Zwei Schauspieler, die ihre Möglichkeiten nützen

„Nebenan“ von Daniel Brühl und Daniel Kehlmann

von Renate Wagner

Nebenan
Deutschland 2021

Regie: Daniel Brühl
Drehbuch: Daniel Kehlmann
Mit: Daniel Brühl, Peter Kurth, Aenne Schwarz, Rike Eckermann u.a.
 
Anfangs erlebt man einen selbstgefälligen Star in seinem Berliner Loft. Mondän elegant hinter meterhohen Fenstern, wie es eben üblich ist. Gut, die Aussicht ist nicht berauschend, man befindet sich in einem alten Wohnblock Berlin-Ost, aber ein eigener, in den Hof gebauter Lift, der nur für den Star in die Höhe und hinab führt, sorgt schon dafür, daß man mit der Mitwelt nicht in Berührung kommt. Daß man für sein Luxusdomizil einst einen einfachen Mann, der „ewig“ dort gewohnt hat, aus seiner Dachwohnung gedrängt hat – das weiß der Star nicht, wirklich nicht, ehrlich.
Und er ist ja auch nicht „so“ – wenn er vor einem Flug nach London (ein Vorsprechen für einen Sci-Fi-Film) noch ein bißchen Zeit hat, geht er wohl auch in die Kneipe ums Eck und mischt sich ein wenig unter die „Normalos“. Die echt Berliner Mama hinter der Theke macht da schließlich noch Filterkaffee. Ihre Spezialität für Einheimische, Sülzchen, hat er allerdings nie kennen gelernt. Und daß sie Hilde heißt, weiß er auch nicht.
 
In dieser Kneipe spielt sich „Nebenan“ ab, nach einer Idee von Daniel Brühl. In ein Drehbuch gebracht von Daniel Kehlmann, bei genauem Hinsehen eines seiner typischen, geschickt gebauten, vordergründigen Theaterstücke (irgendwann wird es sicher auch auf der Bühne landen). Brühl, der schon 2015 in der Verfilmung von Kehlmanns „Ich und Kaminski“ gespielt hat, ließ sich von ihm eine Traumrolle auf den Leib schreiben, den Star, der sogar Daniel heißt, und er spricht auch Spanisch und Englisch herausragend, ein bißchen persönliche Eitelkeit darf bei einem solchen Ich-Projekt schon dabei sein. Denn als Regisseur fungiert der Daniel (der Brühl) diesmal auch. Ambitioniert das Ganze und auch sympathisch, wenn es nicht so auf der Hand läge.
In der Kneipe, wo sich der Star (angesichts der lächelnden Wirtin) schon recht aufplustert, sitzt Bruno, der Nachbar von vis a vis, den er nicht kennt, der aber das ganze Leben von Star Daniel mitbekommt. Im Bild durch die großen Fenster und in Ton, weil alle Auseinandersetzungen von Daniel und Gattin Clara, einer Ärztin, offenbar über den Hof schallen. Und was das kubanische Kindermädchen anstellt und wen sie einlädt, wenn die Herrschaften nicht zuhause sind, das weiß er auch.
Bruno weiß alles von Daniel – und sagt es ihm. Langsam, der Reihe nach. Zuerst ist er nur ein Gast in der Kneipe, der Daniel anstarrt. Das ist dieser gewohnt, er ist ein Film- und Fernsehserien-Star, und er hat gelernt, wie unendlich höflich und freundlich man mit Fans sein muß. Auch wenn sie einem, wie dieser Bruno, eigentlich nur Unfreundliches sagen (wo man doch im allgemeinen nur Schmeichelei und Bewunderung zu hören bekommt). Besonders an dem Film über die Stasi, den Daniel gedreht hat, hat Bruno viel auszusetzen. Er weiß schließlich, wovon er redet. Das waren Leute wie Du und Ich, sagt er – und man wird den Verdacht nicht los, daß Bruno selbst einer von ihnen gewesen sein kann (auch wenn er es leugnet, aber man kann schließlich lügen).
 
