Das wichtigste Problem oder Die Zeta-Funktion

Herausforderungen und Hypothesen

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Das wichtigste Problem
oder
Die Zeta-Funktion

 Von Ernst Peter Fischer

Das Thema „Unendlichkeit“ beschäftigt die Mathematiker seit den antiken Anfängen, als der große Euklid sich überlegte, wie viele Primzahlen es gibt. Natürlich gibt es unendlich viele natürliche Zahlen – also 1, 2, 3, 4, 5 und immer so weiter ohne Ende bis in die abgezählte Unendlichkeit hinein –, aber wie sieht es mit den Primzahlen aus, die dadurch definiert sind, daß sie sich nur durch sich selbst teilen und nicht als Produkt zweier Zahlen schreiben lassen? Die ersten neunzehn Primzahlen lauten 1, 2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, 23, 29, 31, 37, 41, 43, 47, 53, 59, 61, und selbst wenn die Abstände zwischen ihnen ziemlich willkürlich aussehen, so scheint doch klar zu sein, daß mit zunehmender Größe einer Zahl das Angebot an kleineren wächst, durch die man sie teilen kann, und möglicherweise gibt es eine bestimmte und berechenbare Stelle, von der aus man das Unendliche ins Visier nehmen kann und nach der keine Primzahlen mehr zu finden ist.
         Doch Euklid konnte zeigen, daß man nicht so einfach davon kommt und es unendlich viele Primzahlen gibt, was zum einen den Mathematikern die Aufgabe stellte, deren Unendlichkeit von der der natürlichen Zahlen zu unterscheiden, und was ihnen zum zweiten die Herausforderung bot, die Verteilung der Primzahlen zu verstehen und in Form einer Rechenvorschrift zu erfassen.
         Von den Primzahlen ist deshalb hier etwas ausführlicher die Rede, weil sich die Mathematiker selbst heute noch an ihnen die Zähne ausbeißen und weil David Hilbert sich auf besondere Weise mit ihnen verbunden zeigte. Seine Liebe zu den Primzahlen zeigte sich oberflächlich darin, daß der große Mathematiker seinen Kollegen im Paris genau 23 Probleme stellen wollte und ein 24stes Problem kurz vor seinem Auftritt aus der Liste entfernt hat. Es durften nur 23 sein, es sollte eine Primzahl sein, und den tiefen Grund dafür findet man in Hilberts Antwort auf die Frage, welches mathematische Problem das wichtigste sei. Seine Antwort: „Das wichtigste Problem ist das der Nullstellen der Zeta-Funktion.“ Und nach diesen Worten ging Hilbert sogar noch einen Schritt weiter: „Das Problem der Nullstellen der Zeta-Funktion ist nicht nur das wichtigste in der Mathematik, es ist absolut das Wichtigste“.
 
