„Davon glaube ich kein Wort!“

Wolfgang Pauli in der Anekdote

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
„Davon glaube ich kein Wort!“
 
Wolfgang Pauli in der Anekdote

 Von Ernst Peter Fischer

 
Der Herr Geheimrat
 
Zurück zur Physik und zu Sommerfeld – Pauli hat den großen Lehrer in späteren Jahren verehrt und ihn stets mit „Herr Geheimrat“ angesprochen, weil Sommerfeld das so gefiel. Er war eben ein Geheimrat im alten Stil des 19. Jahrhunderts, was sich zum Beispiel zeigte, wenn ihn jemand begrüßte. Eines Tages war ein Gast aus den USA in Sommerfelds Institut, doch als der amerikanische Physiker seinen Chef höflich mit „Guten Morgen, Herr Sommerfeld“ begrüßte, bekam er keine Antwort. Am nächsten Tag versuchte er es mit „Guten Morgen, Herr Professor“, was Sommerfeld immerhin ein Lächeln abrang. Zuletzt sprach der Amerikaner Sommerfeld mit „Guten Morgen, Herr Geheimrat“ an, woraufhin der Begrüßte ihn strahlend anblickte und freundlich erwiderte, „Ihr Deutsch wird von Tag zu Tag besser.“
     Was den Lehrer Sommerfeld angeht, so hat er eines Tages eine Vorlesung über Kristallphysik angekündigt, was seine Assistenten verwunderte, die fragten, ob er dieses Thema überhaupt beherrsche. „Nein“, antwortete der Geheimrat, „aber deshalb halte ich ja diese Vorlesung.“ Er ging dabei nach dem Prinzip vor, seine Auftritte so zu gestalten, daß sie für Fortgeschrittene zu leicht und für Anfänger zu schwer waren. Oder anders ausgedrückt – nach Sommerfeld versteht von einer guten Vorlesung jeder Zuhörer das erste Drittel, erfassen die Experten das zweite Drittel und geht das letzte Drittel über sämtliche Köpfe hinweg.
     Während Sommerfeld sich sorgfältig auf jedes Kolleg vorbereitete, vergaß Pauli manchmal, daß seine Vorlesung näher rückte. Einmal ergriff er im letzten Moment sein Heft mit den dazugehörigen Aufzeichnungen, hastete in den Hörsaal und vertiefte sich vor den Zuhörern in seine Notizen. Nach ein paar Minuten blickte er die Studenten an und murmelte verlegen, „ich begreife nicht, was ich mir dabei gedacht habe“, und fing dann einfach irgendwo mit seinen Ausführungen an. Dabei konnte es passieren, daß ihm ein vorgetragener Gedanke trivial vorkam, wobei die mathematischen Physiker mit diesem Attribut eine These kennzeichnen, wenn sie so offensichtlich und leicht zu erfassen ist, daß sie nicht eigens bewiesen werden muß. So ist zum Beispiel die Behauptung trivial, daß Menschen durch ihren Glauben geprägt werden, und in der Mathematik gilt unter geeigneten Voraussetzungen als trivial, daß die Multiplikation einer Zahl mit Null das Ergebnis Null ergibt, während das Malnehmen mit der Eins nichts ändert.
     Eines Tages hält Pauli eine Vorlesung über die Physik der Moleküle, deren Stabilität es zu erklären gilt. Wenn die Moleküle aus stabilen Atomen bestehen, dann sei es trivial, meinte Pauli, daß der gebundene Zustand die niedrigste Energie habe. An dieser Stelle stockte er. „Ist das wirklich trivial?“, fragte er, um grübelnd den Hörsaal zu verlassen und vor der Tür auf und ab zu spazieren. Nach 20 Minuten kehrte er mit einem strahlenden Lächeln zurück. „Es ist wirklich trivial“, meinte er, um ungerührt mit seinen Ausführungen an der Stelle fortzufahren, an der er das Vortragen unterbrochen und seine Gedanken geklärt hatte.
     Bei solchen Geschichten verwundert es nicht, daß Pauli im Alltag seine Mühe hatte und zum Beispiel versuchte, eine Sektflasche mit einem Korkenzieher zu öffnen. Auch hatte er Pech mit seiner ersten Frau, einer Tänzerin, die er bei seinen nächtlichen Ausflügen in St. Pauli kennengelernt hatte, die aber bald nach einem anderen Mann Ausschau hielt. Pauli ärgerte zwar, daß er plötzlich wieder alleine da stand, aber wirklich wütend machte ihn, daß seine Frau ihn eines Chemikers wegen verlassen hatte. „Wenn es doch wenigstens ein Mathematiker gewesen wäre“, jammerte das ehemalige Wunderkind der Physik, das sehr wohl über sich selbst zu sagen wußte, „das Wunder vergeht, während das Kind bleibt“.

 
© Ernst Peter Fischer
Aus: „Davon glaube ich kein Wort!“
Anekdoten und Geschichten aus der Welt der Wissenschaft
 Redaktion: Frank Becker