Wolf ohne Alibi

von Detlef Färber

Detlef Färber - Foto © Silvio Kison
Wolf ohne Alibi
 
Na klar, der Wolf - wer denn sonst! Er war es, der vor ein paar Tagen diesen bedauernswerten Schäferhund gefressen hat. Zumindest angefressen. Oder? Halt, nein, stopp: Es muß doch heißen, er soll den Hund gefressen haben. Denn gerade für ein frisch resozialisiertes Tier wie Ex-Böserwolf gilt doch die Unschuldsvermutung. Mutmaßlicher Wolf, sagen wir korrekterweise, wenn's um die Täterschaft geht. Allerdings sind die Indizien gegen den Wolf erdrückend. Denn dieser Spätheimkehrer in den deutschen Wald war zweifellos im Lande, als es besagtem Schäferhund an den Kragen ging. Alibi hat er also keins. Dummerweise.
       Trotzdem kann er's nicht gewesen sein - ausgeschlossen! Denn der Wolf hat hier ein Wiedereinglíederungsprogramm vom Allerfeinsten durchlaufen: mit Waldsozialarbeiter, Rudeltherapie, Anti-Aggressionstraining und Hilfen bei der Ernährungsumstellung wie Obstpflücklehrgängen, Getreideernte-Seminaren und dem Kurs „Mehr Benimm, Herr Isegrim!“ Kurzum, die ganze deutsche Kuschelpädagogik hat sich an ihm selbstverwirklicht.
       Nach alledem hat der Wolf dann zwar doch die Streichelzoo-Tauglichkeit verfehlt. Aber nur um Haaresbreite! Trotzdem hat er, wie uns glaubhaft versichert wird, aus den alten Fehlern gelernt und Gewaltverzicht gelobt. Als Fast-Vegetarier stromert das Raubtier a. D. nun durch den Wald und übt strengste Rotkäppchen-Abstinenz. Und wenn ihm nach einem freudlosen Obsttag doch mal ein paar Schäfchen in die Quere kommen, dann ist - wenn's zum Schlimmsten kommt keiner so unglücklich darüber wie der Wolf selber. Denn er will ja nur spielen. Oder Schäfchen zählen. Manchmal leider mit den Zähnen statt mit den Zehen.
       Doch wie auch immer, schuld an solchen Resozialisierungspannen kann der ärmste Isegrim sowieso nicht sein, bei seinem verkorksten Elternhaus: mit lauter notorischen Sieben-Geißlein-Fressern. Daß dieser Friedwolf, dieses frischgebackene Schaf im Wolfspelz nun aber ausgerechnet seinen Cousin, jenen Hund, gemeuchelt haben soll, ist eine üble Unterstellung, die von wolfophoben Vorurteilen nur so strotzt. Deshalb muß das letzte Wort auch hier der Angeklagte haben: Hand aufs Herz, Wölfchen, das mit diesem Wauwau warst du doch nicht - oder?
 
Fußnote: Dieser kleinen Geschichte ist das Schlimmste passiert, was einer Satire widerfahren kann: Sie hat sich bewahrheitet und als pure Hellseherei entpuppt. Nach diversen Berichten über einen toten Hund und über Wölfe in der Lausitz stand ein Stück davon in der Zeitung. Datum: 16. Januar. Doch schon am 17. Januar folgte auf diese Glosse die nüchterne Nachricht vom Ergebnis eines DNA-Tests an der Hundeleiche. Und damit war der sonst so liebe Nachbarshund als Täter überführt.
 

© Detlef Färber