Zuerst will er Daniels Selbstbewußtsein als Schauspieler untergraben und attackiert ihn, immer in sanftem Ton, so sehr, bis dieser seinerseits aggressiv wird. Außerdem muß er aufbrechen, nach London, Vorsprechen für den Sci-Fi-Blödsinn, von dem er mehr wissen will und von allen Leuten, die ihm am Smartphone freundlich tun, nichts erfährt. Ja, und als er mit Bruno als „Partner“ (auf Englisch) die Szene liest, die er vorsprechen soll, wird ihm erst vollends klar, welcher Unsinn da verzapft wird. So verliert man quasi Schritt für Schritt den Halt.
Keine Frage (das weiß man von der ersten Minute an), daß Daniel an diesem Tag nicht nach London kommt. Denn Bruno füttert ihn nun in kleinen Stückchen mit Information. Erst darüber, was er über das Kindermädchen Conchita weiß. Und dann… dann geht es los. Denn Bruno gehört zu den Ossis, die es im Westen trotz aller Versprechungen (die Wut auf Kohl ist ungebrochen) nicht geschafft haben. Nicht nur, daß man den Vater aus der Mansarde mobbte, wo jetzt das Loft von Daniel über der Mitwelt schwebt. Er selbst hat auch keinen anderen Job gefunden, als in einer nächtlichen Kreditkarten-Hotline Feuerwehr zu spielen. Was ihm allerdings Einblick in Konten und Kontobewegungen verschafft. Und wer die zu lesen versteht…
Was rauskommt, liegt natürlich auf der Hand: der Liebhaber der Gattin, Daniels Ausflüge auf Pornoseiten. Ja, innerhalb von eineinhalb Kinostunden geht da so gut wie alles kaputt am künstlich zurecht gezimmerten Traumleben. Bruno hat einen verdammten Zorn im Bauch, und es ist nicht nur Neid, da steckt auch Grundsätzliches dahinter, etwa der Wunsch, Menschen mit Lügen und Selbstbetrug nicht immer durchkommen zu lassen.
 
Mit diesem Stoff plagt sich Daniel Brühl als Regisseur, und vielleicht wäre das Ergebnis besser gewesen, hätte er nur seine fabelhafte Rolle gespielt (so sehr sie auch auf der Hand liegt). Immerhin hat er für etwas ganz Wichtiges gesorgt, und das zählt zu den Qualitäten des Films: Niemand übertreibt. Nicht er die Arschloch-Seite des Stars, auch nicht die Hilflosigkeit. Er könnte überzeichnen, parodieren, die Figur preisgeben, er tut es nicht. Schwimmt aber auch nicht in schmalzigem Mitleid, beschönigt nichts, am wenigsten die Eitelkeit. Das ist schon eine sehr substanzielle Leistung.
Bloß – da ist Bruno, der Mann von nebenan. Peter Kurth tut scheinbar nichts anderes, als in seiner Massigkeit in der Kneipe herumsitzen. Spielt sich nicht zu einer mythischen Figur auf, die Gerichtstag hält. Ist nur ein gescheiter Mann, der die Nase voll hat und das so leise exekutiert, wie es vielleicht sadistische Stasi-Schergen getan haben. Und er ist so intensiv, daß er Daniel Brühl darstellerisch einfach an die Wand knallt. Das Duett, das Duell – er entscheidet es fraglos für sich. Kompliment dem Regisseur Daniel Brühl, daß er es zugelassen hat.
 
Keiner der anderen, die da noch mitspielen, tut zu viel: Was könnte man aus einer Berliner Kneipenwirtin Schreckliches machen: Rike Eckermann schaut sich das Ganze an, serviert Kaffee, Bier, Schnaps und hat den Laden und seine Besucher in aller Ruhe fest im Griff. Kehlmann läßt geschickt (und wie immer zielbewußt vordergründig) ein paar „farbige“ Figuren durchwanken, den Arbeitslosen, den wütenden Trinker in der Ecke (der sitzt). Wenn ein Pärchen auf der Straße Daniel um ein Foto bittet, sagt er „Gerne“ und will sich in Position stellen – aber sie wollen von ihm fotografiert werden, weniger, weil sie offenbar noch nie von Selfies gehört haben, sondern dramaturgisch, um den Star herunter zu holen… es kennt ihn doch nicht jeder.
Nur einen wirklichen Auftritt hat Aenne Schwarz als Gattin und zeigt dabei eine Souveränität (auch wenn ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wird), die den Gatten in die Tasche steckt. Am Ende haben die Männer ihren Kampf ausgetragen (daß Daniel angesichts seiner zerstörten Illusionen zuschlägt, versteht man) und sitzen trübselig an der Theke – es wäre ein wunderbares Schlußbild, sähe man nicht noch die Gattin im Loft telefonieren, Genaues erfährt man nicht, es ist ein Antiklimax, den es nicht bräuchte.
Aber sonst – ja, gelungen. Sicher kein Meisterwerk. Aber es gibt „well made plays“, und das ist ein solches, es ergibt einen „well made film“ für zwei Schauspieler, die ihre Möglichkeiten nützen.
 
 
Renate Wagner