Eindrucksvoll

„Gipsy Queen“ von Hüseyin Tabak

von Renate Wagner

Gipsy Queen
(Deutschland 2019)

Drehbuch und Regie: Hüseyin Tabak
Mit: Alina Șerban, Tobias Moretti, Catrin Striebeck u.a.
 
Es ist ein alter Trick im Kino, das Publikum eine zeitlang im Ungewissen zu lassen, was vorgeht – bzw. die Neugierde zu wecken, was es mit einzelnen Schicksalen auf sich hat. Zu Beginn wähnt man sich in einem Flüchtlingslager, in einer Ecke wird geboxt, anderswo sieht man eine junge Frau mit zwei Kindern, die von einem älteren Mann brutal niedergeschlagen wird. Nach und nach wird man wissen, daß dies ein Ort ist, wo ein Roma-Clan in Rumänien lebt. Und die junge Frau wird von ihrem Vater gnadenlos verstoßen. Offenbar hat sie Unehre über die Familie gebracht.
Diese Ali ist die verstockte Heldin dieses Films von Hüseyin Tabak, dem in Deutschland arbeitenden Regisseur kurdischer Abstammung, der in seiner Biographie darauf hinweisen kann, an der Wiener Filmakademie bei Michael Haneke und Peter Patzak studiert zu haben. Das von ihm verfaßte Drehbuch, die Sozial- und Milieustudie um die Rumänin, die als „Gypsy“, also „Zigeunerin“ (das Un-Wort) gilt, läuft glücklicherweise ein wenig anders als sonst. Und nie wird dankenswerterweise eine auf Tränendrüsen oder Zeigefinger abzielende Sozial-Schnulze daraus.
Daß Frauen, die aus dem Osten nach Deutschland ziehen, beim Putzen landen, ist nicht ungewöhnlich. Daß sie zuhause, als sie noch Papas Lieblingstochter war, zu einer veritablen Boxerin ausgebildet wurde, liegt auf einer anderen Ebene. Nun, im Westen untergetaucht, bei einer mitleidsvollen jungen Frau lebend, möchte sie nur die Zukunft ihrer Kinder sichern. Das heißt, Schulbildung für das halbwüchsige Mädchen, Sicherheit für das Baby, den Buben.
Ali braucht viele Jobs, um über die Runden zu kommen, also hilft sie in einer Bar aus. Dort hockt Tobias Moretti als Tanne, der eher abgerissene Besitzer, der das Frauenboxen in seinen Räumlichkeiten managt. Sicher, Frauenboxen hatten wir schon, Clint Eastwood hat Hilary Swank 2004 als „Million Dollar Baby“ in den Ring geschickt (und vier Haupt-„Oscars“ dafür geerntet). Nicht daß man, wenn man kein ausgesprochener Box-Fan ist, gerne auf der Leinwand zusieht, wie Leute – zumal Frauen – auf einander einprügeln.
Aber die Geschichte interessiert, die auch von dem schrecklich harten Alltag jener Ausländer erzählt, die sich halb legal durchs Leben bringen müssen – und deren Möglichkeit, sich gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung zu wehren, minimal ist (wie Szenen im Hotel zeigen, wo man Ali um einen Teil ihres Lohnes prellt). Es gibt auch Eindrücke vom „Arbeitsstrich“, wo um jeden Job gerauft wird. Kein Wunder, daß die Ankömmlinge von ihrem Gastvolk als „den Weißen“ reden (mit leicht verächtlichem Unterton) und gelernt haben, diesen zutiefst zu mißtrauen. Ein Gefühl, das man einander zurück gibt – und das die Atmosphäre vergiftet.
 
Daß Ali „Boxer“ ist, in der Heimat siegreicher Profi war, unterscheidet sie von all den anderen, die nichts Besonderes zu bieten haben. Natürlich sieht auch Tanne in ihr in erster Linie ein Stück Menschenmaterial, aus dem er Gewinn schlagen kann. Sie hat’s im Blut, aber keine Ahnung vom Business. Und so wird langsam ein Boxer-Film daraus, obwohl die Geschichte der Frau, deren Kinder die natürlichen Schwierigkeiten machen, immer sehr stark mitspielt. In Alis Milieu ist dieses Problem (auch durch das Eingreifen der Behörden) entscheidend verschärft . Der Aufschrei der Tochter, „Ich wünschte, du wärst nicht meine Mutter“, schmerzt auch jede Frau im Zuschauerraum.
Mit vielen Traum- und Erinnerungs-Sequenzen, mit viel Boxen und Tragik in der Gegenwart, verweigert man diesem Film, der mit großer Intensität von der Leinwand kommt (und, bei Zigeunermusik, das Ende offen läßt), nie seine Anteilnahme. Das mag an Alina Serban liegen, eine echte Roma aus Rumänien, die wohl vieles, das sie hier spielt, am eigenen Leib erlebt hat und für hautnahe Authentizität sorgt. Aber auch an Tobias Moretti, an seinem harten, zynischen und doch nicht unehrenhaften Tanne. An Moretti kann man wirklich bewundern, mit welcher Sorgfalt er einen Strauß divergierendster Kinorollen zu einer außergewöhnlichen Karriere zusammen bindet. Vom bedrohlichen reitenden Tiroler Patriarchen („Das finstere Tal“) über den zwielichtigen Polizisten im Brenner-Krimi („Das ewige Leben“) und dem (wenn auch nicht hundertprozentig gelungenen) Mackie Messer bis zum Maler (der ideologisch feste Künstler) in der „Deutschstunde“ und nun den abgewrackter Boxer, dessen Schicksal sich langsam entblättert… eindrucksvoll. So wie der ganze Film auch.
 
 
Renate Wagner