Wer wird schon argumentieren, wenn er der großartigen Catherine Deneuve dabei zusehen darf, wie sie eine mittelmäßige Rolle einfach großartig spielt?

„La vérité – Leben und lügen lassen“ von Hirokazu Kore-eda

von Renate Wagner

La vérité – Leben und lügen lassen
(La Verité / The Truth - Frankreich, Japan 2019)

Drehbuch und Regie: Hirokazu Kore-eda
Mit: Catherine Deneuve, Juliette Binoche, Ethan Hawke, Clémentine Grenier u.a.
 
Ob es „die Wahrheit“ überhaupt gibt oder ob diese für jeden Menschen anders aussieht – damit setzt sich der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda, der mit dem Film „Shoplifters“ zu Recht bekannt wurde (wenn auch der Ruhm nicht an „Parasite“ des koreanischen Kollegen Bong Joon-ho heranreichte), in seinem ersten europäischen Film auseinander.
Der knapp 60jährige Japaner muß große Überzeugungskraft besessen haben, um immerhin Stars wie Catherine Deneuve, Juliette Binoche und Ethan Hawke von seinem Drehbuch überzeugt zu haben, das im Rückblick im Zug der Handlung mehr und mehr „eiert“. Dennoch hat die Deneuve eine der großen Rollen ihres Alters gefunden, denn sie spielt – im Grunde fabelhaft erhalten, die einstige Schönheit bewahrt – das, was sie ist: Die Grande Dame des französischen Films, die in ihrem Landhaus wohnt, von treuen Adlaten umgeben, und nur noch selten vor die Kamera geht. Vor allem aber hat sie, und das ist der Ausgangspunkt des Films, ihre Memoiren geschrieben. Damit schneidet der Regisseur sein erstes Thema an.
 
Denn Fabienne Dangeville, so heißt die Diva, stellt sich zu Beginn den ohnedies vorsichtigen Fragen eines Journalisten, und ganz schnell wird klar, daß sie getan hat, was alle tun, nämlich sich und ihre Vergangenheit ganz nach Lust und Laune zu stilisieren – ein öffentliche Person zu sein, ist Selbstdarstellung. Ist das, was man die Umwelt über sich selbst glauben machen will. Und ist die dauernde Selbstbespiegelung des Ego. Als Seitenkommentar erfährt man, daß einer ihrer Getreuen, der sein Leben lang für sie da war, sie zutiefst verletzt verläßt – sie hat einfach vergessen, seine Existenz in ihrem Buch zu erwähnen…
     Das führt auch zu Handlungsstrang Nr.2, denn plötzlich stehen – durchaus nicht zu Fabiennes Freude, wie die Deneuve herrlich klar macht – ihre Tochter, deren Mann und deren kleine Tochter vor der Tür, aus Amerika herübergekommen, um mit Mama das Erscheinen der Memoiren zu „feiern“, aber eigentlich… Die wunderbare Juliette Binoche als Fabiennes Tochter Lumir wirkt leicht verhärmt, und sie ist mit dem Buch nicht glücklich, so vieles scheint ihr falsch (auch daß die Mutter ihren Vater, der irgendwann als Streuner kurz auftaucht, so kaltblütig verleugnet) – und im übrigen hat sie als Tochter viel einzufordern, was als ihr in der Jugend an Liebe und Zuwendung versagt geblieben ist… das ist eine alte Geschichte, diese Wäsche des „Ich bin nicht genug geliebt worden“ (auch als Vorwand fürs eigener Scheitern im Leben) ist vielleicht zu oft gewaschen worden.
     Fast interessanter ist der Aspekt von Lumirs Gatten Hank, wo Ethan Hawke etwas Besonderes gelingt: Man muß schon ein sehr guter Schauspieler sein, um klar zu machen, daß man höchstens ein zweit-, drittklassiger amerikanischer Fernsehschauspieler ist, der es auch zu nichts mehr bringen wird und der auch nicht der Klügste ist. Noch etwas, was Lumir (selbst nur eine mäßig erfolgreiche Drehbuchautorin) in den Augen der Mutter herabsetzt.
Hank spricht kein Französisch, hier geht der zweisprachige Film auch ins Englische über, und die kleine Tochter von Lumir und Hank, Charlotte (Clémentine Grenier), ist neben ihrer Mutter die einzige, die beide Sprachen souverän spricht, Französisch mit der Oma (die Englisch nur so weit kann, wie die Franzosen unwillig Englisch sprechen, wenn es nicht anders geht), Englisch mit dem Papa. Im übrigen ist der „Trick“, ein Kind als Katalysator in einer verworrene Familiensituation einzuführen, alt und schwer klischeebehaftet.
 
Als würde das alles nicht reichen, um verschiedene Lebenshaltungen in ihrer Unvereinbarkeit klar zu machen, fügt der Regisseur eine weitere Ebene hinzu, die die Geschichte eher ins Schwanken bringt. Fabienne erklärt sich bereit, eine Nebenrolle in einem Film zu spielen, fühlt sich selbst nicht wohl dabei, bringt junge Kolleginnen aus der Fassung, deren Positionen dann auch noch eingebracht werden sollen… zu viel, zu viel und auch ohne erkennbaren Sinn und Zweck.
Man ist froh, daß die Tochter mit Familie letztendlich wieder abreist, in ihr mittelmäßiges Leben, und die Star-Oma ein wenig geläutert zurück bleibt, was ein Drehbuch einem Film schuldig ist. Wenn man solche Lösungen auch zu oft schon gesehen hat und Hirokazu Kore-eda hier leider nichts Neues eingefallen ist.
Aber wer wird schon argumentieren, wenn er der großartigen Catherine Deneuve dabei zusehen darf, wie sie eine mittelmäßige Rolle einfach großartig spielt?

Ab heute in den Kinos.
 
 
Renate Wagner