Pioniere des Puppentrickfilms

Die Gebrüder Diehl und die Mecki Figur

von Wolfgang Dresler

© Diehl Film, München
Pioniere des Puppentrickfilms
 
Die Gebrüder Diehl und die Mecki Figur
 
Von Wolfgang Dresler

Als ich 1996 den ersten Kontakt zur Familie Diehl aufnahm, hatte ich Ferdinand Diehls Tochter Monika Gruss am Telefon. Ich war überrascht, daß die Videorechte an den Puppentrickfilmen der Gebrüder Diehl noch nicht vergeben waren. „Ich dachte, die Filme sind längst bei Herrn Kirch“, meinte ich. „Naa!“, antwortete Frau Gruss in schönstem bayerisch, „dem täten wir´s nicht geben. Ihnen aber schon.“ So ergab sich ein freundschaftlicher Kontakt und wir konnten über unser Label TACKER FILM im Laufe der Jahre nach und nach historische Filmschätze aus der bedeutendsten deutschen Puppentrickfilm-Produktion veröffentlichen.
 
Die drei Brüder Ferdinand, Herrmann und Paul Diehl gründeten 1929 die „Gebrüder Diehl-Filmproduktion“ in Gräfelfing bei München. Ferdinand und Herrmann Diehl arbeiteten in den 20er Jahren in der Trickfilmabteilung der Münchner EMELKA Filmproduktion - aus der später übrigens die Bavaria Film hervorging. Als die EMELKA 1928 schließen mußte, machten sich die beiden Brüder selbständig und beschlossen einen eigenen Trickfilm herzustellen. Sie wählten das Märchen „Kalif Storch“ von Wilhelm Hauff als Vorlage für einen Scherenschnittfilm - inspiriert von der Trickfilmerin Lotte Reiniger, die 1926 den ersten abendfüllenden Silhouetten-Film „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ herausgebracht hatte. In dem Maleratelier ihres verstorbenen Vaters machten sich die beiden 1929 ans Werk. In zweijähriger Arbeit entstand ihr erster Film an einem selbstgebauten Tricktisch. Doch „Kalif Storch“ war ein Flop, zumindest finanziell. Mittlerweile war der Tonfilm auf dem Vormarsch und Stummfilme wie „Kalif Storch“ waren kaum noch gefragt. Die Gebrüder Diehl experimentierten daraufhin mit dem Bau von Puppen, die sich für den Einsatz im Trickfilm eignen könnten. Die Puppen sollten bewegliche Glieder haben, die sich in jeder Bewegungsphase feststellen ließen. Außerdem sollten sie Mund und Augen bewegen können. Für solche Puppen gab es keine Vorbilder - die meisten Trickfiguren hatten unbewegliche Gesichter. Im Innern der Diehl-Puppen steckte ein aufwendiges Metallskelett mit Kugelgelenken, mit denen Arme und Beine bewegt werden konnten. Für verschiedene Gesichtsausdrücke gab es auswechselbare Puppenköpfe mit unterschiedlicher Mimik. Damit die Puppen „sprechen“ konnten, wurden austauschbare Mundpartien angefertigt. Für jeden Vokal und jeden Konsonanten gab es einen eigenen Mundeinsatz - d.h. es mußte alle paar Film-Sekunden die Mundpartie ausgewechselt werden. Die Sprache wurde anhand des vorher aufgenommen Textes genau ausgestoppt, damit die Puppe im richtigen Moment die passende Mundöffnung hat. Die Puppen sprechen sozusagen den Text nach, der vorher mit Schauspielern im Tonatelier aufgenommen wurde. Lange Versuchsreihen und Experimente waren nötig, bis die ersten Trickfilm-tauglichen Puppen einsatzbereit waren. Eine der ersten Puppen war der „Wupp“, eine „Grotesk-Figur“ wie die Diehls sie nannten. Diesen kleinen „Wupp“ stürzten die Diehls in mehreren Kurzfilmen in verrückte Abenteuer und Weltreisen.
 
