„Davon glaube ich kein Wort!“
Kurt Gödel in der Anekdote
Von Ernst Peter Fischer
Der Herr Warum?
Als Einstein der Welt seine Zunge herausstreckte, lebte er in Princeton, New Jersey, wobei sein Aufenthalt am dortigen Institute for Advanced Studies dafür sorgte, daß diese Eliteeinrichtung außerhalb der USA überhaupt bekannt wurde. Eine Geschichte des Instituts trägt dann im Titel auch die Frage, „Who got Einstein´s Office?“, „Wer hat Einsteins Büro bekommen?“, was zwar nahezu niemand zu sagen weiß, was hier aber nur angemerkt und nicht weiter verfolgt werden soll. In diesen Zeilen soll es um den Logiker Gödel gehen, der aus dem jüdischen Wien stammt, in seiner Kindheit aus leicht einsichtigen Gründen „der Herr Warum?“ genannt wurde und sich nach einer umständlichen Flucht vor den Nazis in den 1940er Jahren in Einsteins Nachbarschaft wiederfand. Die beiden Herren haben viele gemeinsame Spaziergänge in den Wäldern an der amerikanischen Ostküste unternommen und sich dabei trotz höchst unterschiedlicher Lebensauffassungen offenbar auf der wissenschaftlichen Ebene bestens verstanden.
Wie verschieden die beiden älteren Genies lebten und agierten, zeigt sich unter anderem daran, daß Einstein meist salopp angezogen und ohne Socken herumlief, einen wohlgenährten Eindruck machte und voller Schalk mit einem fröhlichen Gesicht auf Besucher reagierte. Gödel hingegen kleidete sich stets korrekt, hüllte sich auch im Sommer in einen Mantel, wirkte ausgemergelt und weltfremd und zeigte nicht den Ansatz von Ironie und wirkte stets verbissen. Während Einstein Mozart und Bach verehrte, erquickte sich Gödel an seichten Schlagern und Micky Maus Cartoons. Während Einstein dem Gedanken an das Sterben eher wurschtig gegenübertrat – er hat einmal geschrieben, „Ich habe mir fest vorgenommen, mit einem Minimum an medizinischer Hilfe ins Gras zu beißen, wenn mein Stündlein gekommen ist, bis dahin aber drauf los zu sündigen, wie es mir meine ruchlose Seele eingibt, rauchen wie ein Schlot, arbeiten wie ein Roß, essen ohne Überlegung und Auswahl“ –, lebte Gödel wie ein Hypochonder, der streng Diät hielt, manchmal Babynahrung zu sich nahm und am Ende seines Lebens dermaßen unerschütterlich davon überzeugt war, daß man ihn vergiften wollte, daß er die Nahrung verweigerte, auf 30 kg Körpergewicht abmagerte und zuletzt sogar verhungerte. Man fand ihn im Januar 1978 in einer Ecke seines Büros wie einen Fötus im Mutterleib mit hochgezogenen Knien und eingerolltem Rücken auf dem Boden hockend.
Gödel wirkte und agierte bereits in jungen Jahren derart weltfremd und fast autistisch von der Wirklichkeit zurückgezogen, daß er in den späten 1930er Jahren gar nicht bemerkte, was politisch in seiner Heimat um ihn herum passierte, und erst in letzter Sekunde konnten er und seine Frau Österreich Richtung USA verlassen, wie man sagen kann, obwohl sie nach Osten aufbrechen mußten. Die Gödels hatten sich nämlich zu spät um ein Ausreisevisum bemüht, und so mußten sie über deutsch und sowjetisch besetzte Gebiete erst nach Moskau und von dort weiter mit der transsibirischen Eisenbahn nach Wladiwostok fahren, von wo aus es mit dem Schiff nach Japan und dann über den Pazifik endlich nach Amerika ging, erst an die West- und dann an die Ostküste, womit endlich die letzte Station auch der Lebensreise erreicht war.
