Die Entdeckung der Welt und des Menschen in der Kunst der Renaissance

Ein Porträt von Apl. Prof. Dr. Michael Rohlmann von der Bergischen Universität

von Uwe Blass


Die Entdeckung der Welt und des Menschen
in der Kunst der Renaissance
 
Apl. Prof. Dr. Michael Rohlmann lehrt Allgemeine
Kunstgeschichte an der Bergischen Universität
 
„In Italien wird in den alten Stadtzentren ganz unmittelbar in und mit Geschichte gelebt. Aus der Renaissance sind an Wänden von Kapellen und Palästen große Bilderzyklen erhalten, die uns von allen Seiten umgeben, die uns gleichsam in eine gestaltete Kunstwelt eintreten lassen“, beginnt Michael Rohlmann, der seit 2012 Allgemeine Kunstgeschichte in der Fakultät Design und Kunst der Bergischen Universität lehrt. Frühe Italienerlebnisse prägen seine Begeisterung für die Kunst der Renaissance. Das ästhetische Erleben steht dabei zunächst im Vordergrund, denn, so sagt er, das sei eine ganz neue Erfahrung für ihn gewesen, die er aus der in Krieg und Wiederaufbau verwüsteten und fragmentierten Heimatstadt Köln kaum kannte. „Kunst ferner Vergangenheit ist dort nicht als entrückter Ausstellungsdekor in Museen, sondern als begehbarer Lebensraum zu spüren.“
 
Die Entdeckung der Welt in der Kunst
 
An der Universität zu Köln studiert Rohlmann Kunstgeschichte, Klassische Archäologie sowie Mittlere und Neuere Geschichte, erhält ein Stipendium über den Deutschen Akademischen Austauschdienst und verbringt zwei Jahre an der Università degli Studi di Firenze. Er promoviert über Altniederländische Tafelmalerei im Florenz des 15. Jahrhunderts, in der, wie er sagt, die Welt und die Menschen neu entdeckt würden. „Dies spiegeln uns Kunstwerke der Renaissance in Bildern vor. Es ist ja nicht nur eine ideale Formenwelt der Antike, die da ´wiedergeboren` wurde. In Flandern wurde im frühen 15. Jahrhundert eine neue naturalistische Maltechnik für kostbare, kleine Ölgemälde erfunden. Bis in winzige, feinste Details scheint die Welt mit all ihrer Stofflichkeit in Bildern eingefangen. Diese mobile Malerei auf transportablen Holztafeln eroberte ganz Europa.“ Italien übernehme in der Frührenaissance diesen bewunderten Maßstab guter Malkultur als begehrten Sammlungsimport und entwickle ihn weiter. „In den Jahren um 1500 konnten die großen, ortsfesten Wandbilder Italien mit ihren die Naturerscheinungen überhöhenden, klärenden, idealisierenden Schönheitsidealen, mit ihrer emotional bewegenden Erzählkunst, den europäischen Geschmack für italienische Bellezza erobern und das Modemodell Flandern dauerhaft ablösen. Um die Fresken zu sehen, mußte man nach Italien reisen“, erklärt Rohlmann, „Rom wurde für Jahrhunderte zu dem großen Studienziel junger Künstler auch aus dem Norden.“
 
Die Bibliotheca Hertziana - Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte
 
