Das Tertium Imperium und das Tertium Comparationis

Sprachwissenenschaft contra Geschichtsvergessenheit

von Marduk Buscher

© Marduk Buscher
Das Tertium Imperium
und das Tertium Comparationis

Sprachwissenenschaft contra Geschichtsvergessenheit
 
Sprache beruht immer auf dem „Vergleich“ zwischen einem zu bezeichnenden Objekt und der ihm auf diesem Wege zugeordneten Bezeichnung. Zum Beispiel wird eine unendliche Vielzahl zum Teil stark unterschiedlicher Gegenstände als „Tisch“ benannt. Streng genommen eint sie unter diesem Begriff nur Eines, nämlich seine beabsichtigte oder angenommene Funktion. Selbst willkürlich gewählte Gegenstände können dieser Kategorisierung zugeordnet werden. Sie sind dann wenigstens „tischähnlich“. Zum Beispiel ein Felsblock, ein umgestürzter Baum usw..
 
Was all diese unterschiedlichen Gegenstände oder Objekte eint, ist das sogenannte „Tertium Comparationis“, wörtlich übersetzt, das „Dritte des Vergleichs“. Je nach dem situativen oder gedanklichen Zusammenhang kann dies gemeinsame „Dritte“, welches zwei sprachlichen oder gedanklichen Objekten zugesprochen wird, ganz unterschiedlich beschaffen sein. Die sprachliche Zuordnung abstrahiert von der Materialität des Bezeichneten, seiner Farbe, seiner Größe usw. Unser Beispiel des Tischs beruht auf seiner Funktion oder Brauchbarkeit. Alles andere ist dieser gedanklichen Kategorisierung untergeordnet.
 
Genausogut kann aber auch jedes beliebige Attribut oder sogar eine Assoziation das „Dritte“ eines Vergleichs ausmachen. Wenn man beispielsweise von einem „Napoleon unter Riesen“ spricht, läßt dieses Wortbild Napoleons geringe Körpergröße konnotieren. Man vermeidet ein pejoratives Wort wie Zwerg, um dies auszudrücken. Sprachliche Vergleiche können dazu dienen, unterschiedliche Absichten zu verfolgen. Man setzt hier den Bezeichneten einer gewissen Lächerlichkeit aus, die als „Napoleon-Syndrom“ sprichwörtlich geworden ist. Die geringe Körpergröße kollidiert gewissermaßen mit der historischen Bedeutung des französischen Kaisers. Letztere wird jedoch nicht konkretisiert. Weder geht es um die zahllosen Kriege des Franzosen, die Millionen Toten, noch um seinen ordnenden Einfluß auf die Verwaltungsstrukturen der besetzten Länder, den forcierten Straßenbau oder die Entwicklung von telekommunikativen Techniken. Wie beim Tisch reduziert der Vergleich eine historische Persönlichkeit auf nur eine einzige, eigentlich sogar unwichtige körperliche Eigenschaft. Das „Tertium Comparationis“ wird erst durch den sprachlichen Zusammenhang mit den „Riesen“ konnotiert, durch welche sozusagen signalisiert wird, daß es in diesem Vergleich um die Kategorie der körperlichen Größenordnung geht. Im Umkehrschluß wird auch der durch den Napoleon-Vergleich Bezeichnete auf seine Körpergröße reduziert. Wer den Vergleich darüber hinaus so verstehen würde, daß auch der kleinwüchsige Mensch ein großer Feldherr sei, Bedeutendes geleistet, oder Schuld auf sich geladen habe, der würde das Wesen von Sprache mißverstehen.
 
Dem Bezeichneten wird keine dieser wichtigen Eigenschaften zugesprochen. Er ist klein und ein bißchen lächerlich. Das ist Alles. Im Umkehrschluß bedeutet dies allerdings keineswegs, daß Napoleon ebenfalls die historisch belegten Attribute abgesprochen würden. Seine historische Bedeutung wird durch den Vergleich einfach nicht thematisiert. Genausowenig wie Materialität, Farbe, Stil oder Größe des angesprochenen Tisches.
 
Jede Sprache basiert auf solchen Kategorisierungen und gedanklichen Vergleichen. Dies zu verstehen, unterscheidet im Moment noch Mensch und Maschine, resp. Künstliche Intelligenz. Letztere muß solche Konnotationen erst mühselig erlernen und wird doch stets hinter dem Menschen zurückbleiben müssen, für den auch völlig unlogische, nie gehörte Konnotationen Sinn ergeben können. Durch die freie Wählbarkeit des Tertium Comparationis ist die Menge situativ denkbarer Vergleiche unendlich groß.
 
Es ist also möglicherweise ein Zugeständnis an die noch nicht wirklich intelligente KI, wenn in letzter Zeit Vergleiche in Verruf geraten sind.
 
Insbesondere gilt dies für Vergleiche mit dem sogenannten „Dritten Reich“. Schon dieser selbstgewählte Name für das Deutschland zwischen 1933 und 1945 ist ja strenggenommen ein assoziativer Vergleich, welcher über den Begriff „Reich“ eine Vergleichbarkeit völlig unterschiedlicher historischen Gebiete und Gesellschaftsformen behauptet.
 
