Januar

von Detlef Färber

Detlef Färber - Foto © Silvio Kison
Januar
 
Im Januar machen alle alles besser. Ganz anders meine Personenwaage. Ausgerechnet am Anfang des neuen Jahres hat sie sich das Lügen angewöhnt. Ich ahne nichts Böses, stelle mich auf sie drauf, da zeigt mir das Ding doch gleich als erste Ziffer die 8 - die böse 8. Und das völlig aus heiterem Himmel. Zuerst denk' ich noch an eine Verwechslung. Kann aber eigentlich nicht sein, denn meine Waage und ich schlanker Jüngling, wir kennen uns schon Jahrzehnte. Oder liegt der Fehler doch bei mir - als simpler Bedienfehler? Ein Blick in die Gebrauchsanweisung hilft mir aber auch nicht weiter. Denn daß man so ein Gerät nicht mit in die Badewanne nehmen darf, weiß ich auch so. Was nun? Erst mal ordentlich frühstücken. Und dann noch mal das gleiche Spiel: Draufstellen, runtergucken und wieder die böse 8. Weil meine gute alte Waage nach so langem Miteinander plötzlich nicht mehr ehrlich zu mir ist, bin ich jetzt richtig wütend. Aber was soll ich machen? Die Ratgeberzunft rät in solchen Fällen, den Ärger nicht in sich reinzufressen! „Aktiv werden“, heißt es dann. Und dem Problem auf Augenhöhe begegnen, um es erfolgreich anzugeben. Klingt, als ob das klappen könnte. Gegen die böse 8 muß ich was tun, jetzt. Gleich geh' ich los und hol' mir dafür - was? Na klar: eine neue Waage!
       Also: Ich mich ruckzuck angehost und aber was ist das? Jetzt lügt offenbar auch noch meine Hose. Immer hat sie gepaßt wie angegossen, aber nun folgt sie dem schlechten Beispiel meiner Waage und wagt sich doch tatsächlich, mir den so einfachen Dienst des Knopfverschlusses unterm Nabel und - schlimmer noch - sogar den einfachen Akt des Reißverschluß-Schlusses zu verweigern. Als ein Mensch, der jede Form von Gewalt ablehnt, komme ich nun an die Grenzen meiner Prinzipienfestigkeit. Wobei ein Kraftakt ja noch nicht gleich Gewalt sein muß. Doch meine Hose faßt meinen Kraftakt ihr gegenüber offenbar doch als Gewalt auf und nimmt sofort Opferstellung ein: Das heißt in diesem Fall, sie reißt. Und weil sich kurz darauf auch noch meine einst genauso tadellos sitzende Zweithose dem Sitzstreik der Ersthose anschließt, muß ich nun einen schweren Weg gehen. Einen Weg noch dazu, auf dem mich heute niemand begleiten kann. Er führt in einen sogenannten Tempel, der in Wahrheit eine Hölle ist. In einen Einkaufspark mit Jeansladen. Und dort bin ich es nun, der eine Gewalterfahrung machen muß: freilich eine Erfahrung mit einer ganz anderen Art von Gewalt. Sanfter Gewalt, dosierter Gewalt - kurz, mit weiblicher Übermacht.
       Denn sie weiß, was sie da tut - die niedliche Jeansverkäuferin: „Sieht super aus“, raunt sie mir zu. Erst dann erkundigt sie sich listig, ob die Hose paßt, in die ich mich gerade so gewaltsam hineinzwänge. Ich nicke und muß dabei an die lästige Gewohnheit des Atmens denken, die ich schon beim Zuknöpfen dieser brutal-schicken Textilie keinesfalls aufrechterhalten kann. „Haben Sie die nicht noch 'ne Nummer größer? “, wage ich dann doch zu fragen. Als Antwort kommt, was kommen muß: „Die leider nur drei Nummern weiter.“ Und dann lächelt die niedliche Jeansverkäuferin ein dezent charmant-ironisches Lächeln - und sagt fast schon beschwörend-verschwörerisch: „Aber so eine brauchen wir doch noch längst nicht! “
Ich höre noch dieses unschlagbare „wir nicht“, als ich ihr mit der von ihr ausgesuchten Folterjeans in der Hand zur Kasse folge - wie ein Hammel, der zur Schlachtbank geführt wird. Keine Minute später tippt das Biest schon den Preis ein und ich zahle. Statt der Hose, die ich bräuchte, habe ich nun eine Art Großauftrag in der Tasche. Er lautet: „Reinwachsen! “ Aber grausamerweise muß ich das nun mit einem krassen Minuswachstum hinkriegen - wenn das noch was werden soll mit meinem neuen Kleidungsstück.
Doch ein Gutes hat mein Mißgeschick in der Boutique: Zum Essen aufgefordert, brauch' ich mich jetzt nicht mehr auf etwas so Unmännliches wie die Figur rauszureden. Ich sage in solchen Fällen einfach nur: Das ist nicht gut für meine neue Hose.
 

© Detlef Färber