Nach anfänglichen finanziellen Verlusten beim Kinoeinsatz brachte der Bavaria Filmverleih die Kurzfilme von 1931 an erfolgreich in die Kinos. Die Einnahmen durch die Wupp-Filme ermöglichten es den Diehls, ihr Atelier mit besseren Apparaturen
 
auszustatten und neue Figuren zu entwickeln. Es entstehen weitere Kurzfilme, meist humoristische Schwänke mit schrulligen Charakteren. Verschiedene Filmverleiher gehören zu den Auftraggebern. Den Nazis gefallen diese Filme nicht, sie werden als „volksfremd“ eingestuft. Trotzdem wird in den kommenden Jahren die Reichsstelle für den Unterrichtsfilm (RfdU) ein wichtiger Auftraggeber für die Diehls. Die RfdU ist der Vorläufer der heutigen FWU, die Schulen und Bildstellen mit Unterrichtsfilmen beliefert. Bis heute sind Filme der Gebrüder Diehl bei der FWU im Vertrieb. 1934 plant die Reichsstelle für Unterrichtsfilme deutsche Märchen in Szene setzen lassen. Die Puppen der Diehls scheinen geeignete Darsteller dafür zu sein. Als erster Film erscheint 1935 der Film „Von einem der auszog, das Gruseln zu lernen“. Der Film mit seinen grotesken Gespenstern und schaurig-gruseligen Schauplätzen wird ein großer Erfolg. Aufgrund seines hohen „Gruselfaktors“ löst er aber eine Kontroverse unter Lehrern aus. Nach dem Krieg wird der Film sogar zunächst von der amerikanischen Besatzungsmacht verboten. Glücklicherweise gab es keine Versuche, die Puppentrickfilme der Diehls für politische Propaganda der Nazis zu mißbrauchen. Die RWU („Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht“) und das Wissenschaftsministerium konnten offenbar verhindern, daß Josef Goebbels mit seinem Propaganda-Ministerium Einfluß auf die Schulfilme bekam. Tatsächlich haben die Diehls während der Zeit des Nationalsozialismus keinen einzigen tendenziösen Film gedreht. Sie konnten ein unpolitisches Nischendasein mit ihren Märchenfilmen führen und waren gleichzeitig ökonomisch einigermaßen unabhängig.
 
Die meisten Märchenfilme für den Schuleinsatz wurden übrigens aus Kostengründen als Stummfilme mit Zwischentiteln produziert. Vom Erfolg der ersten Märchenfilme beflügelt, wagen sich die Diehls an den ersten abendfüllenden Puppentrickfilm Deutschlands,
 
den sie auch selbst finanzieren: „Die sieben Raben“ nach dem gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm. Anderthalb Jahre dauert die Produktion. Der Film wird zum stimmungsvollsten und bisher gelungensten Märchenfilm der Diehls, der anders als die Filme für Schulen schon als Tonfilm produziert wird. 120 Puppen kommen in dem Film zum Einsatz! Im Rahmen der Märchen-Verfilmungen sollte auch eine Figur entstehen, die bis heute populär ist. 1938 setzen die Diehls die Tierfabel „Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel“ in Szene. Der Film ist eine echte Familienproduktion: Hermann Diehl entwirft die Igel-Puppe mit echtem Igelhaar, Ferdinand entwickelt die Tricktechnik, Bruder Paul schreibt pädagogische Begleittexte, Mutter Diehl näht Kostüme. Der Begriff „Gebrüder Diehl“ prägt sich auch bei den Kindern der Trickfilmer fest ein. Als Ferdinands Tochter Monika in der Schule einmal gefragt wird „wer ist dein Vater?“ antwortet sie prompt „Die Gebrüder Diehl“. „Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel“ gilt als Meilenstein der Tricktechnik. Den Namen „Mecki“ bekommt der Hauptdarsteller übrigens allerdings erst in den 50er Jahren - zunächst ist er nur der Igel, der den Hasen im Wettlauf übertölpelt. Der Film wird zu einem enormen Erfolg und kommt in großer Kopienanzahl in die Kinos. Selbst zu Kriegszeiten wird der Film in Frontkinos gezeigt. 1941 bekommen die Diehls den Auftrag, für den Heimkino-Markt „Max und Moritz“ nach Wilhelm Busch zu verfilmen. Die Puppen ließ man von einem professionellen Bildhauer herstellen - es ist einer der wenigen Filme der Gebr. Diehl, zu dem sie die Puppen nicht selbst herstellten. Die Umsetzung der Bildergeschichte von Wilhelm Busch besticht durch liebevolle Detailgenauigkeit der Dekors. Was Busch mit wenigen Strichen andeutete, wird werkgetreu in plastische Räume verwandelt. Das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover hält die Diehl-Verfilmung übrigens für „den bislang geglücktesten Versuch einer Animation von Buschs Bildergeschichte“.
 
