Glitschig, laut und vulgär

Wedekinds Lulu bleibt auf der Düsseldorfer Bühne blaß

von Andreas Rehnolt

Lieke Hoppe - Foto © Thomas Rabsch

Glitschig, laut und vulgär
 
Wedekinds monströse Kindfrau Lulu bleibt auf der Düsseldorfer Bühne blaß

„Lulu“ von Frank Wedekind


Regie: Bernadette Sonnenbichler – Bühne: Simeon Meier – Kostüm: Tanja Kramberger - Mitarbeit Kostüm: Sarah Sauerborn – Musik: Jacob Suske – Dramaturgie: Janine Ortiz - Fotos: Thomas Rabsch
 
Besetzung: Lulu (Lieke Hoppe) - Dr. Schön (Wolfgang Michalek) – Alwa (Joscha Baltha) - Eduard Schwarz (Florian Steffens) - Dr. Goll (Andreas Grothgar) – Schigolch (Henning Flüsloh) - Rodrigo Quast (Miguel Abrantes Ostrowski) – Hugenberg (Markus Danzeisen)  - Gräfin Geschwitz (Claudius Körber) – Musiker (Jacob Suske)
 
Die „Lulu“-Inszenierung von Regisseurin Bernadette Sonnenbichler am Schauspielhaus Düsseldorf gerät laut, vulgär und glitschig. Die von Lieke Hoppe gespielte Kindfrau - von Frank Wedekind vor rund 100 Jahren als monströse Figur geschrieben - bleibt in der zweieinhalbstündigen Variante im Großen Haus am Gustaf-Gründgens-Platz trotz eimerweise Farb-Verschüttung auf der von Simeon Meier gestalteten Bühne blaß und bleibt letztendlich in der Genderfalle stecken.
 
Die Bühne (Simeon Meier) ist ein einziger großer, weißer Kasten mit zahlreichen, notdürftig verschlossenen Öffnungen, aus denen Lulu immer wieder von Männern bestürmt wird. Mal springen sie sie an, mal brechen sie über sie hinein, mal kommen sie von unten und bedrängen sie, mal stürzen sie von oben auf sie ein. Auch das - möglicherweise - hat etwas mit Lulus Lebenswandel als männerverschlingender Vamp zu tun. Auch im sexuellen Sinn gibt sie sich in Düsseldorf nach allen Seiten offen.
Einmal nur, ganz zu Beginn der Inszenierung zieht sich Lulu (Lieke Hoppe) aus, schaut dabei minutenlang ins Publikum, ganz so, als ob sie die Wirkung ihrer nackten Präsenz auf die Theatergänger erproben möchte. Dann kleidet sie sich wieder an und ist bis zu ihrem bitteren Ende stets mit irgendetwas bekleidet. Ihr erster Mann, Oberstaatsanwalt Goll (Andreas Grothgar) stirbt relativ schnell bei einem Kunsthappening, bei dem Lulu voll mit Farbe eingepinselt und dann - als Bodypainting - an die Wände gedrückt wird und Abdrücke hinterläßt.


Lieke Hoppe - Foto © Thomas Rabsch

Die Beziehung zum Maler Eduard Schwarz (Florian Steffens) dauert auch nicht ewig und endet mit dem Selbstmord des Künstlers, der es nicht verwinden kann, daß Lulus vermeintlich väterlicher Freund sie als Zwölfjährige von der Straße geholt und von da an sexuell mißbraucht hat. Dafür rächt sich die so gar nicht lolitahaft wirkende Lulu, die ihre allzu häufig „unten ohne“ agierenden Männer verrückt nach sich macht und zugleich erklärt: „Ich beneide den Mann um das Glück, daß er mit mir hat.“ Vielleicht einer der wohl wichtigsten Sätze dieses Theaterabends, der so voller Sätze feministischer Autorinnen gepackt wurde, daß ein echtes Spielen dabei zu kurz kommen muß. Irgendwann, zwischen Farbeimer-Ergüssen, sich in Gardinen wälzenden Leibern und der Erschießung ihres „väterlichen Freundes“, des Vergewaltigers Dr. Schön (Wolfgang Michalek) sagt Lulu auch noch: „Ich bin weder Opfer noch Gefangene. Ich bin die Hure, die ihr alle braucht.“
 

Florian Steffens, Lieke Hoppe - Foto © Thomas Rabsch

Sie scheint keinen zu brauchen, sie benutzt die Männer stattdessen. Den perversen Dompteur Quast (Miguel Abrantes Ostrowski) läßt sie von dessen eigenem Sohn, der ihr hörig ist, ermorden. Dann - wie befreiend - endlich die ersehnte Pause, von der nicht wenige der Zuschauer nicht mehr auf ihre Sitze zurückkehren. Nach der Pause geht das Treiben auf der Bühne weiter. Allerdings mit weniger Elan und Tempo. Es scheint, Lulu und der bereits dezimierten Herren-Riege ist die Puste aus gegangen.
 
Lulu steckt bis zum quälend langen Ende in einem engen fleischfarbenen Stoffschlauch. Da lebt sie bereits in einer Art Kellerloch irgendwo in London. Der Vatermörder ist bei ihr. Ebenso eine völlig von ihr abhängige Gräfin Geschwitz (Claudius Körber), die sich für endlos lange Minuten in einem Monolog den Vorzügen von Anus und Dildo beim Sex widmet, ansonsten ebenso Opfer von Lulu wird, wie die Männer, von denen kaum einer einen bleibenden Eindruck beim Zuschauer hinterläßt. Bis auf den Maler vielleicht sind alle widerwärtig und grotesk.
Am Schluß kommt nicht - wie bei Wedekind vor gut 100 Jahren ein Jack the Ripper als Killer, um die inzwischen als Sexarbeiterin tätige Lulu von dieser Welt und diese Welt von Lulu zu erlösen. Stattdessen wählt die ins Monströse abgedriftete Lulu selbst ihr Ende.
 

Claudius Körber, Lieke Hoppe - Foto © Thomas Rabsch

Dauer: 2 Stunden, 45 Minuten — eine Pause
Die nächsten Termine: 21. Februar, 7., 23. und 29. März.
Informationen: www.dhaus.de
 
Redaktion: Frank Becker