Wer heutzutage einen punktuellen Vergleich zwischen einem Fakt, einer Person oder einer Erscheinungsform des Nationalsozialismus zur Gegenwart zieht, wird stets mit dem Hinweis darauf, er verharmlose diesen, gemaßregelt, was mittlerweile pauschalisierend als „antisemitisch“ verunglimpft wird. Zu Ende gedacht, wird der Nationalsozialismus auf diese Weise seiner Historizität beraubt. Er wird verabsolutiert und zugleich zum Synonym für Holocaust und Antisemitismus reduziert, obwohl er auch generell totalitär, kommunistenfeindlich, homophob und Vieles Weitere mehr war.
 
Durch diese erzwungene Reduktion geht seine Verwurzelung in der deutschen und europäischen Geschichte verloren, was letztendlich dazu führen sollte, die Schuldfrage ein für alle Mal aus dem Weg zu schaffen.
 
Die Entwicklung des Nationalsozialismus basiert selbst aber auch auf einer Vielzahl von „Vergleichen“. Bleiben wir, um dies zu belegen, auf der Ebene der äußerlichen Erscheinungsformen der Nazi-Bewegung. Die Nazis sangen wie die Arbeiterbewegung, übernahmen Rituale aus der Jugendbewegung, entlehnten ihr Selbstverständnis dem Christentum usw.. Dies ließe sich an Tausenden von Beispielen nachweisen. Dabei pervertierte die Zusammenstellung der aus dem Kontext gerissenen „Vergleiche“ den jeweiligen Entstehungszusammenhang. In der Summe verdankt der Nationalsozialismus seine Wirkungsmacht aber gerade der „Vergleichbarkeit“ seiner Erscheinungsformen mit früheren Massenbewegungen. Schon sein Name macht dies deutlich: Der Nationalsozialismus „vergleicht“ sich mit einem national ausgerichteten Sozialismus, was ein Widerspruch in sich ist.
 
Und genauso wurde auch das Ende von Hitler-Deutschland sprachlich camoufliert. Einerseits wurde in beiden deutschen Staaten ein totaler Neuanfang propagiert, andererseits bewiesen viele sprachliche Kontinuitäten die Persistenz nationalsozialistischen Gedankentums. Offen wurde dies etwa bei der Wiederbewaffnung in Westdeutschland eingesetzt.
 
Beispielhaft sei dies an den Begriffen der „Bundeswehr“ (in Assoziation zur Reichswehr), der (namensgleichen) „Luftwaffe“ belegt. Hier gibt es eine Parallele zwischen dem personellen und einem sprachlichen Anknüpfen an die NS-Tradition. Was unmittelbar nach dem Krieg verpönt war, wurde mit der Zeit wieder salonfähig gemacht.
 
Auf der anderen Seite der Skala wurden Begriffe dagegen abgeschliffen und ihrer Bedeutung entleert. Was im Tausendjährigen Reich zum Tode führen konnte, ist mittlerweile auf einer sprachlichen Vergleichsebene angekommen, auf der auch dürre Widerworte schon als „Widerstand“ geadelt werden.
 
Umgekehrt gilt es als Grund für die Kündigung jeglicher Solidarität, wenn man beispielsweise einen Politiker mit Goebbels vergleicht, oder einen Richter mit Freisler. Man verharmlose damit den Holocaust, und das sei letztendlich „antisemitisch“. Mal ganz abgesehen davon, daß auch diese Verleumdung in sich den unausgesprochenen Vergleich mit dem Nationalsozialismus und der Judenvernichtung sucht, wird eine Einzigartigkeit der historischen Personen und Geschehnisse behauptet, die ihrerseits nur als Apotheose des Nationalsozialismus verstanden werden kann.
 
Indem der historische Vergleich in beiden Richtungen der Zeitachse gekappt wird, erhält der NS-Staat den Nimbus eines monadischen Herausgehobenseins aus Zeit und Geschichte.
 
Er ist aber aus (gefährlichen) deutschen Strömungen entstanden und hat sich nach 1945 nicht einfach in Luft aufgelöst.
 
Deshalb macht das Vergleichen der Erscheinungsformen das historische Werden des NS-Staates erst greifbar, läßt Entwicklungslinien, aber auch Korruptionen erkennen. Und -weitergedacht- helfen Vergleiche mit Hitlerdeutschland auch in der Gegenwart Entwicklungen zu erkennen, die potentiell wieder in die Katastrophe führen könnten.
Man kann sicherlich darüber streiten, ob Vergleiche, die auf körperlichen Eigenschaften beruhen, in ihrer Banalität Geschmack beweisen. Bewußte Vergleiche auf politischer Ebene helfen aber dabei, den Potentialismus von Entwicklungen bloßzulegen, die wieder in Krieg und Gewaltherrschaft münden könnten.
 
Aus der Geschichte zu lernen, bedeutet, Parallelen zu erkennen, bevor es zum Schlimmsten kommt, und diese Parallelen auch zu benennen – selbst, wenn sie nur auf einem „Tertium Comparationis“ beruhen.
 
Und solche Vergleiche helfen dabei, ein „Quartum Imperium“ zu verhindern.
 
 
© 2021 Marduk Buscher