Neben der Märchenfilm-Produktion werden die Diehls auch im Werbefilm tätig. Zahlreiche namhafte Firmen werben damals mit den Kobolden der Diehls. Die weiteren Kriegsjahre setzen der Filmfirma sehr zu. Immer wieder muß die Produktion wegen
 
© Gebrüder Diehl / Wilhelm Petersen / Springer
Materialmangel oder häufiger Fliegeralarme unterbrochen werden. Viele Arbeitskräfte sind zum Kriegseinsatz eingezogen, wegen der Kohleknappheit können die Ateliers nicht beheizt werden. Eine Verfilmung des „Heinzelmännchen“-Märchens kann nicht vollendet werden, die bereits vorhandenen Negative werden bei einem Bombenangriff zerstört. Nach dem Krieg scheidet Hermann Diehl aus der Firma aus. Ferdinand Diehl führt die Firma allein weiter, die allerdings erst 1948 eine Lizenz für weitere Produktionen erhält. Der Wiederanfang fällt schwer, die Ateliers sind verwahrlost, sie hatten in den letzten Kriegsjahren als Lagerräume für Möbel von Ausgebombten herhalten müssen. Die Heizungsanlagen sind vom Frost zerstört, die Dächer sind undicht.
Im Jahr 1948 fällt dem Chefredakteur der Programmzeitschrift „Hör Zu“ eine alte Postkarte mit dem Igel aus dem „Wettlauf“- Film in die Hände. Er kürt die sympathische Figur zum „Redaktions-Igel“ und nennt ihn „Mecki“. Seitdem wirbt die Figur auf Titelbildern, Zahltellern oder Plakaten für Hör Zu – allerdings ohne Genehmigung und Lizenz von Diehl-Film. Ferdinand Diehl protestiert. Nach langem Rechtsstreit darf die Hör Zu „Mecki“ schließlich auch rechtmäßig als Maskottchen verwenden. In der Nachkriegszeit sucht die amerikanische Besatzungsmacht nach einer Identifikationsfigur für die neue deutsche Wochenschau, mit der man die den Deutschen im Kino demokratische Werte und Toleranz vermitteln kann. Dabei stößt man auf die Igel-Figur aus dem „Wettlauf mit dem Hasen und dem Igel“. Diehl-Film erhält den Auftrag, Mecki-Kurzgeschichten für die Wochenschau zu produzieren. Von 1951 bis 1958 ist Mecki dort in unregelmäßiger Folge zu sehen. Mit Mecki werden nach den Wochenschau Einsätzen keine weiteren Filme mehr gedreht. Nur als Postkarten-Star wird er noch jahrzehntelang weiterleben, in gemütlichen Miniaturwelten, die Ferdinands Sohn Anton Diehl liebevoll in Szene setzt.
 

© Diehl Film / Tacker Film

Schon vor dem Krieg hatte Diehl-Film zahlreiche Werbefilme hergestellt. In der Zeit des Wirtschaftswunders lebt das Werbefilmgeschäft wieder auf. Diehl-Puppen werben erfolgreich für elektrische Haushaltsgeräte, Schreibmaschinen oder Textilgeschäfte. Weit über 100 Werbefilme sichern der Firma die wirtschaftliche Existenz. Die Produktionsanlagen können in den 50er Jahren nach und nach auf Vordermann gebracht werden. Ein Neubau für Werkstätten und Verwaltung entsteht, Atelier und Technik werden auf den neusten Stand gebracht. Trotzdem bleiben die Produktionsbedingungen schwierig. Im Kino gibt es jetzt viel ausländische Konkurrenz, die während der Nazizeit ausgesperrt war. Diehl-Film muß auf die neue Situation reagieren. Disney-Etats stehen in Deutschland schließlich nicht zur Verfügung. Wegen der geringen Gewinn-Erwartung müssen deutsche Kinder- und Jugendfilme kostengünstig produziert werden.

