Zum 100. Geburtstag von Horst Krüger
erinnern wir an diesen Schriftsteller, der in der Berliner Garten- und
Waldsiedlung Eichkamp am Charlottenburger Rand aufgewachsen ist.
Als Horst Krüger 1966 sein Buch „Das zerbrochene Haus“ vorlegte, war das ein unerhörtes Ereignis, erzählte da doch einer zumal aus eigener Erfahrung von der Mitschuld des braven Kleinbürgers an den Verbrechen der Nazizeit. Dabei hatten die doch gemeint, nicht mitgetan zu haben und so schuldlos zu sein. Das verstörte, das störte. Im westdeutschen Wirtschaftswunderland, als man die Vergangenheit vergessen wollte.
Wolfgang Koeppen, der in seinen Romanen den Deutschen schon den Spiegel vorgehalten hatte, meinte im „Spiegel“, das Buch werde „Ärgernis wecken, zu viele werden sich in lieben alten Träumen verletzt sehen. Dabei sollte Krügers Blick in Zorn und Trauer ein deutsches Hausbuch werden.“ Marcel Reich-Ranicki lobte es als „ein Zeitbild ohne Lüge“. Es ist sowohl eindrückliches Porträt des zwölfjährigen Reichs, als auch schonungsloses Selbstbildnis eines Manns, dem die Jugend gestohlen wurde, nicht nur von Hitler und Konsorten, sondern auch von der eigenen Familie. „Ich bin ein typischer Sohn jener harmlosen Deutschen, die niemals Nazis waren und ohne die die Nazis doch niemals ihr Werk hätten tun können“, schreibt Krüger in dem Buch, das den Untertitel „Eine Jugend in Deutschland“ trägt.
Geboren wurde er am 17. September 1919, wuchs in Berlin auf, und zwar in der nach Plänen von Max Taut erbauten Wald- und Gartensiedlung Eichkamp nahe dem Grunewald, die noch heute eine Idylle ist oder vortäuscht. Nach dem Abitur schlidderte er wegen eines Freunds in eine Widerstandszelle, wurde eingekerkert, bald wieder freigelassen, wohl weil man seine Naivität erkannt hatte. Horst Krüger studierte dann Philosophie, wurde eingezogen, „kämpfte“ mit an der Ostfront und in Italien, beendete aber an Ostern 1945 den Krieg auf eigene Faust und lief zu den Amerikanern über. Horst Krüger wurde Journalist, leitete das literarische Nachtstudio des Südwestfunks, bis er sich 1964 als freier Autor in Frankfurt niederließ, um „Das zerbrochene Haus“ verfassen zu können. Es beginnt mit dem Kapitel „Ein Ort wie Eichkamp.“ Das kleine Wort „wie“ hat hier eine tiefere Bedeutung, besagt es doch, daß Eichkamp für viele Orte stand, in denen der Kleinbürger ignorierte, was um ihn herum geschah. Man war „auf eine rührende Weise unpolitisch. Ich lernte früh, daß ein anständiger Deutscher immer unpolitisch ist. Eichkamp war die Welt des guten Deutschen“ meint Krüger mit der ihm eigenen Ironie. Nie sei er dort einem wirklichen Nazi begegnet sei. „Es waren lauter brave, fleißige Bürgerfamilien, ein wenig borniert“. Die wollten Ruhe finden nach den Schrecken des Kriegs und der Inflation. Und daher waren sie ab 1920 in die grüne Insel Eichkamp gezogen. Die schlechte Welt, der Moloch Berlin mit seinen abstoßenden politischen Gefechten war weit entfernt, auch wenn es nur drei S-Bahnstationen waren.
Diese Bahn führt Horst Krüger Jahrzehnte später zurück in die vermeintliche Idylle. Er will begreifen, was aber nicht zu begreifen ist, wie alles geschehen konnte. Das Haus seiner Jugend findet er in Trümmern wieder. „Das zerbrochene Haus“ wird ihm im Nachhinein zu einem Menetekel, das besagt, Unschuld kann es nicht geben, auch wenn man selbst nichts getan hat.
Die S-Bahn wird zum Vehikel der Erinnerung. Als er zum Grab der Schwester fährt, wird ihm klar, daß die eigene Familie Urzelle allen Unheils sein kann. „Familie ist Kälte, ist Fremdheit, ist Eis, niemand kann zu dem anderen“, selbst dann wenn man jeden Abend beisammen sitzt zum Abendbrot. „Familiäre Worte sind Formeln, erstarrte Mißverständnisse.“ Diese Einsamkeit neben den Eltern hat die Schwester nicht aushalten können, sie bricht aus, vergiftet sich eines Tages. Das zweite Kapitel „Ein Requiem für Ursula“, nennt Krüger den Schlüssel zu allem, zu der kleinbürgerlichen Existenz, die Leben vernichten kann. Dieses „Requiem“ wird so zu einem ergreifenden, erschütterndem Abgesang an das Elternhaus, das zwangsläufig zerbrechen mußte. Darüber zu schreiben war für Horst Krüger ein „erster Versuch der Selbstbefreiung“, mehr noch als die Schilderung seiner Haft unter den Nazis, mehr noch als die seiner „Stunde Null“, als er desertierte und kein Deutscher mehr sein wollte.
Im Schlußkapitel des Buchs berichtet er vom Frankfurter Auschwitzprozeß 1964. Er beobachtet die Angeklagten, fragt sich, sind diese nun die bösen Deutschen oder auch die guten Deutschen, die zu Bürokraten der Vernichtung werden konnten, fragt sich auch selbst: Wie schuldig wäre ich geworden, in anderen Umständen? Der finale Satz des Buchs ist Provokation und Warnung: „Hitler, den gibt es auch in uns. Er herrscht noch im Untergrund. Dieser Hitler, der bleibt uns lebenslänglich.“
Horst Krüger – „Das zerbrochene Haus“
mit einem Nachwort von Martin Mosebach, Neuausgabe
© 2019 Verlag Schöffling & Co., 215 Seiten, gebunden, Lesebändchen - ISBN: 978-3-89561-014-1
22,- Euro
Weitere Informationen: www.schoeffling.de
Zum 100. Geburtstag von Horst Krüger erinnern wir an diesen Schriftsteller, der in der Berliner Garten- und Waldsiedlung Eichkamp am Charlottenburger Rand aufgewachsen ist. 1964 hat er das damals vielbeachtete Buch „Das zerbrochene Haus“ veröffentlicht, das von seiner Jugend unter dem Nationalsozialismus in Eichkamp erzählt und das aber zu seinem Ärgernis wurde, wie Wolfgang Koeppen im „Spiegel“ schrieb, da es so viele unbequeme Wahrheiten amußprach. Das erste Kapitel hat Krüge „ein Ort wie Eichkamp“ genannt, der zwar eine Idylle war, aber dennoch nicht aus der Zeit herausgefallen war. Die Veranstaltung ist auch Auftakt zur Hundertjahrfeier der Siedlung Eichkamp im kommenden Jahr. Aus dem Buch „Das Zerbrochene Haus“ lesen Elisabeth Raiser und ich. Zudem werde ich vom ungewöhnlichen Leben und Werk Horst Krügers erzählen.
Dienstag, 10. Dezember 19.30 Uhr Haus Eichkamp Zikadenweg 42 a/Ecke Maikäferpfad, Berlin - S-Bhf. Messe Süd/Eichkamp
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