Vergnügliche Spaziergänge

Mäddel Fuchs – „Irgendwo und überall“

von Frank Becker
Vergnügliche Spaziergänge
 
Mäddel Fuchs´ Augen-Blicke
 
Es sind beherzte Momentaufnahmen“ schreibt Daniele Muscionico in seinem Begleittext zu  der unter dem Titel „Irgendwo und überall“ soeben veröffentlichten Retrospektive des Schweizer Fotografen Mäddel Fuchs (*1951), den er in die Garde der ebenfalls Schweizer Reportage-Fotografen-Trias Paul Senn, Gotthard Schuh und Hans Staub einreiht. Der aufs Hintersinnige, Widersprüchliche, auf unfreiwillig Humorige und leise Situationskomik im Alltäglichen gerichtete Blick dieses wirklichkeitsnahen Beobachters lockt mal um mal ein Lächeln aufs Gesicht des Betrachters, der sich zu erinnern glaubt, Ähnliches selbst schon einmal gesehen, aber dann doch nicht fotografiert zu haben. Gelobt der aufmerksame Fotograf, der seine Kamera stets bei sich hat und festhält, was beim ersten Blick nur witzig erscheint, im Grunde aber ein Abbild des Lebens ist.
 
Niemand möchte, daß Bubenhände seine Hauswand mit Graffiti verunzieren. Hat der Sprayer dann aber mangels Farbe aufgegeben, zur Entschuldigung aber noch eilig hingekliert „Sorry Farbe leer“ kann man sich eines Schmunzelns nicht erwehren. Manches Bild bemalter Wände birgt offenbar und deutlich eine Botschaft, sei es die gelöschte Suche nach einer Partnerin fürs Leben „suche ehefrau 69 4708“, sei es ein ähnlicher unerfüllter Wunsch nach den Brüsten eines Weibes, die im Ansatz abgebrochene Forderung „Für eine humane Asyl…“ oder das durch viel Tags akzeptierte Verbot, Plakate anzukleben. Wenn dann auch noch auf einem Plakat der Zürcher Feuerwehr zu lesen ist „ZÜRI BRÄNNT!“ muß man sagen: Das hat schon was.
 

©  Mäddel Fuchs

 
©  Mäddel Fuchs

Mäddel Fuchs hat solche illegalen heimlichen Inschriften dokumentiert, aber auch durch Fehler bzw. unfreiwilligem Witz in privaten, öffentlichen und gar amtlichen Beschriftungen erzeugte Pointen an Obst- und Gemüse-Kisten, Schilder-Wirrwarr, aufgelassenen Gebäuden und Amtsstuben, Schild(er)bürger eben. Das sorgt für mit leiser Schadenfreude vermischtem Vergnügen: Sieh, auch die dort sind fehlbar. Hinzu kommen Schnappschüsse aus dem Alltag, Naturstilleben, Käfig-Perspektiven, makabre Fundsachen wie ein Puppenbein am Straßenrand und stille, liebevolle Blicke auf das Leben. Da steht, beharrlich auf den Sommer wartend, einsam auf weiter Flur ein gekippelter Gartenstuhl im Schnee an einem beschneiten Tisch (s.o.), während das nächste Foto den Schatten genau dieser erträumten Situation zeigt, ein Paar umarmt sich auf dem nächtlich-nebligen Markusplatz, Angler geben sich allein oder in Kompaniestärke ihrer Leidenschaft hin und Großstädter dem Tai Chi. Bürgerprotest manifestiert sich, indem ein Velo (aber mit Solex) eben doch dort abgestellt wird, wo es verboten ist. Doch auch die Dramen wie Obdachlosigkeit, Drogensucht und Verfall spart Fuchs nicht aus.
 

©  Mäddel Fuchs

 
©  Mäddel Fuchs

Wem als Nicht-Schweizer die ganz oben genannten Namen weniger bekannt sind, findet jedoch sehr schnell weitere, andere Verwandtschaften der Bildsprache Mäddel Fuchs´, von denen ich hier nur zwei große Namen nennen will: Friedrich Seidenstücker (1882-1966, Der faszinierende Augenblick) und Fritz Eschen (1900-1964, Kamera Geschichten). In deren Gesellschaft in Sukzession paßt Mäddel Fuchs mit seinen Beobachtungen, die er knapp und trefflich kommentiert.
„Irgendwo und überall“ lädt zu vergnüglichen Spaziergängen ein. Ein wunderbarer s/w-Fotoband
 

©  Mäddel Fuchs

Mäddel Fuchs – „Irgendwo und überall“
Gesammelte Momente
Fotografien von Mäddel Fuchs. Mit einem Beitrag von Daniele Muscionico und einem Epilog
von Mäddel Fuchs. herausgegeben von Jürg Zimmerli.
© 2021 Scheidegger & Spiess, 196 nicht numerierte Seiten, gebunden, 169 Duplex-Abbildungen, 23 x 30 cm  -  ISBN: 978-3-03942-012-4
49,- sFr | 48,- €
 
Weitere Informationen: www.scheidegger-spiess.ch