer im dritten Stock finde ich alleine - nach 30 Minuten...
Zwischenzeitlich lernten meine Koffer und ich schon einmal die Sauna, alle Fluchtgänge und das antike Sprudelbad kennen. Hurra! Endlich das Zimmer.
Wie nett! Auf dem Tischlein begrüßen mich zwei Mineralwasserflaschen. Allerdings steht auf dem angehängten Schildlein nicht „Herzlich Willkommen Herr Bilsing, oh großer Opernkritiker“ sondern schlicht und in kurzen Worten „7,40 Euro“! Die zweite Flasche ist ohne Kohlensäure - auch „7,40 Euro“! Ich frage mich, was das wohl für ein edles Gesöff sein mag?

Na wenigstens ist das Kabelangebot gratis und vielfältig - und das Bett lang genug. Wohl doch kein Engländerzimmer. Es gibt rund 60 verschiedene Kanäle - davon 20 arabische und sogar mehrere russische Sender - Dunnerlittchen! Sagt uns das etwas über die Hauptklientel des Hotels? Wohl eher nicht, ich werte es als ein Zeichen für guten Service - obwohl ich einen türkischen Kanal sowenig entdecke, wie einen holländischen oder TV aus China.

Die kurze Zeit bis zum Opernbeginn (Turandot-Premiere) verweile ich im „Dschihad-TV“. Leider wird in dieser Zeit weder die Steinigung einer Frau, noch eine ordentliche Auspeitschung übertragen; noch nicht einmal die passable Live-Aufhängung eines Christen oder sonstiger Ungläubiger gibt es. Ich bin irgendwie enttäuscht. Vielleicht sind das ja doch alles nur Vorurteile. Pornofilmchen gibt es - aber nur im Dreierpack für 18 Euro; anscheinend ist das ein Sonderpreis - während das Pay-TV Kinovorkriegsklassiker schon für schlappe 7 Euro auch einzeln anbietet: „Die Hard“, „Rambo“, „Mission Impossible“....etc. „Casablanca“ suche ich vergebens... Es gibt auch keine Hitchcock-Filme!

Die Turandot-Premiere in der Hessischen Staatsoper ist eine Katastrophe (bitte in Der Operfreund nachlesen!), so daß ich beschließe mich in der Hotelbar hinterher ordentlich zu besaufen. Leider läßt der Fuffi, den ich noch bar habe, nur ein paar Bierchen zu. Anschreiben lasse ich natürlich nicht versteht sich... Die Getränkepreise entsprechen fast genau denen in der Rio-Rita-Bar in Düsseldorf hinterm Bahnhof - allerdings dort mit barbusigem Personal Service…

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Ich schlafe schlecht und habe Alpträume. Eine Art Halloween-Killer aus John Carpenters Massaker-Film in Gestalt und Maske des Oberportiers verfolgt mich grinsend mit einem langen Messer und schreit immer wieder: „Trinkgeld! Trinkgeld! Ich krieg Dich!“ Vielleicht sollte ich nicht so viele Horror-Filme schauen...

Nächster friedlicher Morgen
Daß man zu einem 5-Sterne-Frühstück Kaffee in billigen Thermoskannen (die meinige war auch noch fast leer!) serviert bekommt, wie bei Kanaken-Fritze auf der Reeperbahn an der Pommes-Bude, oder im Kölner Tatort am Currywurststand verwundert bei diesem Preis.

„Rührei“ steht auf dem Kessel - kaltes Stockei ist drin; im Notfall könnte man damit bestimmt Fensterscheiben einwerfen. Die Bratwürstel sind nur leicht angebraten - medium. Und die Minifrikadellen sehen nicht nur aus wie die von ALDI, sie schmecken auch so bzw. wie die in der Post-Kantine. Ansonsten ist das Buffet aber ausreichend reichhaltig rustikal: Man bietet eine Vielfalt des Mittelmaßes an. Frohsinnig bemerke ich, daß die verschiedenen Brötchen auch am Sonntag knusprig sind. Ein Lichtblick. Dazu gibt es gibt die üblichen Aldi-Billigwurstsorten und etwas Käse. Leider keinen Lachs, keinen Parma-Schinken, keine Crevetten, kein Roastbeef etc. - Dinge, die in einem 5-Sterne-Hotel auf dem Frühstücksbuffet selbstverständlich sein sollten. Aber anscheinend gefällt so etwas den genügsamen Gästen in diesem Hotel, sonst hätte sich doch bestimmt schon jemand beschwert. Nach BIO-Artikeln wage ich erst gar nicht zu fragen.

Da mein Fahrzeug vom Oberchauffeur des Fahrdienstes direkt am Hotel parkiert worden war, wollte ich nach dem Frühstücks-Genuß mein vergessenes Handy holen. Dazu mußte ich aber meinen Parkschein an der Rezeption gegen den Wagen-Schlüssel eintauschen. Würden Sie, liebe Leser, darin irgendeine Problematik sehen? ... So dachte ich auch.

