Die Kunst der Heiterkeit

Wiglaf Droste – „Tisch und Bett“

von Frank Becker

Umschlagillustration: Michael Sowa
Die Kunst der Heiterkeit
 
Eine Hommage von und an Wiglaf Droste
 
 
Das übelste von allen Übeln
ist das Grübeln.
Wiglaf Droste
 
Es ist traurig, einen brillanten neuen Lyrikband zugleich als Hommage an den Dichter vorstellen zu müssen. Der große Satiriker, Gourmet, Lyriker und bekennende Menschenfreund Wiglaf Droste, dessen neue, noch von ihm selbst vorbereitete Sammlung von Lebens- und Liebes, Lust- und Politgedichten „Tisch und Bett“ seit vorgestern im Verlag Antje Kunstmann vorliegt, ist vor einem Dreivierteljahr im Alter von nur 57 Jahren gestorben. „Tisch und Bett“ präsentiert in 10 Kapiteln Wiglaf Drostes hinterlassene Gedichte, Haiku und Merksätze aus den letzten Jahren, die das Leben und die Liebe feiern, das Essen und das Trinken, die von der Freude am Garten und seinen Früchten erzählen und von den weltpolitischen Zumutungen: poetisch und polemisch, unverblümt und unerschrocken.
 
In siebzehn Silben
die ganze Welt abbilden.
Das ist H-I-Q
 
Bemerkenswert erscheint bei der erbaulichen Lektüre, daß Droste nicht nur einmal Charon, dem Grab, besonders aber Freund Hein durchaus freundliche Worte widmet: Es klingelt an der Tür, da steht Freund Hein / „Was für `ne Überraschung, komm doch rein!“ (…) „Doch du mußt ja deine Arbeit machen / ganze und nicht halbe Sachen.“, oder an anderer Stelle: Es heißt ja schließlich nicht „Feind Hein“, sondern Freund Hein“.
Nun, der Gevatter hat ihn geholt – geblieben sind Wiglaf Drostes wahre Gedichte. Wahr, weil er ein kluger Beobachter und wortgewandter Beschreiber war, ein über die Maßen wortreicher Sprachmächtiger – und er unterschied sich als solcher von ungezählten fürchterlichen Amateuren der deutschen Schrift- und Literatursprache in einem nicht unwesentlichen Punkt: er wußte, worüber er schrieb, wovon er sprach, was er entlarvte, worüber er, anstatt in wortlose Verzweiflung zu fallen, seine berechtigte Häme ausgoß.
Drostes Lyrik ist pures Vergnügen. Elegant führt er wie auch in seiner Prosa das Florett des Wortes - und schont keinen. So bitten wir uns das aus. Das liest sich genußvoll weg und will kurz drauf wieder gelesen werden. Man fühlt sich gut aufgehoben bei einem Autor, der selbst in die Hand beißt, die ihn füttert, wenn sie dazu reizt - was ihn sympathisch macht. Auch daß er keiner von diesen notorischen Gutmenschen war, die mit ihrer Glorie nerven, kann ihm auf die Haben-Seite der Bilanz geschrieben werden. Kaum mochte ich es glauben, als Wiglaf Droste, der bei Lesungen gerne derbe Wanderschuhe zu grob gewirkten Segeltuchhosen trug, einmal im Gespräch durchblicken ließ, daß er und Dr. h.c. mult. Marcel Reich-Ranicki die einzigen Männer seien, die beim Übereinanderschlagen der Beine kein weißes Beinfleisch zeigten. Ein Ästhet. Da kann man ihn verstehen, wenn er mitunter die Haßkappe aufsetzte und möchte auch so ein Hütchen haben.
 
Immer – Es ist immer schön, / wenn du da bist; / mir geht es hinterher / immer besser als vorher, / egal, worüber wir sprechen, / richtig ernst oder albern / oder egal, jedenfalls alles. (…)
 
Die gewährte und die verwehrte Liebe, die gehabte und die erträumte gehörte zu seinen Lebensthemen. Wer wüßte da nicht mitzusehnsüchteln. Das Universum Frau, ihre Brüste und Küsse, ihre Launen und Liebes-Qualitäten wußte Doste fein zu besingen. Da müssen Politik und mordende Muselmänner, Religion, Gesellschaft und Philosophie, Wetter, Sport (mal abgesehen vom BVB) und ferne Länder bescheiden in die zweite Reihe treten. Allenfalls die gute Küche kommt  noch mit.
Wiglaf Droste lesen ist, ich schrieb es oben, ein Genuß. Er war Feingeist und Edelfeder. Seine satirischen Beobachtungen der Welt, in der wir so herumleben, auch der mehr und mehr verkommenden Sprache und seine ätzende Kritik an allem, was den Menschenverstand ansonsten meist unwidersprochen belästigt, tun wohl, gehen runter wie Öl. Seine feinen Gemeinheiten und seine scharfen Hiebe sitzen. Wer davon nicht getroffen wird, darf sich freuen. Grämen muß sich jedoch jener, auf den seine Sottisen zielen. Wiglaf Drostes Texte und schon gar seine nachgelassenen Gedichte in „Tisch und Bett“ sollten folglich in keinem Haushalt fehlen. Eine Empfehlung der Musenblätter und mit unserem Prädikat, dem Musenkuß ausgezeichnet.
 
„Vom andern aus lerne die Welt begreifen“,
heißt es bei Ringelnatz.
Wiglaf Droste
 
Wiglaf Droste – „Tisch und Bett“
Gedichte – Umschlagzeichnung von Michael Sowa
© 2020 Verlag Antje Kunastmann, 256 Seiten, gebunden, Schutzumschlag - ISBN: 978-3-95614-356-4
18,- €
Weitere Informationen: www.kunstmann.de