Port Bou

von Peter Hohberger

Peter Hohberger - Foto © Frank Becker
Port Bou
 
Wieder Ergriffenheit vor dem Mahnmal, das an Walter Benjamin erinnert, der in Port Bou nahe der vielleicht rettenden Grenze zu Spanien Selbstmord verübte.
Als ich einmal bei irgendeiner Gelegenheit von Selbstmord sprach, verbesserte mich eine Freundin, daß man nicht von Selbstmord sprechen dürfe, sondern daß man stattdessen von Freitod sprechen muß. jetzt allerdings, als ich vor dem Mahnmal stand, dachte ich, daß Walter Benjamin nicht den Freitod wählte, sondern sich gezwungen sah, sich umzubringen und daß das, was er tat, Selbstmord war. Ja, daß man eigentlich von Mord sprechen müsste, denn letztlich hat ihn das damalige Deutschland ermordet. Das damalige Deutschland hatte ihn zum Selbstmord getrieben, das damalige Deutschland war sein Mörder, denn es schien ihm kein anderer Ausweg zu bleiben als sich umzubringen. Das dachte ich, als ich wieder vor diesem Mahnmal stand, dieser Erinnerungsstätte, die man hier für Walter Benjamin errichtet hatte.
Als ich zum ersten Mal hier war, hatte ich zunächst nur eine Hinweistafel auf einem kleinen Platz an der mir dunkel erscheinenden Felsenküste bei Port Bou gesehen. Dann erst bemerkte ich eine schlichte Tür, durch die man einen engen Metallschacht betreten konnte, der steil durch die Felsen hinabführte und vor einer Glasplatte endete, hinter der man die blauleuchtende wogende Meeresfläche nah vor sich sieht. Auf diesem Fenster vor dem blauen Leuchten des Meeres las ich:
„Schwerer ist es, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten. Dem Gedächtnis der Namenlosen ist die historische Konstruktion gewidmet. Walter Benjamin“ Jetzt, da ich zum zweiten Mal hier stehe, hat diese Glasplatte mit den Worten Walter Benjamins einen Sprung, und oben auf dem kleinen Platz fehlt die Hinweistafel. Ich bin bestürzt über diese Beschädigung. Nur wenige Jahre hatten genügt, um diesen eindrucksvollen Ort der Verwahrlosung auszuliefern, dieser Vorstufe des Vergessens. Gleich den Gräbern, die keiner mehr besucht.
 
 
Peter Hohberger