Eine dunkle Komödie

„Helden der Wahrscheinlichkeit“ von Anders Thomas Jensen

von Renate Wagner

Helden der Wahrscheinlichkeit –
Riders of Justice
Retfærdighedens ryttere - Dänemark 2020

Drehbuch und Regie: Anders Thomas Jensen
Mit: Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas, Andrea Heick Gadeberg, Lars Brygmann, Nicolas Bro u.a.
 
Eben erst hat eine Männergruppe mit Mads Mikkelsen im Zentrum in „Durst“ versucht, sich aus der Verzweiflung des Alltags wegzusaufen. Und schon ist da wieder ein dänischer Film, der weltweit Aufsehen erregt – wieder mit Mikkelsen und drei Männern rund um ihn. Das Thema ist anders, nicht minder verzweifelt, aber was Regisseur Anders Thomas Jensen als sein eigener Autor hier liefert, ist ein heikles Balancestück, ein Mix aus Rachefilm und Nerd-Komödie. Tragisch und immer wieder wirklich lustig.
Ziemlich zu Beginn sieht man die Tragödie, eine Bombe in der U-Bahn von Kopenhagen, eine Frau stirbt, ihre Tochter überlebt gerade noch mit Schock, und der arbeitslos gewordene Mathematiker Otto, der der Frau seinen Platz angeboten hat, fühlt sich schuldig, daß sie deshalb tot ist und nicht er.
Nun blättert Jensen zwei Welten auf. Die eine ist jene von Markus, dem Ehemann der Toten, der aus dem Afghanistan-Krieg heimkehrt. Mads Mikkelsen sieht mit weißem Vollbart und leerem, harten Gesicht ganz seltsam und anders aus, als man ihn kennt. Er soll nun, wozu er von seiner Mentalität her nicht wirklich geboren ist, seine Tochter (Andrea Heick Gadeberg) trösten, was er zumindest gelegentlich versucht, und im übrigen greift er zum Alkohol. Trauerarbeit der eigenen Art (oder die Vermeidung einer solchen).
 
Die andere Welt ist jene von Otto (Nikolaj Lie Kaas), dem Mathematiker, der immer automatisch „Wahrscheinlichkeiten“ errechnet (das bezieht sich auf den a priori nicht verständlichen deutschen Titel). Und es ist, so sagen die Algorithmen, millionenfach unwahrscheinlich, daß ein Kronzeuge, der gegen die kriminelle Biker-Bande „Riders of Justice“ aussagen sollte, eines natürlichen Todes stirbt. Also war es ein Attentat, und die Frau von Markus das unschuldige Opfer eines Mordes.
Mit dieser Erkenntnis stehen nun Otto und seine Freunde Emmenthaler (Nicolas Bro), Fachmann für Gesichtserkennung, und Lennart (Lars Brygmann), der fähige Hacker, bei Markus vor der Tür (von der Tochter als Trauer-Therapeuten verkannt, was schon komisch ist). Man könnte die drei für eine echte Dodel-Partie halten, wenn da nicht eine menschliche Ebene wäre, die sie über die die Lustspiel-Computer-Nerds hinaus hebt. Nein, der blanken Häme eines möglicherweise boshaften Publikums liefert der Regisseur seine Figuren nicht aus.
 
Markus läßt sich auf die Idee von Mord und Verschwörung nur zu gerne ein, und als Soldat fällt ihm nichts anderes ein, als rot zu sehen und nach blutiger Rache zu dürsten. Wofür er, der Soldat, durchaus geeignet wäre, die drei weltfremden Spinner allerdings weniger.
Die meiste Zeit des Films wird vor sich hin spintisiert, wobei sich Schicksale, Ängste, Tragödien in den Dialogen auftun, die man nicht versteht, wenn man die dänische Originalversion erwischt, aber es gibt ja Untertitel. Wie Naivlinge, die keine Ahnung haben, sich mit Waffen anzufreunden suchen und idealistisch hoffen, die Welt besser zu machen, hat sogar rührende Aspekte. Und hinreißend komisch sind sie auch.
Pointen verrät man nicht, nur so viel, daß mit den Riders of Justice nicht zu spaßen ist, die gehen professionell mit Waffen um. Dennoch muß man am Ende, wie in den obligaten Rache-Filmen üblich, nicht in Blut baden. Regisseur Anders Thomas Jensen sagte in einem Interview, er hätte eine „dunkle Komödie“ schaffen wollen, und das ist ihm gelungen. So viel man auch gelacht hat, daß der menschliche Grundton traurig ist und eine Tragödie hinter dem Geschehen steht, hat man ja doch nie vergessen.
 
 
Renate Wagner