Eine ja doch überlange Geschichte

„Cruella“ von Craig Gillespie

von Renate Wagner

Cruella
USA 2021

Regie: Craig Gillespie
Mit: Emma Stone, Emma Thompson u.a.
 
Es mag „ewig“ her sein, aber an Cruella De Vil erinnert man sich bestens. Unvergeßlich die genial selbstironische Glenn Close, mit schwarz-weißem Haar, infernalischem Grinsen, oft umgeben von mindestens „101 Dalamatinern“, schwarze Tupfen auf weißem Fell, unwiderstehlich – es gibt Filme (dieser stammt aus dem Jahre 1996, auch schon ein Vierteljahrhundert her), die brauchen kein Remake. Bekommen es aber doch in Form eines neuerdings beliebten „Prequels“ (wie kam es denn dazu, dass Cruella so böse wurde?), weil Hollywood schließlich nicht dauernd neue Ideen produziert, sondern lieber einst Bewährtes noch einmal aufkocht. Meist mit geringem Mehr- und Nährwert für den Kinobesucher. Auch bei „Cruella“ ist man nicht so sicher, daß man sie gebraucht hat. Aber immerhin, das muß man zugeben, es ist optisch eine irre Show.
Der Film kommt jedenfalls mit allen Blockbuster-Hoffnungen in die Kinos und wird sie wahrscheinlich erfüllen. Immerhin waren dafür sechs Drehbuchautoren am Werk, was allerdings nicht unbedingt ein gutes Zeichen ist. Also, zurück in die Vergangenheit. Als man der späteren Cruella zuerst begegnet, heißt sie noch Estella (allerdings schon früh mit schwarz / weißem Haarschopf, sie ist eben anders als die anderen), zieht mir ihrer Mutter nach London. Dort stirbt die Mutter bei einem „Unfall“, wird Estella erwachsen und lebt im Sog der siebziger Jahre sozusagen halbkriminell mit zwei jugendlichen Dieben zusammen. Allerdings ist sie fest entschlossen, in der Modebranche Karriere zu machen und auch einmal zu den Reichen und Schönen zu gehören. Das ist nicht ganz einfach, aber sie schafft es mit ihrem wilden Look, der Modekönigin ihrer Epoche aufzufallen. Allerdings muß sie, anfangs unscheinbar mit Brille, grimmig über die Unterdrückung, unter dem Personal niedrige Arbeit tun.
 
Da hat sich das Interesse des Zuschauers schon einer ganz anderen Figur zugewendet. Auftritt der „Baronesse“, die berühmteste Designerin der damaligen Welt, in Gestalt von Emma Thompson. Wenn man diese nun gegen Meryl Streep in „Der Teufel trägt Prada“ antreten ließe (bisher ungekrönte Königin der Niedertracht), der Inbegriff dessen, wie Star-Chefinnen ihre Unterläufel behandeln, dann wüßte man wirklich nicht, wer die Fiesere ist. Und das auf allerhöchstem schauspielerischem Niveau. Da steckt auch noch in der ultimativen parodistischen Übertreibung dieser Dame ein Körnchen Lebenswahrheit, das zu erkennen ist.
Während sich Estelle mit tiefem Zorn im Bauch (sie verdächtigt die Baronesse, mit dem Tod ihrer Mutter zu tun zu haben) in Cruella verwandelt, nun auch optisch, in Schminke, Haartracht, Outfit, da schlägt der sich entwickelnde Konkurrenzkampf der Frauen durchaus Funken. Kann man die „Königin“ entthronen?
 
Und – kommt Emma Stone mit Emma Thompson mit? Sie ist jünger, hübscher, kann Unglaubliches mit ihren sprechenden Augen machen – sagen wir, sie ist Cruella und genießt es, die junge Schurkin zu sein. Aber daß man sie in dieser Rolle ewig im Gedächtnis behalten wird wie ihre Vorgängerin – das wohl nicht. Und übrigens: Die Idee, süße kleine Dalmatiner zu Modezwecken zu häuten, wird nicht wirklich ausgeführt. Wäre auch zu grausig.
Die siebziger Jahre in London, in welche die Story versetzt wurde, ermöglichen die optische Entfesselung einer schrägen Pop- und Punk-Welt, die von unleugbarem Reiz ist und sich in der Regie von Craig Gillespie (man merkt ihm seine Musik-Video-Vergangenheit an) mit großem Ideenreichtum entfaltet. Und wirklich bitterböse geht es hier auch nicht zu, wenn man bedenkt, daß schließlich Disney den Film auf die Streaming Plattform gestellt hat, und Disney steht eben noch immer für „Kino für die ganze Familie“.
 
Am Ende siegt in der ja doch überlangen Geschichte (zweieinviertel Stunden) wohl die Ausstattung (Kostümbildnerin Jenny Beavan ist „Oscar“-gekrönt, und man sieht es ihrer Arbeit an). Und – ja, es siegt Emma Thompson. Die Pointe übrigens, wer Cruella wirklich ist, nein, so richtig überrascht es nicht. Wer so böse werden kann, muß doch auch eine sehr böse Mutter haben?
 
 
Renate Wagner