Insgesamt zehn Jahre arbeitet der gebürtige Kölner in verschiedenen Positionen an der Bibliotheca Hertziana - Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte in Rom, einer ganz besonderen Institution im Herzen Italiens. „Vor mehr als einem Jahrhundert stiftete Henriette Hertz, eine kunstbegeisterte Kölner Jüdin, in Rom eine deutsche Forschungsstätte zur italienischen Kunstgeschichte“, berichtet er, „die Mittel entstammten einem in der chemischen Industrie erzielten Vermögen. Diese deutsche Forschungsförderung im Ausland hat später die Max-Planck-Gesellschaft übernommen. Es ist sicher eine späte Folge romantischer Italiensehnsucht. Henriette Hertz hatte dazu den ehemaligen Palast eines Malers aus dem späten 16. Jahrhunderts erworben, oberhalb der Spanischen Treppe.“ Dort wollte schon dieser Maler nach seinem Tod, bedürftige nordische Kunststudenten aufgenommen wissen, weiß Rohlmann, so daß die Kunsthistoriker an der Hertziana bis heute in gewissem Sinne auch Erben der großen nordischen Künstlerreise in den Süden seien. „An diesem Institut habe ich mehr als zehn Jahre als Hilfskraft, Stipendiat, Institutsassistent, Preisträger der Otto-Hahn-Medaille und Privatgelehrter verbracht“, erklärt er. In diesem Zeitraum habe er forschend die europäische Entwicklungsgeschichte der Renaissance zwischen Nord und Süd thematisch schrittweise nachvollzogen. „Am Anfang stand als Dissertation die Untersuchung jenes im 15. Jahrhundert so erfolgreichen flämischen Kunstimports nach Italien und die Aufnahme und der Gebrauch, den diese Bilder im Süden erlebten. Dann führte mich der Weg über die Erforschung der Florentiner Frührenaissance endlich zum Rom von Michelangelo und Raffael und seiner europäischen Vernetzung und Wirkung. So spielte die eigene Biographie zwischen Nord und Süd immer wieder mit meinen Forschungsfeldern zusammen, gleichsam ein gelebter und wissenschaftlich bearbeiteter paneuropäischer Transfer.“
 
Habilitation über die Sixtinische Kapelle
 
In seiner Habilitation befaßt sich Rohlmann mit der Bildausstattung der Sixtinischen Kapelle unter den Päpsten Sixtus IV., Julius II. und Leo X. Über die Bedeutung dieses vatikanischen Kleinods in der Kunstgeschichte sagt er: „Die Sixtinische Kapelle war einst das liturgische Zentrum der Christenheit, der heiligste Ort auf Erden, wo Papst und Kurie die feierlichen Messen hielten und hochgestellte Rombesucher die Majestät des Papstes bestaunten. Man sollte sich während der heiligen Feiern in himmlische Sphären entrückt fühlen.“ Dazu habe der Bilderschmuck einen großen Anteil an dieser Inszenierung. „Über mehr als ein halbes Jahrhundert haben dazu die großen Meister des 15. Jahrhunderts, dann Michelangelo und auch Raffael wetteifernd beigetragen. Es entstand das vielleicht folgenreichste und dichteste ästhetische Experimentierfeld der neuzeitlichen Kunstgeschichte. Wie sich Europa die nächsten Jahrhunderte Gott und die Schöpfung vorstellen sollte, verdanken wir Michelangelos Deckenfresken.“ Dort werde Geschichte in einem hohen, erhabenen Stil erzählt, erklärt Rohlmann, man lernte bis ins 19. Jahrhundert aus Raffaels Entwürfen zu den Bildteppichen der Apostelgeschichte. „Nicht nur italienische Kunstgeschichte, sondern das europäische Bildgedächtnis erfuhr durch diesen Figurenkosmos eine entscheidende Prägung.“
 
