„Davon glaube ich kein Wort!“

Max Planck in der Anekdote

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer

„Davon glaube ich kein Wort!“

Quantensprünge (2)

Von Ernst Peter Fischer
 
Neben dem heiligen Energiesatz kannte die Physik noch einen weiteren Haupt- oder Grundsatz der Wärmelehre, in dem die Zeit eine Richtung bekommt und ihr Pfeil nur nach vorne fliegen kann. Planck wollte diesen aufregenden Zusammenhang verstehen und dabei Gesetze finden, die für „das Absolute gelten“, wie er sagte und womit er das meinte, was auch als Objektivität bezeichnet wird. Er konnte nicht ahnen, daß er durch seine Quantensprünge das genaue Gegenteil erreichte, nämlich dem beobachtenden Subjekt eine maßgebliche Rolle bei der Beschreibung der Natur zu geben, weshalb er auch die ganze Zeit hoffte, es ließe sich irgendein Weg finden, die Quantensprünge wieder aus der Physik zu eliminieren. Ihm gefiel seine Theorie überhaupt nicht, die er in einem „Akt der Verzweiflung“ entworfen hatte, wobei diese Haltung dazu einlädt, eine Anekdote zu erzählen, die von dem Komponisten Arnold Schönberg handelt, der in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts die Zwölftonmusik konzipierte und Stücke komponierte, die viel Gewöhnung auf Seiten der Zuhörer verlangte (und bis heute noch verlangt). Als Schönberg vor dem Ersten Weltkrieg gefragt wurde, ob ihm seine Musik gefällt, soll er geantwortet haben, „Nein, aber einer mußte sie komponieren.“ Wenn man Planck nach 1900 gefragt hätte, ob ihm seine Quantentheorie gefällt, hätte er fast die gleichen Worte benutzen und sagen können, „Nein, aber einer mußte sie aufstellen und vorlegen.“ 
       Übrigens – die Stelle, an der Planck von seinem Studienbeginn erzählt, findet sich in seinem Buch mit seinen „Vorträgen, Reden, Erinnerungen“, die lange vergriffen waren, die aber mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts wieder verfügbar sind. In Plancks Texten geht es um zeitlose Themen wie dem „Wesen der Willensfreiheit“ und den „Kampf um die Weltanschauung“, den die Physik führt. Doch so viel Sorgfalt Planck seinen Worten widmet, so wenig wenden die Herausgeber dafür auf. Natürlich denkt niemand, er hält hier einen Band mit neuen Texten in der Hand. Aber etwas mehr als der Hinweis aus dem Vorwort, die jetzt vorgelegte Auswahl von Reden „unterscheidet sich wesentlich“ von alten Auflagen, wäre schon angemessen gewesen. Schließlich redet Planck von den Folgen der „größten Kulturleistung des Menschen im 20. Jahrhundert“, wie die Herausgeber die von ihm in die Wege geleitete Quantentheorie zu recht bezeichnen. Und deshalb möchte ein Leser schon gerne genauer wissen, wer da nach welchen Kriterien welche Aufsätze aus früheren Ausgaben weggelassen hat. Neugierig kann man besonders bei folgenden Details werden:
       Wenn sich Planck zum Beispiel Gedanken über „Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft“ macht, erfährt der Leser zwar, daß er diesen Vortrag zum ersten Mal 1941 gehalten hat, aber nur, um sich darüber zu wundern, daß am Ende der Rede die Toten von Hiroshima und Nagasaki aufgezählt werden. Da will doch jeder sofort wissen, wie Planck zwischen den Kriegs- und Nachkriegsjahren mit seinen Worten und Ansichten umgegangen ist, welche er hinzugefügt oder gestrichen hat, und es ist bedauerlich, daß man nicht einmal erfährt, wie sich das nachprüfen läßt.
       Wenn man von den ersten Erfahrungen des Studenten Planck an der Universität erfährt, kann man sich erneut wundern, warum er die Physik studiert und es zu etwas in diesem Fach gebracht hat. Als er seine ersten Vorlesungen an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin besuchte, fand er, daß der große und berühmte Hermann von Helmholtz „sich offenbar nie richtig vorbereitet hatte und immer nur stockend sprach. Wir hatten das Gefühl“, so Planck, „daß er sich selber bei diesem Vortrag mindestens ebenso langweilte wie wir.“ Im Gegensatz dazu trug Robert Kirchhoff zwar „ein sorgfältig ausgearbeitetes Kollegheft vor“, „aber das Ganze wirkte wie auswendig gelernt, trocken und eintönig. Wir bewunderten den Redner, aber nicht das, was er sagte.“
       Zwar kam Planck mühelos durch die Semester, fertigte nicht nur zügig seine Doktorarbeit über den Hauptsatz der Wärmelehre an, der eine Richtung für die Zeit einführt, sondern konnte bereits in jungen Jahren eine Habilitationsschrift vorlegen – doch dann fiel ihm etwas unangenehm auf. „Nicht ohne Enttäuschung mußte [er nämlich] feststellen, daß der Eindruck meiner Doktordissertation wie auch meiner Habilitationsschrift in der damaligen physikalischen Öffentlichkeit gleich Null war“, und nicht nur das, „Helmholtz hat die Schrift wohl überhaupt nicht gelesen und Kirchhoff lehnte ihren Inhalt ausdrücklich ab.“ Als Folge mußte Planck viele Jahre auf eine Anstellung an der Universität warten, die ihm erst dann in Kiel angeboten wurde, als sein Vater sich bei einem einflussreichen Freund aus alten Kieler Zeiten für ihn einsetzte. Nichts Neues also unter der akademischen Sonne im Land der Dichter und Denker.  
 

© Ernst Peter Fischer