„Davon glaube ich kein Wort!“

Einige stolze Persönlichkeiten (1)

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer

„Davon glaube ich kein Wort!“

Einige stolze Persönlichkeiten (1)

Von Ernst Peter Fischer
 
In den 1960er Jahren arbeitete der amerikanische Journalist Horace F. Judson als europäischer Korrespondent des Time Magazin in Paris und London, und bei seinen Erkundungen der herrschenden Kultur lernte er auch die französischen und britischen Molekularbiologen kennen, zum Beispiel die Herren Crick und Jacob. Judson zeigte sich von deren intellektuellen Qualitäten derart beeindruckt, daß er sein Leben änderte, sich zum Historiker der modernen Wissenschaft umschulte und nach Hunderten von Interviews die Macher der modernen Genetik in seinem berühmten Buch „Der achte Tag der Schöpfung“ vorstellte, das 1979 erschienen und nach wie vor lesenswert ist. Judson macht deutlich, daß Wissenschaft von großartigen Menschen und stolzen Persönlichkeiten vorangebracht wird, und auf den folgenden Seiten sollen einige Geschichten von ihnen erzählt werden, wobei nicht auf das Material aus dem „Achten Tag der Schöpfung“ zurückgegriffen wird. Es gibt ausreichend anderes.
       Der Name von Francis Crick ist schon gefallen, den viele als den eigentlichen Mastermind hinter dem rasanten Aufstieg der modernen Biologie ansehen, wobei man wissen sollte, daß Crick im Zweiten Weltkrieg erst als Physiker – mit militärischen Aufgaben – gearbeitet hatte und dann sogar eine Dauerstellung im zuständigen Ministerium angeboten bekam, bis ihm etwas auffiel. Ihm fiel auf, daß er am Ende eines Tages und vor allem auf einer Party immer nur über die Frage plauderte, ob seine Wissenschaft, die Physik, in der Lage sei, das Leben zu verstehen. Und während Crick beim fröhlichen Palavern immer lauter wurde und sich immer mehr wunderte, mit welchen Molekülen es das Leben fertig bringt, seine Ordnung von Generation zu Generation weiterzugeben und im Laufe der Evolution gar zu vermehren, entschied er sich, sein wissenschaftliches Leben noch einmal von vorne zu beginnen und dem Geheimnis des Lebens auf die Spur zu kommen. Er gab seinen Job auf, ging ins Cavendish Laboratorium, um dort eine Doktorarbeit über Molekülstrukturen anzufertigen, traf dabei Jim Watson, schenkte der Welt zusammen mit ihm die Doppelhelix und riet seitdem allen aufstrebenden Wissenschaftlern, den Plaudertest zu machen, wenn sie sich fragen, in welche Richtung sie ihr Suchen lenken wollen.
       Übrigens – Crick empfahl ehrgeizigen Biologen auch, nicht den Unsinn zu glauben, der in der Bibel steht, in der bekanntlich davon berichtet wird, daß die Frau aus einer Rippe von Adam hervorgegangen ist. Diese Erzählung erstaunte und ärgerte den jungen Francis, als er in einem Anatomiebuch die Rippen zählte und keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern ausfindig machen konnte. Crick ärgerte sich derart über den religiös verkündeten und als Wahrheit verbrämten Quatsch, daß er als bereits berühmter Biologe vorschlug, alle Kirchen erst zu schließen und dann zu Schwimmbädern umzubauen. Mit diesem flüssigen Medium wäre den Menschen mehr geholfen als mit den überflüssigen Predigten.

Die Original-Helix von
Odile Crick
       Als Watson und Crick die Doppelhelix konzipierten und dabei auf kleinste Dimensionen achteten, erzählte der Brite seiner Frau von diesen Bemühungen. Odile Crick zeigte künstlerische Qualitäten und zeichnete nach den Vorgaben ihres Mannes die Doppelhelix, die dann 1953 in der publizierten Arbeit zur Struktur der DNA abgebildet und dabei zu einer Ikone der moderne Biologie wurde (Abbildung: Die Originalhelix). Nie hat ein Molekül schöner ausgesehen, und nie hat ein Kunstwerk unmittelbarer zur Entwicklung einer Wissenschaft beigetragen, denn niemand konnte sich dem Eindruck der gemalten Doppelhelix mit ihrem Charme und Glanz entziehen.
 
       Der Triumph mit der schönen Schraube ließ in Crick den Eindruck entstehen, daß sich nicht nur das elementare Problem des Lebens, sich zu teilen und aus einer Zelle zwei zu machen, aufklären ließ, und damit das, was im 19. Jahrhunderts noch vollkommen mysteriös aussah, man dann doch durch eine molekulare Struktur einsichtig machen konnte. Crick meinte, sich nach dem Erfolg einem höheren Geheimnis widmen zu sollen, um es ebenso durch ein klar umrissenes Gebilde zu erfassen. Er meinte das Bewußtsein, und obwohl viele Molekularbiologen der frühen Erfolgsphase anschließend höher griffen – und sich etwa der Wahrnehmung von Organismen oder ihren Verhaltensmöglichkeiten zu widmen –, wollte niemand höher als Crick hinaus, wobei seine Suche nach einer molekularen Lösung des Bewußtseins vergeblich blieb. Als einer der frühen Mitstreiter um ein Verständnis der Gene in Bakterien, der Amerikaner Seymour Benzer, der sich im Verlauf seiner Karriere auf Untersuchungen an der Fruchtfliege namens Drosophila eingelassen hatte und mit ihrer Hilfe versuchte, die Genetik des Verhaltens zu verstehen, Crick vorwarf, zu hoch zu greifen und doch erst einmal zu versuchen, die Frage zu klären, ob Fliegen Bewußtsein haben, da antwortete Crick etwas entnervt, „Ich bin nicht sicher, ob Seymour so smart wie eine Fliege ist, denn er kann mit Sicherheit nicht so elegant wie sie an der Decke landen.“
 
 
© Ernst Peter Fischer