Pina Bauschs „Blaubart“ nach 43 Jahren wieder da!

Notizen zur Wiederbelebung

von Johannes Vesper (Text) und Karl-Heinz Krauskopf (Bilder)

Foto © Karl-Heinz Krauskopf


Pina Bauschs „Blaubart“ nach 43 Jahren wieder da!
 
Notizen zur Wiederbelebung
 
Von Johannes Vesper
 
Das Bühnenbild von Rolf Borzik, der 1980 früh verstarb, zeigte keine mächtige gotische Halle in Blaubarts Burg mit sieben Türen, sondern einen heruntergekommenen großen Wohnraum, vielleicht in einer Abbruchvilla. Auf dem Boden liegt trockenes Herbstlaub, welches die Spuren der Bewegungen nachzeichnet. Und „Blaubart“, die Oper Bartoks von 1911, in der sich das Schicksal der Liebe zwischen Judith und ihrem ersehnten Blaubart vollzieht, dient als Gerüst für dieses frühe Tanztheater von Pina Bausch. 1977 uraufgeführt, nimmt es zukunftweisend die „me too“-Problematik unserer Zeit vorweg. Mit außerordentlicher Härte wird wie in ihren anderen frühen Stücken die Auseinandersetzung zwischen Mann und Frau, werden die Probleme von Liebe, Gewalt, Nähe Verachtung und Sexualität abgetanzt, ohne daß ein autobiographischer Hintergrund der Choreographin für ihr Interesse am Geschlechterkampf bekannt wäre. Die Oper und ihre Musik werden bei diesem Stück zerstört. Dauernd wird das Tonband mit der Musik, wird der Bewegungsablauf des Theaters auf der Bühne unterbrochen. Von Tanz kann man eigentlich nicht sprechen. Immer wieder hält Blaubart das Band mit der Opernmusik an, immer wieder nimmt er die vorherige Position ein. Dabei werden während des Tanzstücks zur zerstückelten Musik die grauenhaften Bilder des Originals (Folter-, Waffenkammer, Schatzkammer mit blutigen Kleinodien, Blutgarten, Zimmer mit allen toten Frauen Blaubarts), die Blaubart zwischendurch durchs Schlüsselloch betrachtet, in die Psyche des Publikums transformiert.

Die Szenen entstanden hier nicht, wie in vielen anderen Stücken der Pina Bausch, aus Tänzerinnen und Tänzern heraus als Ergebnis intensiver, inquisitorischer (?) Gespräche derselben mit der Choreographin. Es ist erstaunlich, was Pina Bausch so durch den Kopf ging beim Anhören einer Tonbandaufnahme des Bartokschen Opus. Das Ensemble nimmt die Problematik zwischen Judith und Blaubart auf, reflektiert und erweitert sie, gerät dabei in schlechte Stimmung, wenn es im wieder mal in langer Reihe mit hängenden Köpfen durchs Zimmer trottet. Blaubart, also der Mann schlechthin, kommt bei diesem Abend schlecht weg, dabei ist Pina Bausch als Feministin nicht bekannt geworden. Statt mit Gefühl und Liebe geht er die Frauen mit Gewalt an, schleudert sie im Laken um sich herum und stapelt sie auf dem einzigen Stuhl der Bühne übereinander, zwingt Judith brutal zum Sex. Immer wieder stößt er ihren Kopf zwischen seine geöffneten Beine und gibt so dem Ensemble den Takt der Handlung vor. Aber auch die Frauen teilen aus. Vergeblich flieht der Mann, auf dem Boden kriechend, vor seiner Partnerin, die sich mit geöffneten Schenkeln und gehobenem Becken auf allen vieren spinnengleich über ihn schieben will oder er erwehrt sich mühsam einer anderen, die sich mühselig erotisch auf ihm abstrampelt. Die Tänzerinnen überraschen, wenn sie wie Fliegen plötzlich an den Wänden des Raumes kleben. Die Aufführung ist nicht frei von Witz. Wenn die Männer in wunderbar farbigen Unterhosen ihren Body präsentieren oder um die Wette hochspringen, glauben die Zuschauer trotz allen Ernstes lachen zu können. Wenn aber die Frauen auf der Bühne gelegentlich fast hysterisch lachen, ist das aber alles andere als lustig. Die Unterhosen würden übrigens im Fan-Shop des Foyers vermutlich begeisterte Abnehmer finden. Nach einer guten Stunde wird die Inszenierung lang, Ideen wiederholen sich und die letzten 10 Minuten, in denen Blaubart mit der toten Judith auf sich über die Bühne nach hinten rutscht, könnten ohne weiteres gekürzt werden. Das Ensemble, ausschließlich junge Kräfte, mußte hohe Anforderungen erfüllen, mußte Geist und Gestik des ursprünglichen Tanzabends begreifen und umsetzen, gleichzeitig aber auch die Eleganz und Leichtigkeit der ehemaligen Compagnie zeigen. Schwierig. Die Neueinstudierung besorgten Beatrice Libonati und Jan Minarik (der bei der Uraufführung den Blaubart tanzte) in Zusammenarbeit mit Barbara Kaufmann und Héléna Pikon. Das schwer begeisterte Publikum, welches aus nah und fern angereist war, dankte im ausverkauften Barmer Opernhaus mit stehenden Ovationen, Bravissimi und Pfiffen. 

 Redaktion: Frank Becker