Komm, heilige Melancholie!

Ein Porträt der Schauspielerin Tina Eberhardt

von Frank Becker

Foto: Theis
Komm, heilige Melancholie!
 
Ein Porträt der Schauspielerin Tina Eberhardt
 
Es sind ihre liebsten Rollen - die melancholischen, deren Figuren den Ausdruck der Traurigkeit tragen, in denen die Verbindung vom Text zum Herzen von süßer Schwermut ist. Die Laura in Tennessee Williams' „Glasmenagerie“ war deshalb von Anbeginn einer der Charaktere, die ihr besonders am Herzen lagen.

Tina Eberhardt gehört seit der Spielzeit 1996/97 zum Ensemble des Schillertheaters NRW in Wuppertal. Holk Freytag hat die 26-jährige Württembergerin vom Fleck weg engagiert, als er sie in Basel sah, wo sie in Millers „Hexenjagd“ ihren ersten Stückvertrag nach der Schauspielausbildung in Zürich hatte. Die Wuppertaler Theaterfreunde haben sie seitdem in vielen Rollen gesehen und es ist augenfällig, daß sie zu der besonderen Sorte zählt - eine zurückhaltende, eher stille Frau, deren unerhörte darstellerische Kraft immer wieder überrascht und begeistert. Es brennt ein Feuer in ihr, das den bedeutenden Schauspielern zu eigen ist. Wer sie als Agnes Sorel in Schillers „Jungfrau von Orleans“, in Peter Weiss' „Die Ermittlung“, als Viola in „Was ihr wollt“, als berückende Titania im „Sommernachtstraum“ oder in der Rolle der Scout in „Popcorn“ gesehen hat, wird das bestätigen können. Die Scout ist übrigens - es fällt ihr schwer, aus der Menge der schönen Rollen eine herauszupicken - ihre bisherige Lieblingsrolle hier.
Ihre Kraft auf den Brettern schöpft Tina Eberhardt aus der spürbaren Verbundenheit mit dem Publikum, die es ihr möglich macht, das immer wieder neue (und zunehmende) Lampenfieber in kreative Energie umzusetzen. Dazu kommt ihre enorme Wandlungsfähigkeit, das Vermögen, eben nicht Tina Eberhardt in der Rolle der Titania, Agnes etc. zu sein, sondern überzeugend heute die Scout, morgen die Viola und dann die schwangere Tippse in „Sekretärinnen“ zu leben. Wie gut, daß sie mit 17 Jahren auf eigenen Entschluß das Tanzinternat der Stuttgarter Cranko-Schule verlassen hat, um lieber ihr Abitur abzulegen und daß sie aus einer Laune heraus als Edelkomparsin auf Einladung des Stadttheaters Aalen/Württemberg beim Weihnachtsmärchen Geschmack am Schauspiel fand. So führen Umwege manchmal zum Ziel.

Tina Eberhardt ruht in sich selbst, liebt Omas Erbsensuppe, selbstgemachten Rhabarberkuchen, „Vom Winde verweht“ (weil's guter Kitsch ist - sie heult jedesmal beim Film), Kleist und Elfriede Jelinek, die dicken fetten Stallhasen (Flecki) und möchte einmal Schottland und das gefahrlos begehbare Afrika bereisen. Unter Christoph Marthaler, Robert Wilson und Andreas Storm würde sie gerne spielen und glücklich sein möchte sie - ihr „Allerliebster“ ist wohl der Schlüssel zu diesem Wunsch. Glück ist ihr in der Tat das Wichtigste - wer könnte das nicht verstehen - neben dem tiefen Verlangen nach Freiheit in Denken und Handeln, soweit das eben möglich ist.

Das Fernsehen findet Tina Eberhardt furchtbar, den katastrophalen Einfluß dieses Mediums auf Kinder empfindet sie als dramatisch, da diese in eine realitätsferne TV-Welt abgleiten und neben dem Kontakt zur Wirklichkeit jeglichen Respekt vor Menschen und Dingen verlieren. Deshalb kann sie sich schwer vorstellen, fürs Fernsehen, namentlich die allgegenwärtigen sinnentleerten Serien zu arbeiten. Film hingegen wäre eine Anforderung, der sie sich stellen würde.

Die Bühnentätigkeit allerdings ist der Kern, ihr ein und alles und sie sagt mit strahlenden Augen: „Ich finde es ganz wunderbar, daß ich diesen Beruf ausüben darf!“ Wir danken ihr, daß sie es tut.
 
Frank Becker, 28.2.1999