Beinahe oder Eins im Anderen

Rèverie im Café Engel

von Andreas Steffens

Andreas Steffens - Foto © Frank Becker
Andreas Steffens
 
Beinahe oder Eins im Anderen

Rèverie im Café Engel

 
„Kaffeehausintellektueller“ ist kein eindeutiges Epitheton.
Man muß hinzufügen, aus welchem Kaffeehaus.
Stanislaw Jerzy Lec, Unfrisierte Gedanken
 
Gerne wäre ich einer geworden. Wäre es noch möglich, und dessen Zeiten nicht vorüber gewesen, als ich es wenigstens gerade eben noch zum Intellektuellen brachte, bevor auch er im Plunder der Verödungen verschwand.
 
                Dabei war mein Kaffeehaus gar keines. Der Cour de Rohan in der Passage am Odéon, deren Ein- und Ausgang Danton metallisch unbeweglich fest im Blick behält, war ein Salon de Thé. Das einzige, was mich dort stören konnte, war denn auch, daß es zur Charlotte keinen Capuccino zu genießen gab. Damit versöhnte die Crème de Chantilly. Und, war das Mittagessen ausgefallen, noch ein Stück Tarte au citron, die aus nichts als Zitronensaft, winzigstem Schalenraspel, hauchdünnem Teig und einer Prise Vanillezucker bestand. Und dazu eine weitere Tasse Rouschka, feinster russischer Mischung.
 
                Von allen Getränken, die er anbot, bevorzugte der Patron den Weißwein, unübersehbar auf seinem winzigen Kassentischchen neben dem engen Treppenaufgang. Und wohl auch Härteres, darunter. Irgendwann im Laufe der Jahre konnte man es nicht mehr über–, und seiner Nase schließlich auch ansehen, deren Umfang und Dauerrötung die Anmutung einer Ganzjahreserkältung angenommen hatte. Unaufmerksam und fahrig wurde er, auch unwirsch mit seinen Angestellten, denen man irgendwann anmerkte, wie angespannt sie sich bemühten, ihm und seinen Aussetzern auszuweichen, und zwischen Mitleid und Zorn schwankend trotzig die Regie des Betriebs übernahmen. Die fröhlich leichte Stimmung verging. Bis er zuletzt immer seltener anzutreffen war, wodurch sie sich wieder hob. Irgendwann blieben Tische auch zur üblichen Hochzeit des Betriebes leer. Vorfälle hatte es wohl auch gegeben. Und dann standen wir eines Tages vor verschlossener Tür. Fermé à cause de ferméture, wegen Schließung geschlossen, vermeldete ein mit zittriger Hand geschriebener Zettel.
 
Nur hier hatte mich der Lärm Pariser Geschäftigkeit nie gestört, der mich zuverlässig während jedes Aufenthaltes mindestens einmal von dem sicheren Gefühl durchdrungen werden ließ, im nächsten Augenblick verrückt zu werden, sollte er nicht unverzüglich verstummen.
 
In Paris wird ununterbrochen gesprochen; ins Gespräch miteinander aber kommt man nicht. Man muß es schon sein, in der Clique seit Collège- und Unizeiten, mindestens, oder in Familie. Doch hier hätte ich manche Bekanntschaft machen können, mit deutschen Intellektuellen, Künstlern aller Sparten auf der Durchreise, oder Angesiedelten, in Begleitung ihrer französischen Bekannten, hätte ich es darauf angelegt. Wer weiß, vielleicht wurde die Widmung, mit der Hans-Jürgen Heinrichs mein Jahre später antiquarisch erworbenes Exemplar seines Buches „Der Reisende und sein Schatten. Städte und Landschaften“ für einen in Paris beheimateten deutschen Bildhauer versah, geschrieben, als er inmitten solcher Gesellschaft an einem der Nebentische saß, sie mit seiner sanften Stimme unterhaltend, die den hohen Geräuschpegel des gedrängt besetzten kleinen Raumes unaufdringlich so gebieterisch durchdrang, daß ich sie, kaum eingetreten, schon erkannte, noch bevor ich ihn erblickte.
 
Im Café Engel am Laurentiusplatz in Elberfeld sitzend, steigen sie manchmal wieder auf, die Nostalgien des Ortes, an dem ich zum dritten Mal zur Welt kam. Auch deshalb bin ich gerne dort. Es erinnert mich daran, wo es mir gelang, gerne zu sein. Denn ich war nicht allein. Nur, daß der Duft frischer Konditorkünste hier fehlt.
 
                Dafür umfängt mich beim Betreten der wohlig betörende Duft frisch gebrühten Kaffees.
 
Was eines vorenthält, schenkt anderes.