Leonardos „Abendmahl“ als Reproduktion in Originalgröße im Kloster Dalheim
 
Nicht jeder Kunstinteressierte hat die Möglichkeit, diese weltberühmten Werke der Renaissance vor Ort zu betrachten, doch pfiffige Aussteller bieten mittlerweile auch da adäquate Lösungen an. Aktuell ist für dieses Jahr eine große Ausstellung im Kloster Dalheim angesetzt. Leonardo da Vincis „Abendmahl“ zu Gast im westfälischen Kloster Dalheim. Vom 11. Mai bis 21. November 2021 präsentiert die Stiftung Kloster Dalheim mit ´Leonardo da Vinci. Das letzte Abendmahl` eines der bekanntesten Werke der Kunstgeschichte als monumentale Reproduktion in Originalgröße. „´Leonardos „Abendmahl` ist in Mailand ja nur als entsetzliche Ruine erhalten und auf beklemmende, verstörende Weise nur für wenige Minuten und viel Geld zu besuchen“, sagt Rohlmann, „hier können die alten, großen gemalten Kopien des 16. Jahrhundert helfen.“ Sie würden zwar einen besseren Eindruck der einstigen Komposition des Originals vermitteln, weiß der Kenner, fährt jedoch einschränkend fort, „ignorieren jedoch dessen konzeptionelle Abstimmung auf Größe, Funktion und Aussehen des klösterlichen Speisesaals, in dem die Mailänder Mönche im Angesicht des von Leonardo gemalten heiligen, biblischen Essens selber zusammen speisten. Sie sollten sich als Gemeinschaft am Tisch Christi in der Nachfolge der brüderlichen Apostel fühlen und ihre Rollen in diesen Gruppenzusammenhalt psychologisch erforschen.“ Der Wissenschaftler verweist in diesem Zusammenhang auf eine Beschreibung Goethes, die dieser zu einer druckgrafischen Reproduktion gemacht habe. „Wer sie liest, wird Leonardos Werk auch in unvollkommenem Abbild bewundern lernen.“
 
Studierende lernen Originale kennen
 
Auch bei seiner Lehrtätigkeit in Wuppertal versucht der versierte Kunstgeschichtler die Studierenden an die historischen Originale heranzuführen. „Die Lehre in der Universität vor unvollkommenen Reproduktionen suche ich – so oft und so gut es geht – mit Erlebnis und Erfahrung von Originalen zu verbinden“, sagt er. „Seit zwanzig Jahren führe ich Studierende erst aus Köln, jetzt aus Wuppertal jedes Semester in die großen Sammlungen Europas, in die ursprünglichen Kontexte der Kunstwerke von Sevilla bis Petersburg, von London bis Palermo. In und aus den heute erkennbaren Spuren versuche ich vor Ort auch die vergangenen, untergegangenen Welten der Vergangenheit sichtbar werden zu lassen.“ Rohlmann weiß sehr wohl um die teils kostspieligen Exkursionen, die er als unbedingten Luxus definiert und führt weiter aus, „wesentlich tiefer und intensiver sind die vor Ort gewonnenen Erkenntnisse!“ Vielleicht könne man so die Gegenwart Europas, seine Probleme und Vielgestalt besser begreifen, erklärt er. Gerade in Wuppertal im Fach Kunst spüre man dabei einen direkteren ästhetischen, unmittelbareren Zugang der Studierenden, als dies oft in der akademischen Disziplin der Kunstgeschichte der Fall sei.
 
Die Entdeckung der Welt in der Kunst ist Ansporn in der Lehre
 
Zu den bedeutendsten Werken der Renaissance in der Kunstgeschichte sagt er: „Es sind die berühmten Antiken Roms, in der Renaissance aus dem Grab des Vergessens wieder zum Leben erweckt, der Laokoon, der Apoll, Torso und Venus; dann natürlich Giotto und Jan van Eyck, die Florentiner Historia und die venezianische Poesia. Dazu gehört sicher die Sixtinische Kapelle sowie mehr Raffael als Dürer. Man mag dies je nach Geschmack ästhetisch oder bildungspolitisch bedauern. Doch dieser in der Kunstgeschichte so lange dominanten Vergangenheit müssen wir uns immer noch stellen, wollen wir unsere Prägung, Werte und Träume durchschauen.“
Rohlmann sieht seine Aufgabe in Wuppertal in der Vorbereitung junger Menschen auf die nächste Generation und sagt abschließend: „Daß viele der Wuppertaler Studierenden mit ihren Erfahrungen und Erkenntnissen später selbst als Lehrende in den Schulen vor die künftige Generation treten, dort Kreativität, ästhetische Bildung und sinnliche Intelligenz weitertragen müssen und so an unser aller Zukunft mitwirken, ist für mich Ansporn, Verpflichtung und Lohn.“
 
Uwe Blass
 
Apl. Prof. Dr. Michael Rohlmann lehrt Allgemeine Kunstgeschichte in der Fakultät für Design und Kunst der Bergischen Universität