Frieden ist Schlamperei

Robin Telfer inszeniert in Wuppertal Brechts "Mutter Courage"

von Frank Becker
Saturn frißt seine Kinder
 
Bertolt Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder"
in der Inszenierung von Robin Telfer
hatte wenig Substanz.

Premiere in Wuppertal am 28.8.2008



Inszenierung: Robin Telfer  -  Musikalische Einrichtung: Günter Lehr  -  Bühne: Siegfried E. Mayer  -  Kostüme: Monika Frenz  -  Dramaturgie: Alexandra Jacob, Wilfried Harlandt  -  Inspizienz: Andrea Seliger  -  Regieassistenz: Peter Wallgram  -  Fotos: Andreas Fischer

Mutter Courage:
Ingeborg Wolff  -  Eilif: Frank Watzke  -  Schweizerkas: Henning Strübbe  -  Kattrin: Maresa Lühle  -  Verschiedene Soldaten: Andreas Ramstein  -  Der Richter: Hans Richter  -  Yvette: Julia Wolff  -  Der Feldprediger u.a.: Thomas Braus  -  Der Koch u.a.: Andreas Möckel



Chance vertan

Als der ewig belehrende Bertolt Brecht sein Stück aus dem Jahr 1939 über die Nutznießerin
aller

Anna Fierling, die "Mutter Courage" (Ingeborg Wolff)
Kriege, die „Courage" des Grimmelshausen 1941
in Zürich uraufführte, war das größte Schlachten in der Geschich­te der Menschheit, heute statistisch-zynisch "WK II" genannt, bereits in vollem Gange. Brecht visionär zu nennen wäre allerdings über­trieben, er hatte lediglich als wacher Beobachter ein Drama zur rechten Zeit geschrieben und wie so oft – denken wir nur an den Kreidekreis – die Literaturen anderer benutzt. Häufig wurde es seitdem gebracht, gehört zum Standard-Repertoire aller deutschen Bühnen und kann nicht oft genug gezeigt werden. Schulklassen muß man im Grunde hinführen, wie in Bernhard Wickis "Die Brücke", damit sie das Elend des Krieges sehen und erleben, damit ihnen die Lust an der Gewalt vergeht, die sie heutzutage in berechneter Leichtfertigkeit mit "Un­terhaltungswert" täglich vorgesetzt bekommen. Ein wichtiges Stück, ein gutes Stück.
In Wuppertal wurde es in der mangelhaften Inszenierung von Paolo Magelli vor 11 Jahren zuletzt gezeigt. Die aktuelle Wuppertaler Inszenierung von Robin Telfer kann dem wenig entgegensetzen.
 
Alles hat einen Preis


Kattrin (Maresa Lühle)
Anna Fierling, die "Mutter Courage" (Ingeborg Wolff)  zieht mit ihrem Marketen­derwagen von Schauplatz zu Schauplatz des 30-jährigen Krieges, im Troß der Heere und verscherbelt, was zu Geld zu machen ist. Und da sie auch vor sich selbst nicht haltmacht, hat sie zwei Söhne und eine Tochter, die von verschiedenen Vätern und ver­schiedenen Schlachtfeldern stammen. Die drei allerdings sind ihr nicht feil, sie liebt sie und will sie schützen. Doch nach und nach frißt der Krieg, der ihr die Kinder gebracht hat,
diese auf Schweizerkas (Henning Strübbe) wird erhängt und erschossen, weil er versucht hat redlich zu sein und Anna um ihn schachert, Eilif (Frank Watzke) wird füsiliert, weil er im Frieden ge­plündert und gemordet hat, die stumme Kattrin (Maresa Lühle) wird erst vergewaltigt und entstellt, später von marodierenden Soldaten er­schossen, als sie die Stadt Halle vor diesen warnt. Sie stirbt an ihrer Menschenliebe. Saturn frißt seine Kinder. All das be­lehrt die Courage nicht, sie zieht weiter mit den Armeen, bleibt "im Geschäft". Eine tragische, hilflose Figur.
 
