Zwei interessante Kinostunden, die zur Lektüre der Vorlage locken

„Narziß und Goldmund“ von Stefan Ruzowitzky

von Renate Wagner

Narziß und Goldmund
(Deutschland 2020)

Regie: Stefan Ruzowitzky
Mit: Sabin Tambrea, Jannis Niewöhner, Uwe Ochsenknecht, Branko Samarovski, Johannes Krisch, Sunnyi Melles, Jessica Schwarz, Georg Friedrich, Henriette Confurius u.a.
 
Man kann davon ausgehen, daß Literaturfreunde „Narziß und Goldmund“ von Hermann Hesse kennen, und je jünger sie bei der Lektüre waren, umso ergriffener mögen sie gewesen sein. Aber auch aus kritischer Distanz betrachtet, hat man es mit einem großen, großartigen Werk zu tun, das Lebensentwürfe und Gefühlsströme auf höchstem Niveau entfaltet.
Daß es äußerlich eine Historiengeschichte aus dem Mittelalter ist, mag eine Verfilmung erschweren, kann doch der Bilderbogen möglicherweise die Aussage ersticken. Und man muß so sehr begreifen, wie Narziß, der durch und durch geistige, vergeistigte Mensch, der es schließlich zum Abt seines Klosters bringt, und Goldmund, der ins Leben ausbricht, um Menschen zu begegnen, Frauen zu lieben und Künstler zu werden, quasi „komplementär“ zusammengehören, daß ihre Liebe zueinander die entscheidende Kraft ist, die sie beide innerlich zusammen hält. Es ist, natürlich, auch eine esoterische Geschichte, die sich über die Erdenschwere hinaus schwingt.
 
Regisseur Stefan Ruzowitzky erzählt erst einmal die äußere Geschichte, und er hat sich entschieden, das nicht „kritisch“ (wie heutzutage üblich), sondern mit allem Respekt zu tun. Nur selten schweift das Geschehen in „irrealen“ Bildern über die faßbare Handlung hinweg. Daß man ihm vorwerfen könnte, seine Geschichte sei „zu schön“ dargestellt in einer grausamen Zeit, wäre ein Einwand, der Hesses Intentionen mißverstände. Der wollte keinen akribischen historischen Roman bieten, sondern die Geschichte zweier Männer, die er unsterblich gemacht hat. Wer Ruzowitzkys Film sieht, bekommt einen sehr guten Eindruck davon, selbst wenn er das Buch nicht kennt.
Es gibt Narziß und Goldmund zuerst als kleine Jungen, der eine ist schon im Kloster und ein Musterschüler. Der Abt Daniel (Branko Samarovski – einer der vielen glänzenden österreichischen Schauspieler, die Ruzowitzky besetzt hat) macht sich Sorgen, daß er mit seinen rein geistigen Interessen vereinsamen könnte. Da bringt ein wütender Vater (Johannes Krisch mit seiner ganzen Lust an häßlichen Charakteren) einen Jungen ins Kloster, den er loswerden will: Goldmund, von dem er nicht glaubt, daß er sein Sohn sei, dessen Mutter war nämlich angeblich eine Hure. Er wird das Kind mit dem lebenslangen Komplex zurück lassen, die Mutter zu suchen, die ihn verlassen hat… Abt Daniel vertraut den kleinen Goldmund dem verschlossenen Narziß an: Und siehe da, es gelingt dem Kind in seiner Aufrichtigkeit und seinem liebenden Herzen den anderen „aufzuschließen“.
 
Erwachsen haben die beiden die Gestalt von idealen Interpreten angenommen: Sabin Tambrea (der einen Hauch Exotik womöglich seiner rumänischen Herkunft verdankt) ist Narziß, der den strahlenden, temperamentvollen Goldmund (Jannis Niewöhner) wegschicken muß, obwohl es ihm das Herz zerreißt: Aber dieser ist nicht für das Klosterleben geschaffen, er muß leben, unter Menschen, muß in jeder Frau seine Mutter suchen.
Goldmunds Erlebnisse in einem hier nicht ganz so finsteren, aber durchaus grausamen Mittelalter beherrschen einen Großteil der Handlung – wie er als Holzschnitzer zum Künstler wird, wie er immer und immer wieder über Frauen „stolpert“ (im vollen Wortsinn), wie er seine wahre große Liebe verliert, wie er durch Pest und Verfolgung (Georg Friedrich spielt einen von ihm betrogenen Fürsten) gerade noch das Kloster erreicht, wie er mit seinem ultimativen Kunstwerk, einem Altar, dessen Heilige die Züge der Menschen seines Lebens tragen, scheitert, weil Bruder Lothar (André M. Hennicke), der ihn schon als Kind gehaßt hat, einen „freien“ Menschen wie ihn nicht erträgt.
Das sind zwei interessante Kinostunden, voll von Handlung und auch immer wieder bemerkenswerten darstellerischen Leistungen bis in die kleinsten Rollen (Sunnyi Melles als alte Gräfin, die tobt, weil sie entweder an der Pest oder am Alter sterben wird, oder Jessica Schwarz als Jüdin, die Goldmund etwas von der Illusion nimmt, seine Mutter mit Hilfe eines Amuletts finden zu können).
Der Film ist nicht oberflächlich bebildert, nicht künstlich aufgerauht und nicht dramatisch „überinszeniert“, und er scheut auch vor der Gefühlstiefe nicht zurück, die in der Beziehung der beiden Männer wohnt. Es ist die Ausgewogenheit, die Stefan Ruzowitzkys Interpretation stark macht, und wenn er das Bedürfnis weckt, nachher noch einmal zu dem Buch zu greifen und dieses Meisterwerk nachzulesen – welchen besseren Effekt könnte er erzielen?

Ab morgen in den Kinos.
 
 
Renate Wagner