Der Roman eines Evasiven

Cesare Pavese – „Das Haus auf dem Hügel“

von Frank Becker

Ein Fenster zu Cesare Paveses Seelenleben
 
Der Roman eines Evasiven
 
 
Das entscheidende Problem des Lebens ist:
Wie bricht man aus der eigenen Einsamkeit aus,
um mit anderen in Austausch zu können.
(Cesare Pavese)
 
In Italien 1943 tobt der Krieg mit wechselnden Fronten. Der Gymnasiallehrer Corrado, der 1943 in Turin an einer Oberschule seinen Dienst tut, wandert jeden Abend aus der Stadt vor den Bombenangriffen der Amerikaner oder Engländer zu einer Villa in den benachbarten Bergen, wo er bei zwei älteren Frauen Unterkunft gefunden hat, deren eine ihm vergebens Avancen macht. Dorthin ist der Krieg noch nicht gelangt. Bei seinen Spaziergängen mit dem Hund Belbo trifft er eines Abends auf Cate, seine Jugendgeliebte, die er einst verlassen hat. Nun ist sie eine reife, starke Frau und hat einen Sohn, Dino. Er schließt sich ihr und den einfachen  Leuten im Lokal Le Fontane an, die mit dem Widerstand gegen die Faschisten sympathisieren – Freigeister von solider Volkstümlichkeit – ohne selbst je tätig zu werden. Er nähert sich vor allem wegen Dino, der sein Sohn sein könnte, wieder Cate, doch wie zuvor evasiv und ohne jede Verbindlichkeit.

Irgendwann, als das immer wieder unter dem Bombardement der Alliierten leidende Turin schon schwer getroffen ist und die Frontlinien nach dem Sturz Mussolinis hin und her wogen, erreichen Krieg, Widerstand und deutsche Besatzer auch die Berge. Man findet im Le Fontane Waffen, und alle, auch Cate werden festgenommen und verschleppt. Corrado und Dino entkommen. Corrado bringt Dino in einem christlichen Internat unter und macht sich auf den gefährlichen Weg nach Hause. Er sieht Gewalt und Tod auf verschiedenen Seiten, bis er unbeschadet in sein Heimatdorf Santo Stefano Belbo (Paveses Geburtsort in der Provinz Cuneo) gelangt, wo er das Ende des Krieges erlebt. Um Cate, in der er unzugegeben die Hoffnung auf einen Neuanfang gesehen hatte, schert er sich nicht weiter.
 
Auch durch die Orte der Handlung, das Piemont und die Langhe stark autobiographisch angelegt, gehört La casa in collina (1948) wie die sogenannte Turiner Trilogie zu den wichtigsten Werken der italienischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Samt und sonders Bekenntniswerke, öffnen sie – und besonders La casa in collina ein Fenster zu Cesare Paveses Seelenleben, seinem existenziellen Leiden. Ein Einzelgänger, der sich mehr und mehr verschloß und absonderte, haderte er ganz offensichtlich mit seiner prägnanten Kontaktschwäche, die einerseits zu sexueller Unerfülltheit führte – auch das dokumentiert er in der Figur des Corrado -, zum anderen zu seiner Feigheit, der Unentschlossenheit, wirklich Partei zu ergreifen. So läßt Pavese auch seinen Corrado zwar wortstark, aber zwischen den Lagern der Faschisten, Kommunisten und Widerständler vorsichtig taktierend, das Dasein eines Feiglings führen. Der Krieg, von dem er gleichwohl klipp und klar sagt, daß es der Krieg aller ist, ob sie kämpfen oder sich verweigern, ist ihm einerseits zuwider, um der eigenen Haut willen aber auch egal – er hält sich raus und läßt die anderen machen. Damit geißelt Pavese sich in der klaren Erkenntnis seines Unvermögens zu Mut und Empathie.
Sein Eintritt in die Kommunistische Partei nach Kriegsende 1945 ist nicht mehr als ein hilfloser später Versuch der Selbstrechtfertigung. Aber auch das hat Pavese erkannt. Im August 1950 brachte er sich mit Schlaftabletten um.
 
 „Das Haus auf dem Hügel“ ist ein faszinierendes Zeitbild, ein unbedingt lesenswerter Roman, der ein zerrissenes Italien in der Endphase des 2. Weltkriegs zeigt, nicht zuletzt durch die brillante Übertragung ins Deutsche durch Maja Pflug. Das Nachwort von Lothar Müller macht die Verflechtung von Cesare Paveses Biographie, der Landschaften seines Lebens, seiner Selbstsicht mit der in Ich-Form erzählten Handlung deutlich. Bitte nicht auslassen.
 
Cesare Pavese – „Das Haus auf dem Hügel“
(La casa in collina) – Aus dem Italienischen von Maja Pflug – Nachwort von Lothar Müller
© 2020 Diogenes Verlag AG, 268 Seiten, Broschur - ISBN: 9783257245103
12,- €
Weitere Informationen: www.diogenes.ch