He´s got the whole world in his hand

Ob Robin Telfers Ansatz, den Marketenderwagen zu streichen, aus der Szene eine verlotterte Bar zu machen und Anna Fierling als Lotte Lenya-Verschnitt herauszuputzen der richtige ist, bezweifle ich. Die Figur der Anna Fierling hat eine Schauspielerin wie Ingeborg Wolff verdient - und vice versa. Ingeborg Wolff gab ohne jeden Zweifel
eine großartige Courage ab, derbschlau und gerissen. Und eine begnadete Chansonette ist sie bekanntermaßen. Telfer zwingt sie jedoch zu Tönen, welche die Mimin mit freier Hand sicher wirksamer hätte gestalten können. Die leisen Töne fehlen. Doch allein eine überzeugende Protagonistin ge­nügt nicht. Es fehlte drumherum an Überzeugung, an den nötigen Nuancen, welche die Welt der Courage glaubhaft gemacht hätten. Da gab es viel Gewehrgefuchtel, Machismo, Anspielungen ohne Substanz und wie aus dem Hut gezauberte Charaktere. Warum der Feldprediger (Thomas Braus) immer mal wieder den

Der Prediger (Thomas Braus)
Gospel-Song „He´s got the whole world in his hand“ anstimmen muß, wollen wir überhaupt nicht nicht hinterfragen.
 
Fades und Feines

Maresa Lühle als die stumme Tochter Kattrin überzeugte wenig, Julia Wolff als Yvette ebenso. Der charismatische Andreas Ramstein kommt in diversen Soldatenrollen einfach zu kurz, wird von der Regie verheizt. Untadelig, ja brillant Thomas Braus als Feldprediger. Er erinnerte an den großartigen Gerhard Palder, dessen bigotter, bei Bedarf die Glaubensfahne wechselnder Feldprediger geradezu grandios zu nennen war. Unauffällig und dezent wurde Braus fast zur interessantesten Figur der Inszenierung. Beachtliche Leistungen boten auch Andreas Möckel als Koch, Günter Lehr am Klavier, Tonmeister Thomas Dickmeis, der zweimal einen Kampfjet durch den Saal donnern ließ und Publikumsliebling Hans Richter, der als alternder Conferencier aus „Cabaret“ aufgemacht im Programmzettel als „Der Richter“ eingeführt wird. Eine solche Figur gehört nicht zum dramatis personae des Originals. Völlig unnötig, doch dank Richter ein Vergnügen.
 
 
Thomas Braus, Ingeborg Wolff, Andreas Möckel (v.l.)
Moral überzogen

Telfer überzieht die Brechtsche Moral von der Unbelehrbar­keit der Courage, die trotz aller Schicksalsschläge weiter­zieht, er läßt bei Saallicht Maresa Lühle, die die stumme Kattrin gibt,  die Kriege ihrer Lebenszeit auflisten – als ob wir das nicht alle wüßten. Das gibt dem trotz fast unzulässiger Schnitte (zwei Stunden ohne Pause) mit entsetzlichen Längen belasteten Stück zusätzlich zu allen anderen Unzulänglichkeiten einen Hauch des unreifen Teenager-Geseires unserer Jugendjahre und ist einfach zu billig. Wenn Telfer sich damit bei Brechts Belehrungs-Moral unterhaken will, ist ihm das gründlich daneben geraten. Währenddessen flimmern über einen Fernsehschirm durchgehend in Endlosschleife Ausschnitte aus Nachrichten, Börsenberichten, Filmclips über Waffensysteme, Kriegs-Dokumentationen, Verkaufskanälen und Soft-Erotik. 
 
Applaus und Buh-Rufe

In den herzlichen, doch bemessenen Applaus, der dem Ensemble galt, mischten sich vereinzelte Buhrufe für die wenig interessante, nein: uninteressante, unausgereifte Regie und das grauenhafte Bühnenbild. Kaum zu verstehen, daß Robin Telfer vor Jahresfrist mit Michael Frayns "Der nackte Wahnsinn" in Wuppertal ein Meisterstück abgeliefert hat. Wenn Brecht das nicht bereits selbst oft genug nachhaltig besorgt hätte, könnte man sagen, daß Telfer ihn uns mit dieser Inszenierung madig gemacht hat.

Weitere Informationen unter:  www.wuppertaler.buehnen.de