Als Gödel 1947 in New Jersey beschloß, einen Antrag auf Einbürgerung in die USA zu stellen, wurde er zu einer Anhörung geladen, bei der auch über die amerikanische Verfassung gesprochen werden sollte. Gödel nahm sich den Text vor und entdeckte dabei eine Lücke, nämlich die logisch nicht abzuweisende Möglichkeit, Amerika auf legale Weise in eine Diktatur zu verwandeln (was in den Tagen eines Präsidenten Trump während dessen Amtszeit hätte Sorgen bereiten sollen). Er teilte seine Beobachtung Einstein mit, der ihn davor warnte, den zuständigen Richter darauf hinzuweisen, was Gödel dann aber doch tat. Zum Glück unterbrach der Richter Gödels logische Beweisführung und erteilte die Einbürgerung. Einstein gratulierte seinem Gesprächspartner und meinte, da wäre er bei seiner vorletzten Prüfung ja noch einmal gut davon gekommen. „Wieso vorletzte?“, wollte der Herr Warum? wissen. „Die letzte kommt“, antwortete Einstein“, „wenn du in dein Grab steigst.“
Zu Einsteins 70. Geburtstag hatte Gödel dem Vater der Relativitätstheorie ein besonderes Geschenk gemacht und ihm eine besondere und eigenwillige Lösung der Grundgleichungen vorgelegt, die Einstein für den Kosmos gefunden hatte. Gödels Modell beschrieb dabei ein Universum mit zyklischer Zeit, in dem sich alles in einer Endlosschleife befindet und unentwegt wiederholt. Die Zeit scheint nicht weiter relevant zu sein, wenn es sie überhaupt gibt, und in Gödels berechneter Welt konnte man in jede beliebige Region der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gelangen und sie auch wieder verlassen, was Einstein zwar mathematisch für pfiffig erklärte, physikalisch aber für unmöglich hielt.
Das Unmögliche und das Unlösbare, das lockte Gödel sein Leben lang, wobei sein größter öffentlicher Auftritt im September 1930 stattgefunden hatte, als der 24jährige Logiker aus Wien auf einer Mathematiker Tagung im preußischen Königsberg wartete, bis er ganz zuletzt an die Reihe kam. Gerade noch hatte Hilbert in seiner Vaterstadt seinen Kollegen verkündet, es sei in der Mathematik noch nie ein unlösbares Problem gefunden worden – weil es sie seiner Ansicht nach auch nicht geben konnte –, als Gödel sich erhob, nur einen einzigen Satz von sich gab und sich dann wieder setzte:
„Man kann unter der Voraussetzung der Widerspruchsfreiheit der klassischen Mathematik Beispiele für Sätze angeben, die zwar inhaltlich richtig, die aber im formalen System dieser klassischen Mathematik unbeweisbar sind.“
Die Fachleute im Saal hörten überrascht zu, konnten wohl kaum in dieser Kürze die Tragweite des Gesagten erfassen, fragten und sagten aber nichts und gingen lieber zum nächsten Vortrag über, der wieder im konventionellen Rahmen ablief. Es sollte Monate dauern, bis die Bombe platzte, die Gödel in das Gebäude der Mathematik getragen hatte, und seitdem fürchten sich seine Bewohner vor Sätzen, die zwar richtig, aber nicht zu beweisen sind. Als einfachstes Beispiel kann man die Vermutung anführen, die auf den Königsberger Mathematiker des 18. Jahrhunderts namens Christian Goldbach zurückgeht. Sie besagt, daß jede gerade Zahl größer als 2 sich als Summe von zwei Primzahlen schreiben läßt. 8 = 5 + 3, 14 = 7 + 7, 20 = 13 + 7 und ähnliche Additionen. Bis heute ist zwar kein Gegenbeispiel, aber auch kein Beweis für die ganz einfach klingende Goldbach Vermutung bekannt, und die Mathematiker müssen Hilberts Überzeugung „Wir müssen wissen, wir werden wissen“ zum Trotz sich mit Gödels Ungereimtheiten abfinden. Da ist die kalte Logik unerbittlich.
© Ernst Peter Fischer
(Redaktion: Frank Becker)
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