Dani Karavan

Retrospektive Berlin 2008

von Johannes Vesper

Plakatmotiv: Passagen.
Hommage an Walter Benjamin,
1990-94, Portbou, Spanien Foto: Jaume Blasi

Dani Karavan

Retrospektive Berlin 2008


„Jede Idee wird für einen ganz bestimmten Ort entwickelt und zwar so, daß sie ein organischer Teil eben dieses Ortes wird“.
„ Ich bemühe mich, für die Menschen schöpferisch aktiv zu werden, sodaß sie alle Ihre Sinne benutzen können, daß sie hören und sehen, riechen und fühlen können, während sie sich bewegen. Ich will sie einladen, mit ihrer Umgebung, mit den Materialien, mit ihrer Erinnerung und mit sich selbst in einen Dialog einzutreten“
(zitiert nach: Texte von und über Dani Karavan)




Mizrach

An einem schönen Sommertag durch die Altstadt Regensburgs schlendernd, passiert man sicher auch den Neupfarrplatz. Auf dem Platz sitzen Passanten mit ihren  Kindern auf weißen, an Marmor erinnernden Säulentrommeln und Quadern aus feinem Beton in einem rechteckigen Areal von 11x18 m. An diesem „Ort der Begegnung“ ist den Menschen und Kindern nicht bewußt, daß der Neupfarrplatz im Jahre 1519 durch eines der größten Pogrome in Deutschland entstand, als nämlich die Synagoge und das jüdische Viertel zerstört und die Regensburger Juden vertrieben bzw. umgebracht wurden. Zufällig stieß man 1995 bei Bauarbeiten auf Grundmauern der zerstörten Gebäude. Mit seiner weißen Bodenplastik „Mizrach“ nahm Dani Karavan den Grundriß der damals zerstörten Synagoge auf, so an eine furchtbare Narbe der Stadtgeschichte erinnernd und sie vielleicht heilend.

Er wurde 1930 in Tel Aviv geboren, wo sein Vater als leitender Gärtner und Landschaftsarchitekt tätig war und das Bild der 1909 gegründeten Stadt geprägt hat. Die Familie stammte aus Lemberg. Schon auf dem Gymnasium entwarf Dani Karavan das Bühnenbild für Schulaufführungen. Richtig erfolgreich war er als Schüler allerdings nicht. Wegen schlechter Leistungen mußte er das Gymnasium wechseln. Als Jugendlicher engagierte er sich in der sozial-politischen  Jugendbewegung Israels und gründete mit Freunden einen Kibbuz, erhielt Kunstunterricht und erlernte grafische Techniken. 1956-57 reist er nach Italien, arbeitet in der Restaurierungswerkstatt der Uffizien, kopiert Fresken von Piero della Francesca und anderen Renaissance-Malern. Seit 1960 gestaltet er Bühnenbilder für verschiedene Theater und Tanzchoreographien in Israel, Italien und den USA.

Das Negev Monument - Ein Stonehenge Israels

1963 bekommt er den Auftrag, in der Nähe von Be`er Sheva das riesige Negev Monument zu

Negev Monument, 1963-68, Be‘er Sheva, Israel
Foto: David Rubinger (courtesy Tel Aviv Museum of Art)
errichten. Es erinnert am Rand der Wüste auf einer Grundfläche von 100x100m mit bunkerartigem Gebäude, mit Rampen, Durchgängen und einem burgartigem Turm als skulpturale Architektur monumental an den israelischen Unabhängigkeitskrieg 1947-1949.  Es handelt sich um sein erstes ortsspezifisches Kunstwerk, ein Stonehenge Israels sozusagen. Ein solches Werk ist auf dem Kunstmarkt nicht zu vermarkten. Es ist schlechterdings unmöglich, dieses Werk nicht auszustellen oder es in einem Archiv verschwinden zu lassen. Auch die späteren Werke Dani Karavans passen nicht in den üblichen Kunstbetrieb. Künstlerisch zeichnen  sich seine großen Werke immer durch Sensibilität gegenüber ihrem Standort aus und entstehen in der Regel als Auftragskunst im öffentlichen Raum.

