Rap und Zoten - Faust verladen

„Faust I reloaded“ - Ein Fehltritt der Württembergischen Landesbühne Esslingen

von Frank Becker

Foto © B.Eidenmueller

Rap und Zoten
 
oder
 
Faust I verladen
 
„Faust I reloaded“ - Schauspiel mehr als frei nach Johann Wolfgang von Goethe
Eine Inszenierung der Württembergischen Landesbühne Esslingen

Regie: Markus Bartl  - Bühne& Kostüme: Philipp KieferDramaturgie: Michaela Stolte
Besetzung: Johannes Schüchner & Tobias Ulrich

Von Zeit zu Zeit seh ich Theater gern...

Die Württembergische Landesbühne Esslingen und das Remscheider Teo Otto Theater können für gestern Abend mit 450 Plätzen stolz ein ausverkauftes Haus vermelden. Goethes „Faust I“ mal anders, warum nicht? Michael Quast und Philipp Mosetter z.B. erklären „Faust I“ brillant. Man darf die Klassiker ruhig mal auf die Schippe nehmen und auf den in Schulzimmern anerzogenen Respekt verzichten. Shakespeares Sämtliche Werke (leicht gekürzt)“ ist u.a. der Beweis dafür. Auch der olle Geheimrat Johann Wolfgang von kann durchaus ertragen, wenn man gelegentlich an seinem Opus magnum kratzt - und wer hätte sich nicht über den harmlosen Klamauk in dem Film „Fack ju Göhte“ amüsiert? Was aber auf das Publikum, darunter geschätzt 80-90 % Schüler zwischen 14 und 18 Jahren zukommen würde, war nicht zu erwarten, kaum zu ahnen. Einen Schwall von gestischen, gesprochenen und gezeichneten Obszönitäten, reihenweise Zoten unter der Gürtellinie (nehmen Sie es bitte wörtlich), explizite Aufzählungen von Sexpraktiken und der sich durchs Stück ziehende Griff der beiden Darsteller ans Gemächt ließ Goethe, seinen Faust I und die Größe dieses Dramas zu einem lächerlichen Smoothie (auch das bitte wörtlich nehmen) verkommen.
 
...doch manchmal muß ich mit ihm brechen

Vermutlich, weil man in Esslingen schon ein wenig Manschetten davor hat, Goethes strafende Hand könnte sich aus dem Grab heraus der Verantwortlichen bemächtigen, schweigt sich das Programmheftchen über den oder die Autoren dieses fürchterlichen Ausrutschers aus, der eigentlich nur peinlich ist. In Zeiten, in denen die Politik, die Schulen und die Elternhäuser (recht spät) darauf aufmerksam werden, was Sexting, Pornographie und Mobbing per Smartphone in den Köpfen und im Gefühlsleben von jungen Menschen anrichtet und (viel zu spät) gegenzusteuern versucht, ist diese Form von „Kulturvermittlung“ eine Frechheit. Die Verunsicherung der jungen Leute im Theater war trotz äußerlicher Erheiterung deutlich zu spüren. Einige gar nicht so üble Rap-Einlagen wurden sogar begeistert aufgenommen, was aber den Gesamteindruck des gründlich mißlungenen Versuchs einer etwas anderen Annäherung an Goethe nicht im Geringsten besser machte. Nicht komisch. Eine Textstelle sei als programmatisch zitiert:
„Komm, wir gehen zusammen den Bach runter“. Das taten die Herren Schüchner, Ulrich und Bartl dann auch gründlich. 
 
Ich habe mich während der anderthalb Stunden gefragt, für wie dumm, wie primitiv und für wie unaufgeklärt die Macher ihr junges Publikum halten, sich derart unappetitlich anzubiedern. Hier wurden Faust, Goethe und das gesamte Publikum verladen. Das einzige, worüber man lachen kann ist das Wort „reloaded“. Nicht über die Produktplazierungen. Die Inszenierung verdient redlich unsere selten vergebene Daumen-runter-Kritik, den Musenblattschuß.
Es sind rund 400 Kilometer von Remscheid nach Weimar und die Mauern der Fürstengruft dortselbst sind dick – aber ich glaube, wer in den wenigen leisen Momenten aufmerksam gen Osten lauschte, hat ein tief klagendes Stöhnen vernommen.

…hier wandte sich der Gast mit Grausen (frei nach Friedrich Schiller).