Merde alors...
Der Empfangsgeneral von gestern hatte schon wieder Dienst. Verdammt! Ein Kloß entsteht in meinem Hals. Schuldbewußt mache ich mich drei Zentimeter kleiner, grinse freundlich, halte ihm meinen Parkzettel unter die Nase und bitte höflichst um meine Autoschlüssel. Dagegen kann man doch wohl nichts sagen - so denke ich - insbesondere da ja alles schon am Vortag bezahlt wurde.

Welch fundamentaler Irrtum!

Ich hatte die Abrechnung ohne den Generalfeldmarschall, unseren adligen Gesichtskontrolleur, jenem Edlen von Mornac gemacht. Seine Miene verfinstert sich merklich als er mich sieht. Ich kann nur noch stotternd hervorbringen
„Ö ö ö, die Autoschlüssel bitte!“
Meine Bitte wird mit einer sofortigen Gegegenfrage pariert - wie aus der sprichwörtlichen Pistole geschossen kommt mit falschem Unterwerfungsgrinsen: „Entschuldigung! Haben der Herr schon ausgecheckt!?“
Puh. Ich fühle mich wie der 12jährige, den die Mutter beim Onanieren erwischte und antworte verdutzt, verstört: „Ähem, nein, sorry - ich wollte nur mal eben mein Handy aus dem Auto holen; hatte ich gestern ä hä vergessen - und dafür brauche ich halt meinen Autoschlüssel. Tschuldigung nochmal!“ Hätte ich vielleicht einen Fuffi dazulegen sollen?
Die Antwort kam unerwartet prompt:

„Na... den Schlüssel lassen wir mal schön noch hier bei uns, solange, bis sie ausgecheckt haben!“ Wenigstens hat er nicht noch „Freundchen“ ergänzt. Ich versinke vor Scham fast im Boden und frage eine hinter mir stehende ältere Dame, ob mir irgendein Scherzkeks vielleicht ein Schild „Harz-4-Empfänger, Asi oder Bankräuber“ angeklebt hat?

Absolut sprachlos, mich fühlend wie ein ertappter Sünder (Wo ist Deine große Klappe geblieben, Big P!? - tönt eine Stimme in meinem Innenohr) beschließe ich beim nächsten Mal das Erste Hotel am Platz, dem gegenüberliegenden „Nassauer Hof“ (witziger doppeldeutiger Name, grins!) zu buchen - nebenkostenbereinigt kaum teurer, allerdings kostet dort die Sauna extra, aber zum Frühstück gibt es Lachs und Roastbeef, sowie frische Rühreier. Und guten, leckeren echten frischen Kaffee.

So trolle ich mich in Richtung meines Zimmers - klaue aber, um das Hotel zu schädigen, noch zwei aktuelle Zeitungen. Der Bademantel ist leider für einen 5-XL-Menschen zu klein und die Handtücher zu schäbig. Fünf Minuten später stehe ich dann wieder (mit meinen gepackten Sachen und Blutdruck 250) mutig an der Rezeption. Nach einem Beruhigungsschnaps aus der Minibar - ich füllte das Fläschken natürlich mit Wasser wieder auf - fühle ich mich jetzt besser. Ausgesprochen frisch und aggressiv.

Wenn ich jetzt meinen Wagenschlüssel nicht bekomme, gibt es ein Blutbad, Freundchen! Ich denke reumütig an meinen Alu-Baseballschläger... der aber leider einsam im Kofferraum meines Autos liegt, neben meinem Pfefferspray und dem Elektro-Schocker.

Der Haushofmeister am Empfang symbolisiert mir mit einem kurzen Wiedererkennungs-Blick und einem unausgesprochenen “Ahah“.

„Na also Bürschlein - geht doch!“

Meinen Autoschlüssel bekomme ich aber immer noch nicht, denn der General-Oberst fragt noch kritisch und investigativ mit bohrendem Blick nach der Nutzung der Mini-Bar. Mein spontanes „Nein!“ läßt seinen skeptischen Blick noch einmal verächtlich über mich streichen (na wenigstens kann er keine Gedanken lesen) - sein Röntgenblick scheint mich vom Scheitel bis zur Sohle zu durchleuchten. Ich stehe kurz davor zu bemerken: „Bitte schauen Sie doch selber nach - ich warte natürlich so lange. Man kann heutzutage ja keinem trauen!“

In der Tat überlegt einen kurzen Moment und dann geschieht das Lohengrinsche Wunder: Ich bekomme doch noch meine Wagenschlüssel!

Glückstränen kullern mir über die Bäcklein. Es ist, als wenn die Kameliendame überlebt hätte und gleichzeitig die Butterfly unselbstgetötet aus einem Alptraum erwachend ihren kleinen Sohn herzt. Florestan Bilsing, Du bist frei!

Die übrigen herumstehenden Angestellten, sowie der Oberchauffeur-Parkiermeister, zählen ausdauernd imaginäre Fliegen an der Decke. Bin ich beim Herausschlendern zum „Unsichtbaren“ degeneriert? Nicht ansatzweise taucht die Frage auf, ob man vielleicht meine Koffer zum Auto tragen dürfte...

 © Peter Bilsing

(Übernahme mit freundlicher Erlaubnis aus „Der Opernfreund“)
Redaktion: Frank Becker