Wahrheiten

Kai Magnus Sting – „und ich sach noch“

von Frank Becker

Wahrheiten
 
Die Kunst der dreistufigen Beleidigung
mit Kai Magnus Sting
 
Kennen Sie das auch…? Mit dieser in den Saal gestellten Frage hat Kai Magnus Sting sein Publikum treffsicher in der Hand, denn genau das, was er aus dem Alltag, beim Einkauf, in der Arztpraxis, bei der Begegnung mit Polizisten und Frauen sowie im Eheleben in kleinen, markanten Szenen aufspießt, auf die Spitze treibt, haben viele natürlich ebenso erlebt und kennen es. Das bindet seine Zuhörerinnen im Saal, die vermutlich ihre Ehemänner mitgebracht haben, damit sie jemanden zum in-die-Seite-knuffen neben sich haben. Und so sind es auch vor allem die Damen, die im Duisburger „Steinhof“ mit ihrem hörbaren Vergnügen und befreienden Lachen die Stimmung zwei Stunden lang auf höchstem Niveau halten. Apropos Niveau: Kai Magnus Sting, der sich im Interview mit Regisseur Wolfgang Dresler zu seinem großen Vorbild Hanns Dieter Hüsch bekennt, zeigt eine Weltsicht und Tiefe, die sich immer wieder auf Augenhöhe mit Hüsch abspielt, ohne ihn zu kopieren. Sting geht seinen eigenen Weg, und er geht ihn mit dem sicheren Gespür dafür, was seine Zuschauerinnen und deren mitgebrachte Begleiterscheinungen amüsiert ohne zu kranken.
Das kennen Sie doch auch: ummes Brot, Ärzte, die wissen wollen, wie es uns geht, Hagebuttentee in Landschulheimen, Herbstdekorationen auf dem Fensterbrett, Nudelsalat-Rezepte, täglich die selben Talkshowgäste im Fernseher, welchen Kanal Sie auch einschalten, teetrinkende Frauen mit Räucherstäbchen und Katzen. Katzen!!! Und dann: Die dreistufige Beleidigung (mimisch) durch die ständige Begleiterin, macht Mann mal einen Fehler. Hinreißend. Da braucht es einfach keine Worte. Kai Magnus Sting beherrscht den stummen, anklagenden Blick, der das ganze Leid des von der Welt geplagten Mannes ausdrückt.
 
Das ist in der Tat Kabarett vom Allerfeinsten, wortgewandt, mit dem physischen Hauch eines Heinz Erhardt und der linguistischen Anmutung eines Jochen Malmsheimer. Kai Magnus Sting hat seine Lieblingsnummern der letzten Jahre zu einem mitreißend komischen und wahrhaftigen Programm zusammengestellt: einer Mischung ausgesuchter Schnurren, Anekdoten, Geistesblitze und Pamphlete. Ob es der versuchte Erwerb von Butterkuchen gegen den Widerstand der Bäckereifachverkäuferin ist, Kaffee in seinen zahlreichen Variationen (aber Kännchen gibt es nicht mehr!) für to go oder für to sit, von der Gattin verordnetes Shopping zum Erwerb einer Übergangsjacke (wie einst der berühmte Übergangsmantel bei Hanns Dieter Hüsch) und Badeshorts oder ungewünschte Sonntags-Fahrradausflüge nach Mal sehen – die Komik liegt bei Kai Magnus Sting im Alltäglichen und der unwiderstehlich liebenswerten Art, in der er all das - auch meisterlich in der Improvisation und im Extemporé präsentiert. Das sind gut zwei Stunden ungetrübte Heiterkeit + Zugabe und Interview, in dem sich der sympathische Künstler ganz unkompliziert öffnet. Knapp vor Corona im ausverkauften „Steinhof“ aufgenommen und ein Zeugnis dafür, wie sehr Kabarett von seinem Publikum und für es lebt. Von den Musenblättern herzlich empfohlen.

Kai Magnus Sting – „und ich sach noch“
Kabarett (DVD)
© 2020 Tacker Film, Länge: 129 Minuten, Bonus: 64 Minuten
Aufgezeichnet im Steinhof, Duisburg. 
 
 
Weitere Informationen: www.tackerfilm.dewww.kaimagnussting.de