Ein Kinderkreuzzug

Bill Beverly – „Dodgers“

von Frank Becker

Ein Kinderkreuzzug
 
Vier schwarze Kleinkriminelle – bitte wörtlich zu nehmen, denn sie sind 13, 15, 16 und 20 Jahre alt – werden von dem schwarzen „Paten“ Fin der Drogenszene in Los Angeles mit einem Mordauftrag quer durch die USA geschickt, nach Wisconsin. Dort sollen sie Richter Carver Thompson umbringen, der in einem Prozeß als Zeuge Fins rechte Hand Marcus belasten würde. Mit falschen Papieren, ein wenig Bargeld und einem Van machen sich East (15), sein kleiner, aber völlig skrupelloser und schießwütiger Bruder Ty (13), der clevere dicke Walter (16) und der großmäulige Dealer und abgebrochene Student Michael (20) nach einem Treueschwur auf die Reise. Die meisten haben zuvor L.A. noch nie verlassen, und so wird es für alle eine Reise in und durch ein unbekanntes Land, durch trostlose Landschaften und triste Städte - mit einem unreflektierten Mordplan im Gepäck.

Bill Beverlys Erstling entpuppt sich schnell als viel mehr, als nur ein Krimi zu sein. Er führt seine vier Protagonisten als Produkte des schwarzen amerikanischen Prekariats vor, Burschen ohne durch Erziehung gewonnene Moral, ohne Repekt vor irgendwelchen Gesetzen, ohne Schuldbewußtsein. Ein Auftrag ist ein Auftrag ist das einzige was für sie gilt – auch wenn es ein eiskalter Mord ist. Seine Figuren zeichnet Beverly mit großer Sorgfalt, erschreckende Charakterbilder, deren Realitätsnähe in den Slums von Los Angeles vermutlich ihre Entsprechung findet. Wir wollen hier nicht Inhalt und Ablauf des Romans, die von ungeplanten Zwischenfällen unterbrochene Fahrt skizzieren, sondern mit Beverly den Blick vor allem auf seine zentrale Figur richten, den – wie übrigens alle – von Fin zum bedingungslos gehorsamen Kriminellen herangezogenen East.

Dieser 15jährige, der wie die anderen den Tod schon in der einen oder anderen Form gesehen hat, beginnt die unbekannte Welt mit ihren Eindrücken aufzusaugen, die wenn auch ungewünschten, so doch neuen, interessanten Kontakte mit fremden Menschen zu betrachten und zu analysieren. Zum Verbrechen geboren und erzogen hält er am Auftrag fest, der Mord geschieht, seine Umstände aber scheinen eine Wende in dem äußerlich abgebrühten, doch plötzlich reflektierenden Jugendlichen, der ja fast noch ein Kind ist, zu bewirken. Daß er unbeachtet seiner Hautfarbe im weißen Mittelwesten Akzeptanz erfährt, lockt ihn zwar nicht aus seiner Reserve, seinem antrainierten Mißtrauen, doch man spürt ihn förmlich denken, sich neu strukturieren. Ein Ziel hat er nicht, sucht jedoch nach Wegen – bis ihn die Vergangenheit einholt. Doch das ist noch nicht das Ende dieses Entwicklungsromans, der geschickt mit Möglichkeiten spielt. Bill Beverlys von Hans M. Herzog hervorragend übersetzte Sprache ist ebenso fesselnd wie die Haupt- und eingestreuten Randfiguren und der von ihm entwickelte Erzählstrang mit Sogkraft, dem man ohne abzusetzen folgen möchte. Er zeichnet zugleich ein deprimierendes Bild eines verlorenen Amerika. Ein ungewöhnliches Buch. Eine Empfehlung der Musenblätter.
 
Bill Beverly – „Dodgers“
Aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog
© 2020 Diogenes Verlag AG, 396 Seiten, Broschur - ISBN: 9783257245295
12,- €
Weitere Informationen: www.diogenes.ch