Ein sympathischer Verlierer
Reflexionen eines Gescheiterten
„Plötzlich hat man keinen Boden mehr unten den Füßen
und dann hat man Angst ohne Grund.”
Wir alle sind in diesem Jahr 2020 Verlierer gewesen, Pläne sind gescheitert, Träume geplatzt, Ziele in weite Ferne gerückt. Einem, den es mit dem zusätzlichen Vermerk „endgültig“ getroffen hat, begegnen wir in Stefan Waghubingers neuem Kabarett-Programm „Jetzt hätten die guten Tage kommen können“, wobei Kabarett vermutlich die falsche Einordnung ist, denn Waghubinger liefert mit seinem Dachboden-Monolog mehr: Einen alltagsphilosophischen Exkurs, ein lebenskluges intensives Solo von großer und daher schmerzlicher Wahrheitstreue.
Unser Protagonist, dessen Ehe gescheitert ist, vielleicht durch seine eigene Schuld, vielleicht auch nicht und der nun ein paar Habseligkeiten auf dem Dachboden des Elternhauses abstellen möchte, sieht sich dort oben mit seiner Kindheit und ihren Ängsten, dem Scheitern im Leben, der Vergangenheit und der Vergänglichkeit konfrontiert.
Da sitzt er nun, ein Mann, der sich an so viele Stationen seines durchaus erfüllten Lebens erinnern kann, das ihm dennoch aus den Händen geglitten ist - ein Bild des Jammers, dabei ein Sympathieträger, der ergreift und den man als Bruder im Geiste ans Herz zieht. Er ist ein friedfertiger, sanfter Plauderer vom Format und Rang des Süskindschen Kontrabassisten, doch ohne dessen Zorn, denn der geht ihm gänzlich ab. Er öffnet ganz leise seine verletzte Seele, sinniert über vergangene Zeiten, seine Exfrau und die nicht wahr gewordenen Hoffnungen, die ihn vorangetrieben haben.
Einen besonderen Reiz macht das leise Eindringen von wirklichen Alltagsgeräuschen aus, Kinderstimmen, vorbeifahrende Autos, schlagende Türen, Lebensgeräusche eben. Der echte Dachboden, auf dem Regisseur Wolfgang Dresler diesen tiefgehenden Monolog inszeniert hat und wo Waghubinger ganz bei sich sein kann, ohne Publikum und ohne Blick in die Kamera, ist ein perfekter Spielort für dieses kleine Drama mit hinreißenden Ausflügen in Alltags-, Werbe-, Medien- und Barbie-Welt.
Dieses feinsinnige Stück ist genau jetzt, zum Abschluß eines fürchterlichen Jahres, das richtige für eine persönliche Bilanz – ob man sich als Verlierer sieht oder nicht. Jeder von uns wird sich so oder so darin wiederfinden oder – besserenfalls – einen anderen. Das filigran austarierte Programm muß man sich wenigstens zweimal ansehen um sich die wie fast zufällig in Halbsätzen, angehängten Worten und nicht zu Ende gesprochnen Sätzen fallenden Pointen nach und nach erneut auf der Zunge zergehen lassen zu können. Es sind 90 Minuten glänzende Unterhaltung, ein brillanter Monolg, ein ganz feines Kammerspiel voller Witz, traurigem Charme und Melancholie, das unser höchstes Prädikat, den Musenkuß* mit Sternchen bekommt. Sehr empfehlenswert.
Stefan Waghubinger – „Jetzt hätten die guten Tage kommen können“
DVD – Regie: Wolfgang Dresler
Gesamtspielzeit: ca. 90 Minuten
Weitere Informationen: www.tackerfilm.de
Vorschau → hier: https://youtu.be/PMp2ZmLtCug
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