Dieses Kino hat sich gelohnt

„Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ – von Destin Daniel Cretton

von Renate Wagner

Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings

USA 2021 

Regie: Destin Daniel Cretton
Mit: Simu Liu, Awkwafina, Tony Leung, Michelle Yeoh, Ben Kingsley u.a.
 
Eigentlich will diese Disney-Produktion mit „Marvel“ locken, aber man täte besser zu sagen, daß man es mit einer Art Hongkong-Film zu tun hat (mit einem Hauch ironischer Verbrämung durch Amerikas Alltag). Denn genau wie dort werden Kämpfe in herrlichen, „fließenden“ „Choreographien“ ausgetragen, die Helden fliegen dabei durch die Lüfte, Natur und Licht treffen sich zu magischen Verwandlungen in verführerischen Farben, und am Ende kommt es – wie könnte es in China anders sein – zum Kampf mit den Drachen (zahlreiche), die hier weniger schauerlich als ästhetisch schön und in ihrer Geschmeidigkeit fast komisch sind.
Eigentlich ist Shang-Chi keine übermäßig bekannte Figur aus dem Marvel Comic-Land, früher gab es ihn in Kung Fu-Filmen. Die Zeiten ändern sich, nicht-weiße Helden sind gefragt. „Black Panther“ hat hier schon sein Geld eingespielt, also warum nicht asiatische Helden, zumal der Markt im Osten ja riesig ist und es diese fabelhafte Erzähltradition à la „Tiger and Dragon“ gibt? Disney hat da zweifellos den richtigen Riecher gehabt, zumal die Exotik dieser Welt für die „weißen“ Zuschauer ja oft unwiderstehlich ist. Und Regisseur Dave Callaham hat schon in drei Filmen mit den alten „Expendables“ gezeigt, daß er harte Action mit der erforderlichen leichten Hand (und immer einer Ebene der Ironie) umsetzen kann.
 
Zu Beginn wird viel Chinesisch gesprochen, erzählt doch eine chinesische Mutter ihrem kleinen Jungen so abenteuerliche Geschichten, daß man sie ins Märchenland verweisen will. Wie ein mächtiger Mann in einem Zauberwald eine schöne Frau trifft, die es mit ihm in den Kampfeskünsten aufnehmen kann – das gibt schon mal herrliche Action in kitschigsten Farben, märchenhaft. Der Purzelbaum in amerikanische Gegenwart, in eine durchschnittliche chinesische Familie, wo alle durchschnittliche Berufe ausüben, ist ein harter Schnitt. Aber so lernt man Shaun und seine Freundin Katy kennen, die sich ambitionslos, aber irgendwie fröhlich ihr Brot verdienen, indem sie vor Hotels die Autos parken (oder sich auch einmal einen Flitzer für eine atemberaubend schnelle illegale Tour durch die Stadt ausborgen).
Im ganz normalen Leben, nämlich im Autobus, bricht dann das magische Erbe dieses Shaun durch, der eigentlich Shang-Chi heißt und Sohn des mächtigen Mannes, des „Mandarins“, ist, dessen Arme die zehn Ringe (auf jedem Unterarm fünf) zieren, die ihn so mächtig machen. Shaun, im Bus von ein paar dunklen Gestalten angegriffen, liefert ihnen eine hinreißende Martial Arts-Schlacht, die höchste Erwartungen erweckt. Und was die Optik und die weiteren Kampfszenen betrifft, wird man nicht enttäuscht.
Bezüglich der Handlung liebt Hollywood immer sentimentale Familiengeschichten, wobei es hier glücklicherweise nicht so triefend wird wie bei „Back Widow“. Daß ein mächtiger Mann wie Wenwu, „der Mandarin“ und Vater von Shang-Chi, nicht zum Selbstzweck „böse“ ist, wie man es tausendmal erlebt hat, sondern nur zur Vernichtung einer Stadt bereit ist, um seine verstorbene Frau wieder zu sich zu holen, deren Verlust er nicht verwunden hat – das muß man spielen, und Tony Leung tut es so phantastisch, daß eigentlich seine Figur den darstellerischen Höhepunkt des Films markiert, eine so nuancierte Schauspielkunst, die diskret alle Gefühle in alle Richtungen klar macht, daß man ihm nur fasziniert zusehen kann. Mit ihm kann es nur Michelle Yeoh in altersloser Schönheit als Hüterin der Stadt Ta Lo aufnehmen, in deren Hintergrund „seelenfressende Monster“ lauern, die Wenwu den Sinn verwirren, ihm seine Frau versprechen und solcherart von ihm befreit werden wollen.
 
Als Shang-Chi, den man in Rückblenden als entzückenden Buben erlebt, steht Simu Liu als Erwachsener gegen den Vater, den er liebt und dem er nicht erlauben will, Unrecht zu tun. Man glaubt ihm den Action-Helden total, das kann er, aber wenn es um die Darstellung von Gefühlen geht, reichen die Mittel des Fernsehstars nicht aus, der auch optisch zu wenig für einen wirklichen Star, der einen Film trägt, mitbringt.
Und Awkwafina, die seine Freundin Katy spielt, ist immer eine Sache des Geschmacks – diese Brutalo-Komikern, die schon durch einige Filme gegeistert ist, wenn auch noch nie als Hauptdarstellerin und Love-Interest des Helden, bringt zwar immer wieder amerikanischen Alltag ins märchenhafte China-Geschehen, aber sie nervt. Andererseits ist sie wohl ein Typ für junge Leute von heute und als solcher besetzt.
Wenn Shang-Chi und Katy nach Macao kommen (die magischen Mächte bringen sie dazu), steht er in einer illegalen Kampfsportarena einer Frau gegenüber, die ihm als Kämpferin gleichwertig ist – Kunststück, sie ist ja seine Schwester (wenn sie sich auch feministisch beschwert, ihre Künste aus zweiter Hand gelernt zu haben, weil Papa sie nie so ausgebildet hat wie den Bruder…). Man  hätte sich die Xialing der düster-attraktiven Meng’er Zhang in einer weit größeren Rolle vorstellen können, aber sie bleibt am Rande ebenso wie Fala Chen als die schöne, beweinte Gattin und Mutter, um die sich die Handlung eigentlich dreht.
Dazu noch einige düstere Gestalten und eine komische – wenn man nicht weiß, daß es Ben Kingsley ist, der in der Maske des aus Liverpool stammenden (entsprechender Akzent!) Schauspielers Trevor Slattery steckt, erkennt man es auch erst auf den zweiten oder dritten Blick. Er „schmiert“ den Schmieristen mit sehenswerter Lust, schade, daß auch er am Rande bleibt.
 
Aber der Film hat ja so viel zu tun, ununterbrochenes Kampfgewimmel und -gewühl, überwältigende Optik, der seelische Kampf der Guten gegen das hier wunderbar differenzierte Böse, Liebe und Spannungen in der Familie – das füllt die zweieinviertel Stunden ohne Schwierigkeiten. Und wenn „Shaun“ und Katy, zurück im normalen Leben, am Ende in einem Restaurant wie ein Doppelconference-Komiker-Paar ihre Abenteuer erzählen, gibt es Comic Relief auf ganzer Ebene. Sie finden bei dem zuhörenden Ehepaar allerdings nicht viel Glauben – bis wieder ein düsterer Herr auftaucht und sie wegholt. Rein in einen Feuerkreis – und vermutlich ins nächste Abenteuer. Dieses hat sich jedenfalls gelohnt.
 
 
Renate Wagner