Ma `alot

Karavan gestaltete Wandreliefs, zeichnete, illustrierte Bücher. Mit seinem Israelischen Pavillon bei der Biennale von Venedig 1976 wurde er endgültig international bekannt. 1977 wird er zur documenta 6 nach Kassel eingeladen. Die weiße Beton-Treppenarchitektur im Auenpark an der Fulda ist sein erstes ortsspezifisches Werk in Deutschland. Mit dem Erfolg des Ma`alot, des Museumsplatzes am Kölner Museum Ludwig (1980-86) mit seinem Eisenbahngleis parallel zu den Gleisen des nahen Hauptbahnhofs, folgen weitere internationale Aufträge.   
Frühe Bühnenbilder können als Entwürfe späterer Werke angesehen werden. Der Gestaltung von Mizrach in Regensburg (1997-2005) geht ein Bühnenbild von 1974 voraus. Insofern ist die

Duisburg - Foto © Johannes Vesper
Entwicklung unseres Künstlers in sich folgerichtig. Immer wieder greift er auf die Vergangenheit zurück. Im „Garten des Erinnerns“ am Duisburger Binnenhafen wird an die grandiose, ehemals bedrohliche Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts mit italienischen Zitaten traumhaft erinnert. Thematisch ähnlich setzt sich die Arbeit „Mima`amakim“ in Gelsenkirchen (Bundesgartenschau 1997) mit der Vergangenheit des Ruhrgebiets auseinander. Bei der „Straße der Menschenrechte“  im Zentrum Nürnbergs ist auf weißen, acht Meter hohen Betonsäulen jeweils einer der Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte eingraviert, die am 10.12.1948 in Paris von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündet worden sind. Und das in der Stadt der NS-Rassengesetze und der Kriegsverbrecherprozesse! In seinem Berliner Werk nahe dem Jakob-Kaiser-Haus des Deutschen Bundestages - das Werk heißt  „Grundgesetz 49“ -  sind die 19 Grundartikel des Grundgesetzes in eine Glasfassade graviert 

Shalom!

Dani Karavan bezweifelt, daß „Kunst die Kraft besitzt, einen Krieg zu verhindern, Frieden zu schaffen oder auch nur ein einziges Menschenleben zu retten“. Was er aber will, ist dem Hauptzweck des

Duisburg - Foto © Johannes Vesper
künstlerischen Schaffens gerecht werden, der darin bestehe „die Natur, die Gesellschaft, die Umwelt oder die Welt in ihrer Gesamtheit  zu heilen und zu erlösen“. Wenn das doch bloß gelänge!  Frieden ist jedenfalls ein, wenn nicht das Hauptmotiv für die Kunst Dani Karavans. Sowohl seine „Meditations on Peace“ (zwölf dem Frieden gewidmete Zeichnungen von 1973 (heute in den Uffizien in Florenz), als auch seine Landschaftsskulptur „The Path of Peace“ mit 100 Säulen entlang der israelisch-ägyptischen Grenze bei Nitzana (in die Säulen ist in 100 Sprachen das Wort „Frieden“ eingemeißelt) sind zentrale Werke Karavans.
Auf Dani Karavans Werke in Frankreich und Japan, Italien, Spanien und weitere in Israel kann hier nur hingewiesen werden. Seine Hommage an Walter Benjamin in Portbou/Spanien (1990-1994) mit dem langen Stollen durch die Küstenstruktur hinab zum Wasser ist ein Schlüsselwerk Dani Karavans. Walter Benjamin liegt dort an unbekanntem Ort begraben. Er hatte sich 1940 bei der Flucht aus Nazi-Deutschland  das Leben genommen. Es handelt sich um einen „Gedenkort für Walter Benjamin und die Exilierten der Jahre 1933-45“, der die Vergangenheit spiegelt.

Zur Karavan-Retrospektive in Berlin 2008, die am 1. Juni endete erschien ein umfangreicher Katalog mit einführenden Essays zum Werk und zu thematischen Aspekten, mit zahlreichen Abbildungen und einem ausgiebigen Anhang:

Ma‘a lot, 1980-86, Museum Ludwig Köln
Foto: Marion Mennicken

Dani Karavan. Retrospektive
Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen - Berlin
Herausgegeben von Fritz Jacobi, Mordechai Omer und Jule Reuter in Zusammenarbeit mit Noa Karavan-Cohen
Texte: Christoph Brockhaus, Nike Bätzner, Fritz Jacobi, Dani Karavan,  Angela Lammert, Eran Neuman, Mordechai Omer, Jule Reuter, Shva Salhoov, Tadayasu Sakai, Bettina Schaschke, Varda Steinlauf, Idith Zertal
408 Seiten mit 386 meist farb. Abb., Format 26 x 29,5 cm. Hardcover, ISBN 978 3 8030 3325 3
Ausstellungsausgabe (Paperback) € 25,–
Buchhandelsausgabe (Hardcover) € 49,80 (D)/SFr 85, – UVP
Zusätzliche Informationen unter: www.wasmuth-verlag.de


Redaktion: Frank Becker