© Diehl Film / Tacker Film
Statt des zeitaufwendigen Einzelbild-Verfahrens versucht es Ferdinand Diehl-Film 1952 mit einem Handpuppenfilm: „Der Flaschenteufel“ frei nach der Kurzgeschichte von Robert Louis Stevenson. Die Puppen werden nicht mehr Bild für Bild im Stopptrick bewegt, sondern als Handpuppen wie bei einem Kasperl-Spiel geführt. Aber auch hier gibt man sich nicht mit einer einfachen Lösung zufrieden: die Handpuppen können sogar sprechen wie die bisherigen Diehlpuppen. Auch für die unterschiedlichen Gemütszustände der Darsteller gibt es wie früher auswechselbare Köpfe mit unterschiedlicher Mimik. Da die Puppen jetzt in „Echtzeit“ gefilmt werden, verkürzt sich die Drehzeit erheblich. „Der Flaschenteufel“ ist ein humorvoller Märchenfilm mit geheimnisvollen Schauplätzen und skurrilen Figuren, der schon etwas von dem Charme der Augsburger Puppenkiste vorweg zu nehmen scheint. Doch Ferdinand Diehl ist mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Seiner Meinung nach konnte der Reiz der im Einzelbildverfahren hergestellten Trickszenen nicht erreicht werden. „Der Flaschenteufel“ bleibt ein einmaliges Experiment. Ferdinand Diehl wendet sich wieder dem „richtigen“ Trickfilm zu.
 
1968 entsteht der erste farbige Märchenfilm im Diehl Atelier: „Die Wichtelmänner“. Ferdinands Sohn Anton entwirft die Puppen für den Film. Er wagt eine völlige Abkehr vom bisherigen Stil: Keine naturalistischen Figuren mehr, sondern witzige, auf wenige Formen reduzierte Puppen, die trotzdem ausdrucksstärker erscheinen als ihre Vorgänger. Auch für ihren nächsten Film „Die Bremer Stadtmusikanten“ von 1970 haben Ferdinand und Anton Diehl eine zeitgemäßere Form gefunden. Die Puppen müssen nicht mehr möglichst realistisch sein, auch auf das extrem zeitaufwendige Animieren von Mundbewegungen wird jetzt verzichtet. Statt naturalistischer Kulissen gibt es stilisierte Hintergründe. „Die Bremer Stadtmusikanten“ wird der letzte Film aus dem Diehl Studio. Mit den Eigenproduktionen trägt sich der Betrieb des Filmstudios nicht mehr. Immer wieder muß an Fremdproduktionen vermietet werden. Die Produktion eigener Filme schleppt sich dadurch immer länger hin. 1970 muß Diehl-Film die Produktion einstellen. Was bleibt, ist die Produktion von Mecki-Postkarten.
 
Immerhin: Diehl-Film hat über 40 Jahre lang kontinuierlich Puppentrickfilme realisiert. Und das in schwierigen Zeiten, immer wieder geprägt von finanziellen Nöten. Über 1.000 Puppen hat Ferdinand Diehl in seinem Studio zum Laufen gebracht. In einem Interview hat er es mal auf den Punkt gebracht: „Ich habe mein Leben lang mit Puppen gespielt.“ Warum eigentlich hat das Fernsehen die Fähigkeiten der Trickfilm-Pioniere aus Gräfelfing nicht erkannt und gefördert? Vielleicht hätten Aufträge des Fernsehens den Fortbestand des Studios sichern können. Die Mecki-Figur hätte durchaus das Potential für eine Trickfilm-Serie gehabt. Die Erfolge der Augsburger Puppenkiste haben bewiesen, daß es für Puppenfilme im Fernsehen eine Chance gab. Nur der Südwestfunk hat in den 60er Jahren mal eine vierteilige Miniserie bei Diehl in Auftrag gegeben („Die Abenteuer des lustigen Wistel“). Das ist aber auch der einzige Fernsehauftrag, den Diehlstudios je erhalten haben. Unverständlich bleibt, warum das Fernsehen die Erfahrungen und das Können der ältesten deutschen Puppentrickproduktion nicht genutzt hat. Trotz allem: Die Leistungen des Gräfelfinger Trickfilmstudios sind einzigartig in der deutschen Filmgeschichte.


Zahlreiche Diehl-Puppentrickklassiker gibt es inzwischen auf DVD, sie sind im Webshop www.tackerfilm.de erhältlich.
 
Redaktion: Frank Becker

Von der kommenden Woche an zeigen die Musenblätter mit freundlicher Genehmigung der Familie Diehl
jeweils Samstags ein Postkarten-Motiv aus der Mecki-Produktion.