         Bevor erläutert wird, was es mit diesen Nullstellen genauer auf sich hat, soll noch die Anekdote erzählt werden, die mit dem römisch-deutschen Kaiser Barbarossa beginnt, der im 12. Jahrhundert gelebt und regiert hatte und bei einem Kreuzzug gestorben war. Um seinen Tod hatte sich die Legende gesponnen, daß Barbarossa eigentlich nicht tot sei, sondern nur schliefe, um nach 500 Jahren zurückzukommen und Deutschland aus dem Schlamassel zu befreien, in den es bis dahin hineingeraten sei. Aus dieser Vorgabe hatte sich so etwas wie ein eigentümliches Ratespiel in akademischen Kreisen entwickelt, bei dem große Wissenschaftler gefragt wurden, was sie machen würden, wenn sie 500 Jahre nach ihrem Ableben wieder auf die Welt kämen und die Augen aufmachten. Hilbert zögerte keine Sekunde und sagte, „Ich würde fragen, ob das Problem mit den Nullstellen der Zeta-Funktion gelöst ist.“ Das heißt, Hilberts Antwort lautete genauer, „Ich würde fragen, ob jemand die Riemann Hypothese bewiesen hat“, denn es war der im 19. Jahrhundert (natürlich) in Göttingen tätige Mathematiker Bernard Riemann, der erstens die Zeta-Funktion eingeführt hat und zweitens das entscheidende Problem mit ihren Nullstellen formulieren konnte.
         Der Name Zeta-Funktion ist willkürlich gewählt, aber was Riemann im Auge hatte, war das, was man eine harmonische Reihe nennt. Es geht um Zahlen wie 1, ½, 1/3, ¼, 1/5, 1/6 und immer so weiter, wobei Riemann zum ersten im Nenner Exponenten zuließ – also 1, 1/2n, 1/3n, 1/4n … – und diese Hochzahlen zum zweiten nicht nur mit den üblichen reellen, sondern zudem mit ungewohnten imaginären Anteilen versah. Das ist keineswegs trivial, es würde hier aber zu weit vom Thema wegführen, wenn weitere Details der Zeta-Funktion zur Sprache kämen – Interessenten können sich in dem Buch „Dr. Riemann´s Zero“ des britischen Journalisten Karl Sabbagh informieren, in dem auch zu erfahren ist, daß ein Mäzen eine Million US-Dollar demjenigen bietet, der endlich das Problem löst, das Hilbert nach 500 Jahren Schlaf als erstes interessierte –, worauf es hier ankommt, kann aber einfach ausgedrückt werden, nämlich auf die Nullstellen der Funktion von Riemann. Wie jedes Gebilde aus Zahlen – etwa die Funktion x2 – 2 oder der Ausdruck 4x3 + 10 – hat auch die Zeta-Funktion, bei der die oben genannten Zahlen addiert werden, ihre besonderen Nullstellen, und Riemann vermutete – und wer dies beweisen kann, bekommt eine Million US-Dollar –, daß sie alle auf einer Linie liegen. Wichtig ist auch, wie sie auf dieser Linie verteilt sind, denn wer diese Anordnung kennt – und deswegen zeigte sich Hilbert so neugierig –, kann endlich Auskunft über die Verteilung der Primzahlen geben und dann, wenn man ihm eine von ihnen nennt, sogar berechnen, wie die nächste heißt, ganz gleich, in welch schwindelnden Billionenbereichen man sich gerade umschaut.
         Also – die Hypothese, um die es geht, lautet, „Die Nullstellen der Zeta-Funktion liegen auf einer Linie“, und wenn die Mathematiker dies rechnerisch auch für die ersten Millionen Nullstellen nachprüfen konnten, so bleibt doch noch ein langer Weg bis zur Unendlichkeit, wobei es natürlich Riemann selbst war, der 1859 die ersten Schritte unternahm. In einem Brief schrieb er damals zwar, er habe „die Aufsuchung eines strengen Beweises nach einigen flüchtigen vergeblichen Versuchen vorläufig bei Seite gelassen“, aber Kenner seines Lebens sind sicher, daß er sich unendlich viel Mühe gegeben hat, um seine Hypothese zu beweisen, deren Besonderheit sich eben daran zeigt, daß selbst Riemann an ihr gescheitert ist. Als man nach seinem frühen – allzu frühen – Tod unter seinen Papieren nach entsprechenden Notizen suchte, fand man nur Berechnungen für die ersten sieben Nullstellen, was im 19. Jahrhundert ohne Rechenhilfe kompliziert genug war. Wie nicht anders zu erwarten, kennt die Gemeinde der Mathematiker noch ein paar Geschichten, die sich um die Riemann Hypothese ranken, und drei sollen hier erzählt werden, wobei noch ergänzt werden kann, daß die Verteilung der Nullstellen heute große Dienste in der Kryptographie leistet und man erst sicher sein kann, daß bestimmte Verschlüsselungen nicht zu knacken sind, wenn Riemann richtig vermutet hat.  
           
 Fortsetzung folgt.

© Ernst Peter Fischer