Zauberhafte „Alice“

„Alice“ als Musiktheater nach Lewis Carroll in Düsseldorf

von Andreas Rehnolt

Lou Strenger - Foto © Thomas Rabsch

Zauberhafte „Alice“ im Schauspielhaus Düsseldorf
 
Das Stück in der Regie von Schauspieler und Sänger André Kaczmarczyk
lohnt unbedingt einen Besuch
nach dem Ende des neuerlichen Corona-Lockdowns
 
Im Schauspielhaus Düsseldorf hatte kürzlich (29.10.) das Stück „Alice“ als Musiktheater nach Lewis Carroll eine zauberhafte Premiere. Gute zwei Stunden entführten sieben Schauspielerinnen und Schauspieler sowie vier Live-Musiker auf der Bühne des Großen Hauses in das verrückt-verschrobene Wunderland der siebenjährigen Alice. Das wißbegierige Mädchen (wunderbar in Bewegung, Sprache und Gesang: Lou Strenger in der Titelrolle) hat Probleme mit dem tristen Alltag und langweilt sich sehr. Kein Wunder, daß sie eines Tages, als sie einem weißen Kaninchen begegnet, das es extrem eilig hat, hinterher rennt und ihm durch eine weißgestrichene Tür in eine andere Welt folgt.
Nach einem unendlich langen Fall findet sie sich in einem völlig anderen Land, in dem sie auf sprechende Tiere und merkwürdige Menschen trifft. Hier scheint alles, was Alice bislang im Elternhaus und in der Schule gelernt hat, nicht mehr zu gelten. Die Gesetze der Logik und der Natur sind außer Kraft gesetzt. Sätze werden verdreht und extrem seltsame, unverständliche Rätsel werden gestellt. Und immer wieder muß das Mädchen sich darüber klar werden, wer sie ist und was sie gerade machen muß. Das weiße Kaninchen (überzeugend und keck: Kilian Ponert) ist im Wunderland der Vertraute des Mädchens, der ihr Ratschläge erteilt und Fragen beantwortet.
 

Thomas Wittmann - Foto © Thomas Rabsch

Alices Körper ändert ständig die Proportionen, je nachdem, was sie gerade ißt oder trinkt. Im Wunderland gibt es die Grinsekatze (Judith Bohle, die auch in die Rolle der Herzogin oder der Maus agiert) und da ist natürlich der von André Kacmarczyk herrlich skurril und überkandidelt gespielte Hutmacher, der im Wunderland schwer dafür büßen muß, daß er die Zeit hatte totschlagen wollen. Für ihn nämlich ist es rund um die Uhr fünf Uhr nachmittags und somit natürlich Teezeit, bei der Alice und alle anderen Gäste auf Englisch parlieren und sich auf Krocket-Spiele mit Flamingos als Schlägern freuen.
 
In dieser sonderbaren Umgebung ist Alice auf sich allein gestellt, doch mit jeder Begegnung auf ihrer Reise durch das Wunderland gewinnt sie an Mut, spricht und singt selbstbewußter und stellt die Dogmen und unerklärlichen Vorschriften im Wunderland mehr und mehr in Frage. „Alice“ in Düsseldorf ist großartiges Erwachsenen-Theater und kommt in der Fassung von Kacmarczyk mit einem Bühnenbild aus unterschiedlichen Vorhängen aus. Die deuten die verschiedenen Spielorte an, Szenenwechsel werden mit Licht verdeutlicht. Grün ist natürlich der Wald, in dem „nichts einen Namen hat“ und in dem der kuriose Humpty-Dumpty (herrlich aufgeregt und anmaßend schwadronierend: Thomas Wittmann) auf einer Säule thront.
 

v.l.: André Kacmarczyk, Thomas Wittmann - Foto © Thomas Rabsch

Übergroße Schatten tauchen hinter grauen Vorhängen auf, wie etwa ein gewaltiger Hummer, der Alice zu bedrohen scheint. Ein Herzbubenritter (schmachtend und hilfsbereit: Sebastian Tessenow) muß sich später vor dem Gericht der rot gekleideten Herzkönigin (berechnend autoritär und böse: Claudia Hübbecker) verantworten. Wobei bei diesem, wie bei jedem anderen Prozeß das Urteil für die Queen im Wunderland schon vorher klar ist: „Kopf ab!“ fordert sie unzählige Male im Verlauf des Abends und wird dabei von Herzkönig Thomas Wittmann verzückt beklatscht. Alice aber beginnt beim Prozeß zu rebellieren, übernimmt die Verteidigung des Herzbuben und bietet am Ende sogar der tyrannischen Herzkönigin Paroli.
 
Fast gänzlich ohne große Requisite kommt „Alice“ in Düsseldorf aus, und der Zuschauer vermißt das nicht in den zwei Stunden auf der Bühne. Dafür sind die Kostüme von Jenny Theisen grandios und wirklich märchenhaft. Auch gesanglich ist der Abend ein Vergnügen, nicht nur beim Lied „Tränensee“, und musikalisch läßt die Band von Matss Johan Leenders keine Wünsche offen. Alle Darsteller mit Ausnahme von Alice spielen übrigens mehrere Rollen. Man merkt den Akteuren ihren großen Spaß am Spiel an, der sich auch auf das Publikum überträgt, das am Ende minutenlang und teilweise stehend lautstark Beifall klatscht für die Inszenierung und großartige Schauspieler.
 

v.l.: Claudia Hübbecker, Lev Gonopolskiy, Sebastian Tessenow - Foto © Thomas Rabsch

Sollte der neuerliche Lockdown tatsächlich Anfang Dezember zu Ende sein, sollte man sich die Düsseldorfer Version von „Alice“ unbedingt auf den Wunschzettel schreiben und sich trotz Corona-Pandamie in dieses wirklich sehenswerte Wunderland entführen lassen. Ansonsten könnte der Besuch des Stücks als „guter Vorsatz“ für das neue Jahr im Terminkalender notiert werden. 
 
Internet: www.dhaus.de