Verlierer

Amanda Sthers - "Der Gesang der Zikaden"

von Robert Sernatini
Kalt

Amanda Sthers neuer Roman verunsichert. Er wirft so viele Fragen auf, die er uns bewußt nicht beantwortet, daß nach der Lektüre eine verstörende Leere zurückbleibt. Der Leser/ die Leserin soll jene Fragen - die das eigene Leben betreffenden nämlich - gefälligst selber beantworten. Wofür lebt der Mensch? Gibt es Ziele, die es wert sind, angestrebt und verfolgt zu werden?
Was sind dabei aufwallende Gefühle wert? Gibt es die Liebe? Gibt es Ehrlichkeit? Amanda Sthers stellt uns eine Handvoll Menschen vor, die sich in Folge einer nicht unbedingt selbst zu verantwortenden Vergangenheit im eigenen Leben nicht mehr auskennen. Getriebene sind es, die genau wissen, daß sie dort wo sie sind nicht am richtigen Platz stehen. Die suchen und versuchen und die doch nicht den Zugang zu sich selber, noch weniger aber zu den anderen finden.

Die 40-jährige Madeleine, ein wenig zu dick, doch mit Brüsten ausgestattet, die sie für Männer begehrlich machen, hat zwar einen Traum, aber keine Hoffnung. Sie steht kurz vor dem Schicksal der Altjüngferlichkeit - aber nein, Sex hatte sie schon das eine oder andere Mal, doch ohne Liebe. Die alte rein-raus-Geschichte. Sie verkauft für ein Immobilienbüro in der grauen Bretagne Häuser. Als Antoine Castellot als möglicher Kunde in ihr Leben tritt (bitte nehmen sie das wörtlich!), entbrennt Madeleine ein letztes Mal. Er wäre der Traum- Mann, doch er ist verheiratet. Seine Frau liebt er nicht. Er liebt auch nicht Madeleine, doch er nimmt sie sich, gemein, hart, lieblos, schnell. Sie gibt sich ihm, bereit, weich, hilflos. Er geht ohne ein Wort, kommt später wieder, ohne ein Wort, benutzt sie und ihren Traum für eine unbestimmte Zeit, bis er wieder zurück in sein anderes ungeliebtes Leben geht.

Dann ist da noch Pépé Jacques, ein alter Mann, der nicht alt sein will und Rémi Kerguikous, ein Mann in Madeleines Alter, der gerne glücklich wäre. Er wird der einzige sein, der es scheinbar auch wird. Das Heute kommt einem beim Lesen vor wie das Gestern und das Morgen. Grau, trist, eine dauernde Anklage. Die Vergangenheit, die Castellot und Maeleine mit kaltem Griff umklammert hält, ist allgegenwärtig. Amanda Sthers läßt dem Leser keine Illusion, wie sie ihren Protagonisten keine Hoffnung läßt. Sie sind Verlierer. Alle. Die Lektüre ihres raffiniert aufgebauten sprachlich reichen  Romans ist eine Achterbahnfahrt. Abstoßend kalte, mechanische Erotik - nie ist in diesem Buch Erotik schön - wechselt mit Gedankenfahrten von berührender Tiefe. Die Figuren bleiben Skizzen, die der Leser kolorieren darf, wenn er mag. "Der Gesang der Zikaden" macht traurig. Nicht nur Madeleine...

Beispielbild

Amanda Sthers
Der Gesang der Zikaden

Roman

© 2008 Sammlung Luchterhand

156 Seiten, Klappenbroschur
8,- €

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