Aus dem Nichts...

Hans Korte liest Patrick Süskind - "Die Taube"

von Frank Becker
Patrick Süskind
Die Taube

Roman - gelesen von Hans Korte

Das literarische Werk Patrick Süskinds ist überschaubar. Es ist nichts darunter, was nicht von hohem sprachlichem Rang und inhaltlicher Tiefe wäre. Die Bücher Süskinds haben beim Zürcher Diogenes Verlag ihre Heimat gefunden, wo sie in vorzüglichen Editionen bestens betreut werden, und wo sie seit einigen Jahren auch in Hörbuchfassungen angeboten werden. Bevorzugter Interpret der Texte Süskinds ist - abgesehen von Walter Schmidinger, der den "Kontrabaß" großartig gelesen hat - Hans Korte. Seine Stimme ist im Zusammenhang mit Süskind kaum noch wegzudenken: "Das Parfum", "Die Geschichte von Herrn Sommer", "Das Vermächtnis des Maitre Mussard"... Seit einiger Zeit liegt nun auch einer der subtilsten Texte Süskinds als Hörbuch vor: "Die Taube".   

Ich erinnere mich noch an die erste Lektüre des schmalen Romans (99 Seiten), als er 1987 bei Diogenes erschien. Die Bedrängnis des Jonathan Noel, der nach bewegten, ja unruhigem Zeiten nun schon seit 30 Jahren Wachmann bei einer Pariser Bank ist, ein ruhiges, geordnetes Leben führt und in einem winzigen Zimmer wohnt, das er in wenigen Monaten abgezahlt haben wird, ging unmittelbar auf mich über. Diese Bedrängnis, mit der sich der Indochina-Veteran konfrontiert sieht, wird von einer Taube ausgelöst. Einer Taube, die auf dem Laubengang vor seinem Zimmer sitzt und ihn aus ihrem linken Auge, einer "kleinen kreisrunden Scheibe, braun mit schwarzem Mittelpunkt (...) wie ein aufgenähter Knopf am Kopfgefieder, wimpernlos, brauenlos, ganz nackt, ganz schamlos nach außen gewendet und ungeheuer offen" ansieht. Ein Mensch wird durch etwas aus der Bahn geworfen, das in seinem Lebensplan nicht vorgesehen war. Nichtig für andere - existenzbedrohend für ihn.

Jonathan Noels Leben tritt in eine schwere Krise ein, steht unmittelbar an der Schwelle zu einer entscheidenden Wende. Hans Korte übersetzt Patrick Süskinds Sprache ein weiteres Mal in ein plastisches Hörerlebnis. In der buchstabengetreuen Lesung von 142 Minuten überträgt er auf zwei CDs punktgenau Süskinds Geschichte und Intention. Zwar kannte ich das Buch, hatte es selbst mehrfach gelesen, doch kann Hans Kortes Interpretation die sensible Natur unseres Anti-Helden noch um etliches plastischer vermitteln, die Seelenqualen des in seiner Ordnung und seinen geheimen Ängsten gefangenen Jonathan Noel, die Entblößung fast schon bis zur Nacktheit der Seele aufdecken. Wie Korte das unheimlich angstvolle Verkrampfen vor der unerklärbaren  Bedrohung aus dem Nichts, die Versuche, alles in den Griff zu bekommen und in der Folge die Zerstreutheit Jonathans, das Abweichen von der verläßlichen Tagesroutine, das Alpdrücken Jonathans und später die Morgenstimmung des erwachenden Paris ("Paris s´éveille") bebildert, ist mehrfaches Hören wert.

Wie schon zuvor empfehle ich nicht nur das ausgezeichnete Hörbuch, sondern auch die begleitende Lektüre des Buches dazu: Genuß in hoher Potenz (die Pointe habe ich Ihnen absichtlich nicht verraten).
  
Beispielbild

Patrick Süskind
Die Taube
Roman

Ein Diogenes Hörbuch, gelesen von Hans Korte

2 CD, Gesamtzeit  142 Minuten

(P) + © 2007 Diogenes Verlag

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